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Minoritätsangriff

Minoritätsangriff

Ein Minoritätsangriff ist eine relativ fortschrittliche Strategie im Schach, denn bei einem Minoritätsangriff greift eine Bauernminderheit (meist zwei Bauern) eine Bauernmehrheit (meist 3 Bauern) an.

Hier ist alles, was Du über den Minoritätsangriff wissen solltest:


Was ist ein Minoritätsangriff?

Die Voraussetzung für einen Minoritätsangriff ist eine asymmetrische Bauernstruktur und zwei Bauernketten, wie sie sehr oft in der Karlsbader Bauernstruktur auftreten. Dann greift der Spieler, der auf dieser Seite des Bretts weniger Bauern hat, mit seinen Bauern die Bauernmehrheit des Gegners an.

Das Ziel ist, dem Gegner eine langfristige strukturelle Schwäche wie einen rückständigen Bauern oder einen isolierten Bauern zu verpassen, die er dann später mit seinen Figuren angreifen kann. Hier ist ein klassisches Beispiel für einen Minoritätsangriff:

minority attack
In der Karlsbader Bauernstruktur bietet sich sehr häufig die Gelegenheit für einen Minoritätsangriff.

Wie Du sehen kannst, haben beide Seiten derzeit gesunde Bauernstrukturen mit jeweils zwei Bauerninseln. Wenn Weiß jetzt seine beiden Bauern am Damenflügel in Bewegung setzt und damit die schwarze Bauernmehrheit angreift, haben wir einen klassischen Minoritätsangriff.

minority attack
Bei einem Minoritätsangriff greifen die Bauern das Fundament einer Bauernkette an.

Das Ziel von Weiß ist es, entweder die a-Bauern und b-Bauern, oder nur die b-Bauern zu tauschen. Wenn eines dieser Ziele erreicht wird, bleibt Schwarz mit einem rückständigen c-Bauern zurück. In dieser Animation kannst Du sehen, wie Weiß durch das Vorziehen seiner Bauern Schwarz einen rückständigen Bauern auf der c-Linie verpasst:

minority attack
Ein klassischer Minoritätsangriff: Die beiden weißen Bauern greifen die schwarze Bauernmehrheit am Damenflügel an.

Wie Du sehen kannst, hat Schwarz jetzt eine strukturelle Schwäche, die er zuvor nicht hatte. Der rückständige Bauer auf c6 wird für den Rest der Partie ein Angriffsziel sein.

Warum ist ein Minoritätsangriff wichtig?

Der Minoritätsangriff ist wichtig, weil es sich um einen weit verbreiteten Plan im Mittelspiel handelt, der in vielen Eröffnungssystemen gespielt werden kann. Er ist auch eine sehr nützliche Möglichkeit, die Bauernstruktur vorteilhaft zu verändern.

Die Karlsbader Bauernstruktur kann sich aus den verschiedensten 1.d4 Eröffnungen ergeben. Am häufigsten tritt sie aber in der Abtauschvariante des abgelehnten Damengambits auf. Nach den Zügen 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 exd5 5.Lg5 Le7 6.e3 und c6 haben wir die folgende Stellung auf dem Brett:

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Die Abtauschvariante des abgelehnten Damengambits.

Abgesehen vom Damengambit und anderen 1.d4 Eröffnungen ist ein Minoritätsangriff aber auch in vielen Varianten der sizilianischen Verteidigung, der königsindischen Verteidigung, der slawischen Verteidigung, der skandinavischen Verteidigung und vielen anderen Eröffnungen möglich. Hier ist ein Beispiel von Weltmeister Anatoly Karpov, der in einer Partie gegen Joel Lautier einen Minoritätsangriff gestartet hatte. Die Partie begann mit der halbslawischen Verteidigung und erreichte nach dem Zug 19...Lb6 die folgende Stellung:

Minority attack
Was war Karpovs Plan?

Karpov hatte nur zwei Bauern am Damenflügel und sein Gegner drei und hier startete Karpov mit den Zügen 20.b4 gefolgt von 21.a4 einen Minoritätsangriff:

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Der Minoritätsangriff hat begonnen.

Sechs Züge später brach Karpov mit dem Zug 27.b5 am Damenflügel durch, was im Wesentlichen zu einem Abtausch der a- und b-Bauern führte. Danach hatte sein Gegner einen isolierten Bauern auf der c-Linie.

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Ziel erreicht! Der schwarze Bauer auf c6 kann jetzt ungehindert angegriffen werden.

Später gewann Karpov den c-Bauern und dann auch die Partie. Hier kannst Du Dir die ganze Partie ansehen:

Wenn Du den Minoritätsangriff kennst, hast Du immer einen Plan in der Hinterhand, den Du in vielen Stellungen aus der Schublade holen kannst. Das gilt insbesondere, wenn Eröffnungen gespielt werden, bei denen sich eine Karlsbader Bauernstruktur entwickelt oder ähnliche Gelegenheiten auftreten. Und deshalb solltest Du diese Idee bei Deinen eigenen Partien immer im Hinterkopf behalten!

Test

Da Du jetzt weißt, was ein Minoritätsangriff ist, ist es Zeit für einen kleinen Test!

Diese Stellung stammt aus einer Partie, die im Jahr 1939 gespielt wurde. Der damalige Weltmeister Jose Raul Capablanca spielte mit Weiß gegen Harry Golombek und dieser hatte gerade mit seiner Dame auf d6 geschlagen. Capablanca hat seinen Minoritätsangriff bereits begonnen, aber wie soll er am besten fortfahren?

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Wie kommt Capablanca mit seinem Minoritätsangriff voran?

Genau! Mit dem Zug 23.b5 geht der Minoritätsangriff weiter und die Bauernstruktur ändert sich zu Capablancas Gunsten. Wenn Schwarz erlaubt, dass Weiß auf c6 schlägt, bekommt er einen rückständigen Bauern auf der c-Linie und wenn Schwarz auf b5 schlägt, was Golombek in der Partie auch gemacht hat, schlägt Weiß mit der Dame zurück und greift sowohl den Bauern auf d5, als auch den Bauern auf b7 an:

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Die Bauernstruktur hat sich zugunsten von Weiß verändert.

Sehen wir uns noch ein Beispiel an. Diese Stellung stammt aus einer Partie von 1933. Arnold Denker spielte mit Weiß und hat bereits einen Minoritätsangriff am Damenflügel gestartet. Sein Gegner Israel Horowitz reagierte darauf mit dem Zug 29...Ta8. Wie sollte Weiß fortfahren?

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Wie kann Weiß seinen Minoritätsangriff fortsetzen?

Richtig! Der Zug 30.b5 ist fast genau die gleiche Idee wie in der Partie von Capablanca, obwohl diese ja erst sechs Jahre später gespielt wurde. Schwarz muss entweder einen rückständigen Bauern auf c6 in Kauf nehmen oder auf b5 schlagen. Wie Golombek schlug auch Horowitz auf b5 und genau wie Capablanca schlug auch Denker mit seiner Dame zurück und griff den jetzt isolierten Bauern auf d5 und den Bauern auf b7 an.

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Weiß nimmt die Bauern auf d5 und b7 aufs Korn.

In den nächsten 8 Zügen konnte Denker beide Bauern gewinnen und danach gewann er natürlich auch die Partie. 

Versuchen wir noch eine Aufgabe.

Wir haben jetzt schon viele Minoritätsangriffe von Weiß in der Karlsbader Bauernstruktur gesehen. Jetzt wird es Zeit, dass wir uns mal einen Minoritätsangriff von Schwarz ansehen. Diese Stellung stammt aus der skandinavischen Verteidigung und Schwarz hat seinen Minoritätsangriff schon gestartet. Wie aber soll er jetzt fortfahren?

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Wie soll Schwarz fortfahren?

Ja, 1...bxc3 ist der richtige Zug.

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1...bxc3 ist richtig!

Wenn Weiß mit dem b-Bauern zurückschlägt, wird der Bauer auf c3 zum Angriffsziel für Schwarz. Und wenn er mit dem Turm zurückschlägt, hat er auf d4 und b2 gleich zwei isolierte Bauern, auf die er für den Rest der Partie aufpassen muss. Gut gemacht!

Fazit

Du weißt jetzt, was ein Minoritätsangriff ist, warum er wichtig ist, wie man ihn ausführt und vieles mehr. Um Dein neu erworbenes Wissen zu vertiefen, kannst Du Dir gerne noch diese Lektion ansehen. Das Video hat deutsche Untertitel und die Übungen dazu sind natürlich mit Erklärungen auf Deutsch versehen. Viel Spaß dabei!