GM Garry Kasparov
Bio
Garry Kasparov ist der wohl größte Schachspieler aller Zeiten. Er wurde 1963 in Baku in der Sowjetunion (heute Aserbaidschan) geboren. Er entwickelte sich an Mikhail Botvinniks Schachschule und wurde 1985 mit lediglich 22 Jahren der jüngste Weltmeister der Schachgeschichte. Kasparov war stets ein Freigeist. 1993 verließ er die FIDE und gründete seinen eigenen Schachverband. Außerhalb des Schachs wurde er durch sein politisches Engagement bekannt. Obwohl er kein professioneller Spieler mehr ist, ist er weiterhin in der Schachszene aktiv.
- Die Anfänge seiner Karriere
- Kasparov wird Weltmeister
- Das Leben als Weltmeister
- Die Trennung von der FIDE
- Der Verlust des WM-Titels
- Die Karriere nach der Karriere
- Vermächtnis
Die Anfänge seiner Karriere
Kasparov war schon in jungen Jahren ein sehr vielversprechender Spieler, denn nur solche Spieler schafften es in die Schachschule von Botvinnik. Unter Trainern wie Vladimir Makogonov und Alexander Shakarov entwickelte er sich so weit, dass er 1976 und 1977 die sowjetische Juniorenmeisterschaft gewann. 1980 wurde er Junioren-Weltmeister und ein Jahr später erreichte er den geteilten ersten Platz bei der sowjetischen Meisterschaft.
Für das Interzonen-Turnier 1979, bei dem es darum ging, wer 1981 den amtierenden Weltmeister Anatoly Karpov herausfordern durfte, erspielte sich Kasparov noch keinen Startplatz aber 1984 war er dann bereit. Beim Internzonenturnier in Moskau qualifizierte er sich durch 7 Siege, 6 Remis und 0 Niederlagen für das Kandidatenturnier. Dort besiegte er zunächst Alexander Beliavsky mit 6:3 (4 Siege, 4 Remis, 1 Niederlage) und traf danach auf Viktor Korchnoi, der bereits 1978 und 1981 gegen Karpov um die Weltmeisterschaft gespielt hatte.
Kasparov beendete Korchnois Serie und besiegte ihn mit 7:4 (4 Siege, 6 Remis, 1 Niederlage). Jetzt stand nur noch Ex-Weltmeister Vassily Smyslov, der damals bereits 63 Jahre alt war, einer Weltmeisterschaft gegen Karpov im Wege.
Das Finale des Kandidatenturniers war aber dann alles andere als spannend. Kasparov verlor keine einzige Partie, konnte aber die Partien drei, vier, fünf, neun und zwölf gewinnen. Ein Remis in der 13. und letzten Partie besiegelte dann den Endstand von 8.5 : 4.5.
Kasparov wird Weltmeister
Vor 1984 hatte Kasparov viermal gegen Karpov gespielt. Die erste Partie, 1975, ging an Karpov, aber das war Kasparov erst 12 Jahre alt. Die anderen drei endeten Remis. Kasparov erwischte aber einen desaströsen Start in die Weltmeisterschaft und verlor vier der ersten neun Partien. Das Format war dasselbe, wie bei den Titelkämpfen zwischen Karpov und Korchnoi 1978 und 1981: Der erste Spieler, der 6 Partien gewinnt, wird Weltmeister. Remispartien wurden einfach gestrichen. Sollte die Jugend jetzt wirklich so schnell gegen die Erfahrung verlieren?
Die Antwort war ein klares Nein. Kasparov änderte seine Strategie, spielte ab jetzt absolut bodenständig und die nächsten 24 Partien endeten alle Remis. In dem heute gespielten Format wäre diese Strategie sicher nicht erfolgversprechend gewesen, aber im 1984er Format war sie es durchaus. Die 27. Partie konnte Karpov jedoch wieder gewinnen und jetzt benötigte der amtierende Weltmeister nur noch einen Sieg zur Titelverteidigung.
Dieser Sieg sollte aber nicht zustande kommen. In der 32. Partie konnte Kasparov endlich seine erste Partie gewinnen.
Auf den Sieg folgte wieder eine Reihe von Unentschieden, aber die 47. Partie konnte Kasparov erneut gewinnen. Und dann gleich auch die nächste! Jetzt stand es 5:3 aber die Weltmeisterschaft war vorbei.. FIDE Präsident Florencio Campomanes brach die WM ab und erklärte dies damit, dass er sich Sorgen um die Gesundheit der Spieler machen würde. Die Weltmeisterschaft sollte 1985, mit einem neuen Format, das die Anzahl der Partien auf 24 begrenzte, neu beginnen.
1985 übernahm Karpov dann erneut die Führung, aber diesmal nur mit einem 2:1 nach 5 Partien. Kasparov glich in der 11. Partie aus und in der 12. Partie entschied er sich für ein seltsames Gambit in der Sizilianischen-Eröffnung, welches zu einem schnellen Remis führt. Auch die nächsten 3 Partien brachten keinen Sieger hervor.
Dann kam die 16. Partie und Kasparov spielte die vielleicht beste Partie aller Zeiten. Er eröffnete wieder mit dem sizilianischen Gambit, aber Karpov spielte weniger genau als in der 12. Partie und schon bald dominierten Kasparovs Figuren das gesamte Brett.
Er hat die 24. Partie dann aber sogar gewonnen.
Kasparov sah in seiner besseren Vorbereitung den Schlüssel zu seinem Sieg und Karpov stimmte ihm weitgehend zu. Kasparov bescheinigte Karpov aber auch einen "wahren Kampf" um den Titel. (Quelle: The World Chess Championship Karpov Kasparov Moscow 1985, Raduga Publishers 1986.)
Wir werden natürlich nie erfahren, wie die WM von 1984 geendet hätte. Vielleicht hätte Kasparov das größte Comeback aller Zeiten geschafft und vielleicht hätte Karpov das Ruder doch noch herumgerissen und den sechsten Sieg erzielt. Aber jetzt war Kasparov Weltmeister und es war auch nicht zu spät für ihn, den Rekord als jüngster Weltmeister aller Zeiten zu brechen. Er war 22 Jahre und sieben Monate alt, elf Monate jünger als es Mikhail Tal 1960 gewesen war.
Das Leben als Weltmeister
Kasparov hatte jetzt in den letzten 15 Monaten, vom September 1984 bis zum November 1985, 72 Mal gegen Karpov gespielt und die beiden sollten in den nächsten beiden Jahren noch weiterer 48 Male gegeneinander spielen.
1986 kam es zum Rückkampf, der Karpov aufgrund der Geschehnisse von 1984 und 85 zustand. Kasparov gewann 4 der ersten 16 Partien und verlor nur eine, aber dann gewann Karpov 3 Partien in Folge. Ein Sieg in der 22. Partie und 2 weitere Remis reichten Kasparov aber zu seiner ersten Titelverteidigung.
1987 kehrten dann auch die Interzonen- und Kandidatenturniere zu ihrem ursprünglichen Zeitplan zurück. Karpov war dabei als Finalist gesetzt und gewann das Finale gegen Andrei Sokolov.
Nach satten 120 Kasparov-Karpov-Partien in vier Jahren war es endlich Zeit für eine dreijährige Wartezeit zwischen den Weltmeisterschaften. 1990 würde Karpov Kasparov erneut herausfordern. Im Vergleich zu den vorherigen Duellen hatte Kasparov aber diesmal wenig Probleme mit seinem Kontrahenten. Nach dem Gewinn der Partie 18 und 20 lag Kasparov mit 1:9 in Führung. Obwohl er dann Partie Nummer 23 verlor, sicherte er sich aber mit einem Remis in der letzten Partie erneut den Titel.
Wieder vergingen drei Jahre bis zur nächsten Weltmeisterschaft, aber nichts sollte so bleiben, wie es immer war.
Die Trennung von der FIDE
Nigel Short besiegte Karpov im Halbfinale des Kandidatenturniers und gewann anschließend gegen Jan Timman. Damit hatte er sich das Recht gesichert, gegen Kasparov um die Weltmeisterschaft spielen zu dürfen. Aber weder der Champion noch der Herausforderer waren mit der FIDE zufrieden und das Ergebnis war letztendlich eine Abspaltung von der FIDE. Kasparov und Short behielten das 24-Spiele-Format bei, spielten jedoch in London unter der Schirmherrschaft der Professional Chess Association (PCA). Den Weltmeistertitel der FIDE erhielt erneut, ohne dass er Kasparov in einem Duell besiegt hatte, Karpov und "verteidigte seinen Titel" gegen Timman.
Obwohl er ihm im Halbfinale des Kandidatenturniers besiegt hatte, war Short nicht annähernd so gut wie Karpov und der übermächtige Kasparov wurde seiner Favoritenrolle gerecht. Er gewann fünf der ersten neun Partien und gewann das Duell souverän mit 12.5 zu 7.5. 1995 konnte Kasparov seinen Titel dann gegen Viswanathan Anand verteidigen.
Diese Aufgabe erwies sich aber als ungleich schwieriger, als gegen Short. Der Modus wurde auf 21 Partien verkürzt, was bedeutet, dass der Spieler, der zuerst 10.5 Punkte erreicht, PCA-Weltmeister werden sollte. Die ersten acht Partien waren alle Remis, aber dann konnte Anand Partie Nummer 9 gewinnen.
Diese Niederlage hat aber Kasparovs Ehrgeiz nur angestachelt und er schlug gleich in der nächsten Partie zurück. Seine Eröffnungsvorbereitung war dabei so gründlich, dass er für seine ersten 20 Züge nur ein paar Minuten benötigte.
Dann gewann er Partie 11. Und Partie 13. Und 14. Und vier Remis später hatte er seinen Titel mit 10.5 : 7.5 verteidigt.
Da die PCA keine Sponsorengelder generieren konnte, dauerte es bis zur nächsten Titelverteidigung ganze 5 Jahre. Kasparov saß in dieser Zeit aber nicht gemütlich zu Hause.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde Kasparov zur Ikone des Computer- und Internet-Schachs. Nicht ganz so bekannt wie das Duell ein Jahr später wurde sein Duell von 1996 gegen Deep Blue. Obwohl er die erste Partie verloren hatte, gewann Kasparov den Vergleich überlegen mit 4:2. Dann kam das Match von 1997, das Kasparov auf dramatische Weise verlor und nachdem IBM den Computer Deep Blue in Rente schickte. Im gerade aufkommenden Internet besiegte Kasparov 1999 "die ganze Welt" in einer Partie, bei der alle Nutzer über den nächsten Zug abstimmen durften.
Dann gab es auch damals schon das Turnier in Wijk aan Zee. Es war eines von mehreren Turnieren, die Kasparov in seiner Karriere gewonnen hat (erstmals 1999 mit 8 Siegen, 4 Remis und einer Niederlage - mit einem halben Punkt Vorsprung vor Anand). Er sollte das Turnier zwar auch in den Jahren 2000 und 2001 gewinnen, aber 1999 gelang ihm bei diesem Turnier eine Partie, als - neben der 16. Partie der 1985er Weltmeisterschaft - als die vielleicht beste seiner Karriere gilt. Zuerst opferte er gegen Veselin Topalov beide Türme und jagte dann den König des Bulgaren über das gesamte Brett.
Der Verlust des WM-Titels
Das Kasparov bei der FIDE immer noch eine persona non grata war, wurde im Jahr 2000 eine Weltmeisterschaft zwischen ihm und Vladimir Kramnik organisiert. In den vergangenen Jahren waren Verhandlungen über eine Weltmeisterschaft mit Alexei Shirov und über einen Rückkampf mit Anand gescheitert. Karpov war in der Zwischenzeit weiterhin bei der FIDE aktiv, aber als 1999 das Weltmeisterschaftsformat in ein großes KO-Turnier geändert wurde, wollte er daran nicht teilnehmen. Kramnik sollte sich jedoch als ein mehr als legitimer Herausforderer für Kasparov erweisen.
Bereits in der zweiten Partie erwies sich Kasparovs Grunfeld Verteidigung als Rohrkrepierer. Mit Weiß konnte er gegen Kramniks Berliner Verteidigung (1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 3. Lb5 Sf6) nichts ausrichten. In der 10. Partie musste sich Kasparov, nachdem er gegen den Zug 1.d4 von Grundfeld auf Nimzo-Indisch gewechselt war, bereits nach 25 Zügen geschlagen geben und 5 Remis später war Kasparov entthront.
Kasparov würde trotz wiederholter Versuche nie wieder den Titel des Weltmeisters erringen oder auch nur eine Weltmeisterschaft bestreiten. Er blieb jedoch auch ohne den Titel der bestbewertete Spieler der Welt.
Kasparovs Karriere endete 2005 beim Linares-Turnier. Es war ein weiterer Turniersieg, sein neunter bei diesem Turnier in Spanien. Niemand sonst konnte das Turnier, das 2010 letztmals stattfand, mehr als dreimal gewinnen. Die letzte offizielle Partie seiner Karriere hat er zwar dann gegen Topalov verloren, aber seiner unvergleichlichen Karriere hat dies keinen Abbruch getan.
Die Karriere nach der Karriere
Kasparov hat sich nach seiner Karriere, beginnend mit seiner Serie My Great Predecessors - einer fünfbändigen Sammlung der Partien der ehemaligen Weltmeister und anderer starker Spieler, die von 2003 bis 2006 veröffentlicht wurden - sowie vier Bänden Modern Chess (vieles darin dreht sich um seine Duelle mit Karpov) und drei weiteren Bänden über seine eigene Schachkarriere, zu einem produktiven Autor entwickelt.
Der erste Band von "My Great Predecessors"
Danach ist er über das Schach hinausgegangen und hat drei weitere Bücher geschrieben: How Life Imitates Chess ist zum einen Teil eine Biografie, zum andern Teil Eigentherapie. Dann das geopolitisch ausgerichtete Winter is Coming und Deep Thinking, ein Buch über künstliche Intelligenz. Winter is Coming war der Ausdruck von Kasparovs langjähriger Besorgnis über die Einflüsse von Wladimir Putin auf Russland und die Welt.
Kasparovs Geringschätzung der Führungspersonen bei der FIDE hielt ebenfalls an. 2010 unterstützte Kasparov seinen ehemaligen Rivalen Karpov bei der Wahl zum FIDE-Präsidenten, aber Karpov unterlag dem amtierenden Präsidenten Kirsan Ilyumzhinov. 2014 kämpfte dann Kasparov selbst um die Position, wurde aber auch von Ilyumzhinov, der sein Amt schließlich 2018 niedergelegt hat, besiegt.
Außer politischer Aktivitäten hat Kasparov Schach stets international beworben, insbesondere durch seine Kasparov Chess Foundation. Er hat auch als Trainer für Magnus Carlsen (2009) und Hikaru Nakamura (2011) gearbeitet. Darüber hinaus besucht Kasparov häufig St. Louis und die von Rex Sinquefield gesponserten Schachveranstaltungen, wobei er manchmal kommentiert und sich 2017 sogar dazu überreden ließ, beim St. Louis Rapid und Blitz teilzunehmen. Das war, außer einigen Simultan oder Wohltätigkeitspartien, sein erstes Schach seit 2005.
Vermächtnis
Ist Kasparov der beste Schachspieler aller Zeiten? Emanuel Lasker war länger Weltmeister und Bobby Fischer hatte die Schachwelt, als er Mark Taimanov und Bent Larsen beim Kandidatenturnier 1972 jeweils mit 6:0 abfertigte, vielleicht mehr beeindruckt, aber weder Lasker noch Fischer können es mit Kasparovs Kombination aus Langlebigkeit und Dominanz aufnehmen. Jose Capablanca war, wie Fischer, in seinen Glanzzeiten sehr Dominat, aber diese Glanzzeit dauerte deutlich weniger als 10 Jahre. Carlsen hat die Chance, mit Kasparov gleichzuziehen, aber heute kann noch keine abschließende Aussage über Carlsens Karriere treffen.
Es ist eine subjektive Frage, aber im Gegensatz zu Mannschaftssportlern haben Schachspieler den Vorteil, ihre eigenen Partien zu spielen. Sie können ein Team von Sekundanten haben oder mithilfe eines unterstützenden Umfeldes aufsteigen, aber wenn sie sich einmal ihrem Gegner gegenübersitzen, liegt alles an ihnen. Die Argumente, dass Kasparov der beste aller Zeiten ist, sind mindestens so stark wie die aller anderen.
Obwohl Kasparov solche Debatten meidet, entdeckte er einige Neuerungen in Eröffnungen und gewann mit Eröffnungen wie Schottisch (1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. d4) oder dem Evans Gambit (1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lc4 Lc5 4. b4), die eigentlich als schlecht galten, viele Partien. Sein 1985er Gambit gegen Karpov erwies sich schließlich als widerlegbar, aber in diesem und einigen anderen Augenblicken seiner Karriere führte Kasparovs Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren, zu brillanten Siegen. Er spielte aber auch unglaublich genau und hat das drittbeste CAPS Score aller Weltmeister und ein besseres, als jeder Spieler vor ihm. Seine Duelle mit Karpov sind in die Geschichte eingegangen.
Egal ob Ihr ihn als Nummer 1 seht, oder nicht. Garry Kasparov ist einer der wenigen Schachspieler, die für den Titel als bester Schachspieler aller Zeiten überhaupt in Frage kommen.