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Ding schafft erneut den Ausgleich
Ding Liren. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ding schafft erneut den Ausgleich

beccrajoy
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Bei der FIDE Weltmeisterschaft 2023 zwischen Ding Liren und Ian Nepomniachtchi kann sich niemand über "langweilige" Remis beschweren, denn nach sechs gespielten Partien stehen schon 4 Siege auf der Anzeigetafel. 

Diesmal war es wieder Ding, der die Glückwünsche zum Sieg entgegennehmen durfte. Der Chinese hatte etwas überraschend das London System versucht und nach einer Reihe von positionellen Ungenauigkeiten seines Gegners eine Gewinnstellung erreicht, die in einem Mattnetz gipfelte.

Damit steht es nach 6 gespielten Partien 3:3 Unentschieden.

Die siebte Partie beginnt am Dienstag, dem 18. April, um 11.00 Uhr

So könnt Ihr die FIDE Weltmeisterschaft 2023 ansehen:
Wir übertragen alle Partien der FIDE Weltmeisterschaft 2023 mit Kommentaren von Steve Berger und interessanten Gästen wie Jan Gustafsson und Fiona Steil-Antoni auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube. Die englischsprachige Übertragung findet Ihr auf https://www.youtube.com/@chesscomlive
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der sechsten Partie:
Kommentatoren: Steve Berger und Jan Gustafsson

Vor Partiebeginn wurde darüber spekuliert, ob Ding nach der schmerzhaften Niederlage vom Samstag am Sonntag auf Sieg oder Remis spielen würde. Wie sich herausstellte, entschied sich Ding – nach seinen eigenen Worten – "für eine Stellung, die nicht so zwingend war, aber doch eine gewisse Möglichkeit bot, um auf Sieg zu spielen".

Als die Partie mit den Zügen 1.d4 Sf6 2.Sf3 und d5 begann, hatte Kommentator Howell kaum Zeit, seinen Satz "Er wird sicher nicht das London System spielen" zu vervollständigen, da stand Dings Läufer schon auf f4 und der Chinese verließ das Brett.

Das war das erste Mal, dass bei einer Weltmeisterschaft das London System gespielt wurde, aber Nepomniachtchi sagte, dass er davon nicht überrascht gewesen sei. Er hatte es zwar nicht in dieser Partie, aber durchaus im Laufe dieser WM erwartet.

Nepomniachtchi antwortete mit dem weniger bekannten 6.Lf5, was Ding auch überraschte und ihn aus seiner Vorbereitung holte und ihm einige Zeit auf die Uhr kostete. Die Stellung entwickelte sich jedoch zu einer "Partie mit langsamen Manövern" im Stil von Großmeister Gata Kamsky, der die Stellung nach 11 Zügen schon bei mehreren Partien in Titled Tuesday-Turnieren auf dem Bildschirm hatte.

Die Stellung mit einer Karlsbader Bauernstruktur mit vertauschten Farben lag genau in Dings Komfortzone, was er auch in der Pressekonferenz erwähnte, als er die Partie mit der dritten Partie verglich. Bald darauf war es Nepomniachtchi, der auf der Uhr in Rückstand geriet.

Nepomniachtchi sitting at the board during the game
Nepomniachtchi fand sich in einer unangenehmen Stellung wieder. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Als sich Nepomniachtchi nach Dings zwölftem Zug Zeit ließ, wurde klar, dass er statt seinem frühen Zug 11...h6 besser, wie von Kommentator Anish Giri vorgeschlagen, im elften Zug seine Dame nach c7 zurückziehen hätte sollen. Dann hätte er den weißen Springer auf e5 schlagen können, ohne in eine Gabel zu laufen.

Nepomniachtchi musste seinen Springer nach e7 zurückziehen, um eine Stellung "guter Springer gegen schlechten Läufer" zu vermeiden und danach schwächte er seine Stellung mit den Zügen 13...a6 und 14...Sd7 weiter. Diese Reihe von Ungenauigkeiten führte zu einer angenehmen Stellung für Weiß und nachdem er 16.a5 gefunden und damit die schwarzen Felder von Schwarz geschwächt hatte, konnte Ding seinen großen positionellen Vorteil weiter ausbauen und seinen Springer auf die Reise nach c5 schicken.

Ding fand dann mit 18.Ta3 einen nützlichen Abwartezug und bot einen Damentausch an, bevor er seinen h-Bauern weiter nach vorne schob. Während Nepomniachtchi, der den Damentausch abgelehnt hatte, einen zentralen Bauernvorstoß vorbereitete, spekulierten die Kommentatoren, ob Dings 21.h4 gespielt worden war, um günstige Komplikationen zu schaffen, falls Schwarz sich entscheiden sollte auf a5 zu schlagen.

Ding sitting at the board and thinking
Es war eine komplizierte Partie. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nachdem Nepomniachtchi 22...e5 gespielt hatte, antwortete Ding relativ schnell mit dem Zug 23.Tb3. Nach der Partie gab Ding zu, dass dieser Zug nicht sein ursprünglicher Plan gewesen war. Er sagte: "Vielleicht hätte ich statt Tb3 besser b4 spielen sollen. Davor war die Stellung ziemlich einseitig. Ich war derjenige, der Druck gemacht hat und er hatte nicht viel Gegenspiel, aber nach e5 und Se5 hatte er plötzlich ein Gegenspiel."

Auch die Kommentatoren waren von Dings Entscheidung überrascht, da sie der Meinung waren, dass der positionelle Vorteil besser zu Dings Spielweise passte als die Variante, für die er sich entschieden hatte. Nepomniachtchi, der spürte, dass er dem Ausgleich sehr nahe war, spielte jetzt schnell, um den Druck auf der Uhr aufrechtzuerhalten. Seine schnellen Züge führten aber dazu, dass er die Chance, die Stellung mit der interessanten Ressource 27...Txe5 auszugleichen, übersah.

Nach der Partie sagte Nepomniachtchi, dass er zwar 27...Txe5 nicht gefunden hatte, aber dass der eigentliche Fehler der Zug 27...Lc2 war, denn mit 27...Ld3 hätte er eine Stellung erreicht, die er halten hätte können.

Das Zeitmanagement ist ein wiederkehrendes Thema bei dieser WM. Immer wieder investiert Nepomniachtchi in kritische Stellungen viel zu wenig Zeit, während Ding in Stellungen, in denen er offensichtlich nur einen vernünftigen Zug hat, viel zu lange nachdenkt. Auf die Frage, ob seine schnellen Züge auf mangelnde Geduld zurückzuführen seien, antwortete Nepomniachtchi, dass er nicht deshalb verloren hatte. Er führte die Niederlage auf "viele schlechte Züge in einer Partie" zurück – und bezeichnete diese sechste Partie der WM 2023 sogar als eine seiner schlechtesten Partien aller Zeiten.

A close-up of Nepomniachtchi's face framed by Ding's arm
Volle Konzentration. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ding fand die gute Taktik 29.Sd6, verbrauchte dafür aber viel Zeit und endete neun Züge vor der ersten Zeitkontrolle mit nur 20 Minuten auf der Uhr im Vergleich zu Nepomniachtchis 53 Minuten. Der Druck, seinen Vorteil auf dem Brett aufrechtzuerhalten, lastete auf Ding. Es muss eine willkommene Erleichterung gewesen sein, dass Nepomniachtchi sehr lange in seiner Ruhezone blieb, bis er den guten Verteidigungszug 31...Kh7 gefunden hatte.

Obwohl die Engine Weiß nach 31...Kh7 immer noch einen großen Vorteil gab, bemerkte Giri, dass es immer noch schwierig war, einen Gewinn zu finden und dass noch viel Spiel in der Stellung übrig war. Ding musste jetzt auch schneller spielen und übersah dabei den "unmenschlichen Zug" 32. De1 und entschied sich stattdessen für 32. Tc5. Jetzt schien Nepomniachtchi das Remis halten zu können.

Anstatt aber den Bauern aber c3 zu schlagen, gab Nepomniachtchi ein Schach auf c1. Das erlaubte Ding ohne groß Nachzudenken den Zug 33.Kh2 zu spielen und danach hatte er nicht nur eine bessere Stellung, sondern war auch der Zeitkontrolle einen Zug näher gekommen.

Als Schwarz damit begann seinen a-Bauern über das Brett laufen zu lassen wären die meisten Amateure sicher nervös geworden, aber Ding blieb ruhig und nutzte sieben seiner verbleibenden Minuten, um den Zug 35.Sxc4 zu berechnen. Seine nächsten Züge spielte er schnell und mit computerähnlicher Präzision und seine Fans stießen zweifellos einen erleichterten Seufzer aus, als er mit weniger als fünf verbleibenden Minuten auf seiner Uhr die Zeitkontrolle erreicht und weiterhin die klar bessere Stellung hatte.

Ding and Rapport smiling after the game
Vor dem Erreichen der Zeitkontrolle hatte Rapport sicherlich nicht so unbeschwert gelacht! Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nachdem er die Zeitkontrolle erreicht hatte, dachte Ding fast 20 Minuten über seinen nächsten Zug nach und entschied sich schließlich für 41.d5. Dies war zwar nicht der beste Zug in der Stellung – das atemberaubende 41. Tb7 ist die erste Wahl der Engine und 41.Sg6 die zweite – aber es war trotzdem ein guter Zug, der die möglichen Antworten von Schwarz limitiert und gleichzeitig ein potenzielles Mattnetz spinnt.

Nachdem Nepomniachtchi seinen a-Bauern auf die siebte Reihe gezogen hatte, kehrte ein sichtlich aufgeregter Ding ans Brett zurück und spielte den Zug 42.Dc7. Jetzt suchten die Kommentatoren nach der gewinnenden Fortsetzung und selbst Giri konnte das Damenopfer nicht finden. Später nannte er diese Kombination eine geniale Berechnung von Ding.

Nach der Partie wollte Ding der Aussage, dass es eine geniale Partie war, zwar nicht ausdrücklich zustimmen, aber er sagte, dass mit sehr zufrieden war, dass er die Idee mit d5 gefolgt von Dc7 gefunden hatte. Er sagte auch, dass er Giris Prophezeiung gesehen habe, dass er nach seiner Niederlage in der fünften Partie zurückkommen und das Ergebnis erneut ausgleichen würde und dankte Giri für sein Vertrauen in ihn.

Nach dem Zug 44.Df7 war das Schachmatt dann nicht mehr zu verhindern und Nepomniachtchi gab auf.

Nepomniachtchi extending his hand while smiling as he resigns
Nepomniachtchi gibt mit einem Lächeln auf. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Großmeister Rafael Leitao hat die Partie für uns analysiert.

GM Rafael Leitao GotD

Hikaru Nakamura hat sie natürlich auch analysiert:

Fabiano Caruana und Cristian Chriila ebenfalls:

Und auch "The Big Greek" war wieder fleißig:

Viele der Partien dieser WM waren einseitig, aber nicht immer für denselben Spieler. Giri führt dies darauf zurück, dass die Spieler zwar gleichstark, aber auch "asymmetrisch" sind - jeder zeichnet sich in Stellungen aus, in denen der andere weniger gut abschneidet. In diesem Jahrtausend gab es noch keine Weltmeisterschaft mit so vielen gewonnenen Partien. Die letzten Weltmeisterschaften, bei denen in den ersten sechs Runden vier oder mehr Partien gewonnen wurden, waren die Duelle Karpov-Anand 1998 und Karpov-Kamsky 1996.

Als die Spieler selbst danach gefragt wurden, warum schon so viele Partien mit Siegen endeten, antwortete Nepomniachtchi: "Fragen Sie mich bitte an einem anderen Tag." Ding bemerkte mit einem Lächeln, dass sie noch nicht so professionell seien wie Magnus Carlsen. Ding erwähnte auch, dass die entscheidenden Ergebnisse auf frühe Abweichungen von langen, erzwungenen Computervarianten in der Eröffnung zurückzuführen sein könnten.

Ding at the press conference
Am Sonntag konnte Ding wieder lächeln. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Die WM nähert sich der Halbzeit und beide Spieler müssen in der optimalen mentalen Verfassung bleiben, um ihr Bestes geben zu können. Ding hatte sich von seiner Niederlage in der fünften Runde gut erholt und gab einen Einblick in seine Belastbarkeit. Er sagte, sein Ziel in der Eröffnung war, etwas zu spielen, mit dem er vertraut sei und dass er nach der Niederlage in der vorherigen Partie versucht hatte, ruhig zu bleiben.

Ding sagte auch, dass er sich während der Partie sehr gut gefühlt habe und dass ihn seine gestrige Niederlage nicht so sehr beeinflusst habe. Es bleibt abzuwarten, ob er die nötige Konstanz aufbringen kann, um zum ersten Mal bei dieser WM in Führung gehen zu können. Da aber schon mehrere Kommentatoren einige Bedenken über sein Schwarzrepertoire äußerten, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass wir noch einen sehr spannenden Kampf erleben werden.

Nepomniachtchi holds his face during the press conference
Pressekonferenzen nach einer Niederlage machen sichtlich keinen Spaß. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nepomniachtchi war nach seiner Niederlage verständlicherweise verärgert und verwies wiederholt mit harscher Selbstkritik auf seine schlechten Züge während der gesamten Partie. Auf die Frage, ob ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung zu seiner Niederlage beigetragen hat, wies er diese Vermutung zurück und sagte: "Die Anspannung ist groß und manchmal kann man einfach nicht sein Bestes geben."

Nepomniachtchi hat in diesem Match bereits einmal bewiesen, dass er sich von einer Niederlage erholen kann und er hat auch mehr WM-Erfahrung als sein Gegner. Er hat jetzt einen Ruhetag, um sich zu erholen und wir werden bald wissen, ob die sechste Partie als Wendepunkt dieser WM in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Der aktuelle Spielstand

Name Elo 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 Punkte
Ding Liren 2788 ½ 0 ½ 1 0 1 . . . . . . . . 3
Ian Nepomniachtchi 2795 ½ 1 ½ 0 1 0 . . . . . . . . 3

Die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 ist das wichtigste Schach-Event des Jahres und entscheidet, wer der nächste Weltmeister wird. Ian Nepomniachtchi und Ding Liren spielen ein Match, um zu entscheiden, wer Carlsens Thron übernimmt, nachdem der aktuelle Weltmeister seinen Titel niedergelegt hat. Das Match ist mit 2 Millionen Euro dotiert und wird über 14 klassische Partien gespielt. Der erste Spieler, der 7.5 Punkte erzielt, gewinnt.


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