Superbet Chess Classic Romania, Runde 9: Vachier-Lagrave gewinnt im Playoff
In der neunten und letzten Runde des Superbet Chess Classic Turniers in Bukarest produzierten die Spieler genau die Ergebnisse, die zu einem Playoff zwischen gleich drei Spielern führten.
Maxime Vachier-Lagrave konnte durch seinen Sieg über Alireza Firouzja mit den beiden Führenden Levon Aronian und Wesley So, die beide nur Remis spielten, gleichziehen.
Das Playoff wurde im Modus "Jeder gegen jeden" und im Schnellschachformat gespielt und am Ende konnte Vachier-Lagrave den Siegerpokal mit nach Frankreich nehmen.
Das nächste Turnier der Grand Chess Tour 2022 findet in der polnischen Hauptstadt Warschau statt und beginnt bereits diesen Donnerstag, am 19. Mai, um 14.00 Uhr.
So könnt Ihr zusehen
Wir übertragen alle Partien der Grand Chess Tour 2022 auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube.
Die Partien des Superbet Chess Classic Romania findet Ihr hier auf Chess.com/events.
Runde 9
Bereits im Interview nach der Partie gegen Ian Nepomniachtchi vom Vortag sagte Aronian, dass er in seiner letzten Partie gegen Shakhriyar Mamedyarov nicht "All-in" gehen würde.
Nicht All-in zu gehen war dann gelinde gesagt eine Untertreibung, denn er hat zu keinem Zeitpunkt der Partie versucht zu gewinnen. Beide Spieler tauschten bei jeder sich bietenden Gelegenheit Figuren und hörten damit erst aus, als sie einen Weg gefunden hatten, um die Züge zu wiederholen.
Für Co-Leader Wesley So war die Aufgabe klar: Bloß nicht verlieren! Sein Gegner Leinier Dominguez hätte dagegen mit einem Sieg in der Abschlusstabelle noch einen gewaltigen Satz nach vorne machen können.
Da die Eröffnungspräferenzen beider Spieler ziemlich bekannt waren, war es keine Überraschung, dass die Partie mit einer italienischen Eröffnung begann.
Weiß erspielte sich einen winzigen Vorteil, den er bis etwa zum 25. Zug behielt, aber nach 25.Sf1 hatte Schwarz ausgeglichen und nach 26.Ta4 sogar eine leichte Initiative.
Langsam aber sicher stellte sich heraus, dass Schwarz die Oberhand hatte und es schien, als könnte er problemlos auf mehr spielen, ohne dabei etwas zu riskieren. Doch bot So eine Zugwiederholung an, die Dominguez überraschenderweise annahm.
Für den rumänischen Großmeister Bogdan-Daniel Deac war dieses Turnier ein Erfolg. Vor dieser Runde hatte er sich respektable vier Punkte erspielt und wenn er seinen Vorteil gegen Dominguez genutzt hätte, hätten es sogar noch mehr sein können.
Vor der Runde gratulierte ihm dann GM Florin Gheorghiu, der "Robert Hübner" des rumänischen Schachs in den 1960er bis Anfang der 1980er Jahre, zu seiner Leistung.
Im Interview nach der achten Runde hatte Deac seine Strategie gegen Fabiano Caruana bereits preisgegeben: "Gut spielen"
Genau das hat er dann auch getan. Caruana versuchte von Anfang an die Dinge zu verkomplizieren und wählte dafür die Eröffnung, die er schon in der ersten Runde gegen Richard Rapport gespielt hatte. Im siebten Zug entschied er sich allerdings für 7...Dc7.
Bis über den 20. Zug hinaus folgten die Spieler der Theorie und tauschten dabei schon ziemlich viel Material ab. Das führte dann zu einem Endspiel, in dem Caruana für seinen Minusbauern das Läuferpaar als Kompensation hatte. Das war zwar absolut genügend Kompensation, aber da Deac seine Strategie, gut zu spielen, fortsetzte, war es nie mehr als das und nach 55. Zügen einigten sich die Spieler auf ein Remis.
Man kann davon ausgehen, dass sowohl Richard Rapport als auch Ian Nepomniachtchi mit ihrem bisherigen Turnierverlauf völlig unzufrieden waren. Beide hatten Chancen weit mehr Punkte zu erzielen, aber beide litten unter einer Vielzahl individueller Krankheiten, die das Turnier ruinierten. Zwei Anfälle schwerer Schachblindheit kosteten Rapport zwei Niederlagen in Partien, in denen er mindestens 1,5 Punkte hätte erzielen müssen und Nepomniachtchi war von einem Geschwindigkeitsdämon gebissen worden und hatte Chancen links, rechts und in der Mitte des Bretts liegenlassen. Um zu erklären, wie viele Punkte ihm dieses Problem gekostet hat, bräuchte man einen Doktortitel in Mathematik, aber es waren definitiv eine Menge.
Unter normalen Umständen würden zwei solche Spieler einen Weg finden, in der letzten Runde ein schnelles Remis zu erzielen, aber anscheinend waren weder die Umstände noch die Spieler normal. Sie lieferten sich einen Kampf, der perfekt veranschaulichte, warum ihre jeweiligen Turniere so verlaufen waren, wie sie verlaufen waren.
In einem Nimzo-Inder mit 4.Dc2 blitzten beide Spieler eine Reihe von Zügen heraus, die zu einer ungefähr ausgeglichenen Stellung führten. Dann begann Nepomniachtchi zuerst mit 15...Sb8, dann mit 19...Sd7 und schließlich mit 22...Sc5 ungenau zu spielen. Letzteres war zwar die richtige Idee, aber die falsche Zugreihenfolge. Damit hatte er seine schlechte Stellung in eine völlig verlorene umgewandelt. Komischerweise hatte Nepomniachtchi aber über seinen 22. Zug bis zu diesem Zeitpunkt am längsten nachgedacht!
Zum Glück für den Russen entschied sich Rapport gegen eine einfache Fortsetzung, die Schwarz mit einer hoffnungslos verlorenen Stellung zurückgelassen hätte. In der Partiefortsetzung hatte Rapport zwar auch einen großen Vorteil, aber nach mehreren Ungenauigkeiten wurde die Stellung wieder ausgeglichen und es entstand ein remises Turmendspiel.
Die Partie zwischen Firouzja und Vachier-Lagrave war für beide Spieler wichtig. Mit einem Sieg hätte sich Firouzja seine Stellung als Nummer eins in Frankreich gefestigt, Vachier-Lagrave in der Tabelle überholt und seinen Elo-Verlust begrenzt. Vachier-Lagrave hingegen hatte noch eine Chance auf den Turniersieg und natürlich wollte er auch zeigen, wer die wahre Nummer 1 in Frankreich ist.
Auf Firouzjas 1.d4 antwortete Vachier-Lagrave mit der Grünfeld-Verteidigung und Firouzja entschied sich darauf für die positionelle Fianchetto-Variante.
Die von Firouzja gewählte Variante gilt als nicht besonders ambitioniert für Weiß, sondern zielt darauf ab, eine spielbare Stellung zu erreichen, in der der bessere Schachspieler und nicht der besser vorbereitete Spieler Gewinnchancen bekommt. Allerdings kann Schwarz auch ziemlich bequem ausgleichen.
Die Stellung blieb ausgeglichen, bis Vachier-Lagraves mit seinem Zug 27...Te3 versuchte, das Boot ins Wanken zu bringen und da Firouzja etwas ungenau reagierte, bekam Schwarz, was er wollte: Eine unausgeglichene, aber für ihn nicht schlechtere Stellung, in der er auf Sieg spielen konnte. In der Zeitnotphase vor dem 40. Zug unterlief Firouzja ein schwerer Rechenfehler und Schwarz konnte sich einen klaren Vorteil verschaffen.
Direkt nach der Zeitkontrolle unterlief Firouzja ein zweiter Fehler und Vachier-Lagrave hatte ein Endspiel mit Turm, Springer und zwei Bauern gegen Turm und drei Bauern erreicht. Dieses Endspiel war zwar nicht leicht zu gewinnen, aber Vachier-Lagrave fand einen Weg, um die Bauern auf dem Brett zu behalten und seinen König zu aktivieren und dann war es um Weiß geschehen.
Die Regeln sahen vor, dass bei drei Spielern ein Rundenturnier mit einer Bedenkzeit von 10+10 gespielt wird.
Die Auslosung ergab die folgenden Partien in der folgenden Reihenfolge:
1. So gegen Aronian
2. Vachier-Lagrave gegen So
2. Aronian gegen Vachier-Lagrave
So - Aronian
In einem angenommenen Damengambit entschied sich So für das scharfe 3.e4 und nicht für das solide Abspiel, das wir während des gesamten Turniers ständig gesehen haben. Auf den ungenauen Zug 10.Sdb5 von Weiß antwortete Schwarz mit 10...Le6, was ein großer Fehler war. Weiß bekam dadurch einen klaren Vorteil, den So in den nächsten Zügen sogar noch ausbauen konnte.
Weiß erreichte ein Leichtfigurendspiel mit zwei Mehrbauern, was eigentlich ein trivialer Gewinn sein sollte. Aber wie wir in Aronians Partien gegen Firouzja und Nepomniachtchi gesehen haben, kann er unglaublich einfallsreich sein und ein paar Mal sah es dann tatsächlich so aus, als würde Aronian einen weiteren Houdini-Trick aus seinem Hut zaubern.
Schließlich konnte So seinen Vorteil aber verwandeln und hatte damit einen perfekten Start in das Playoff erwischt.
Vachier-Lagrave - So
Mit einem Remis in seiner zweiten Partie hätte sich So zumindest den zweiten Platz gesichert und bei einem Sieg hätte er das Turnier gewonnen gehabt. Was folgte, war dann eine der verrücktesten Partien, die wir seit langer Zeit zu sehen bekommen haben.
Vachier-Lagrave eröffnete die Partie mit dem Zug 1.c4, der oft darauf hindeutet, dass Weiß lange Theorievarianten vermeiden und einfach nur Schach spielen will. So konnte aber locker ausgleichen.
Im Mittelspiel übernahm Schwarz die Initiative und baute Druck gegen den etwas verwundbaren König von Weiß auf. Als Vachier-Lagrave dann ungenau spielte, nahm der Vorteil eine konkretere Form an und Schwarz erspielte sich einen großen, wenn nicht entscheidenden Vorteil. Aber der Franzose ließ sich immer wieder Verteidigungszüge einfallen, die die Partie am Laufen zu hielten und insbesondere sein kaltblütiges 28.h3 und später 35.Ke1 waren etwas Außergewöhnliches.
Der Amerikaner hatte gleich mehrere Chancen um die Partie und damit auch das Turnier zu gewinnen, aber als die Zeit auf der Uhr knapp wurde, folgte Fehler auf Fehler und beide Spieler hatte abwechselnd gewonnene Stellungen auf dem Brett und am Ende verlor So auf Zeit.
Verständlicherweise war So danach ziemlich frustriert. Anstatt den Siegerpokal in Empfang nehmen zu können, musste er jetzt auf einen Sieg von Aronian hoffen, um zumindest noch eine zweite Chance zu erhalten.
Aronian - Vachier-Lagrave
Die Ausgangslage war klar. Bei einem Sieg von Aronian würde das Playoff fortgesetzt werden. Bei jedem anderen Ergebnis würde Vachier-Lagrave das Turnier gewinnen.
Mit seinem Zug 3.Lc4 verhinderte Aronian, dass Vachier-Lagrave seine geliebte Najdorf Variante spielen kann. Schwarz antwortete aber mit einer ganz neuen Idee: Mit 4...Sc6 gefolgt von 5...h6 bereitete er den Zug ...g7-g5 vor.
Weiß begann, mit seinen Bauern am Königsflügel nach vorne zu stürmen, aber als Schwarz mit 14...d5 konterte, stand er bereits bequem besser und mit dem Zug 25...Se4 baute er seinen Vorteil sogar aus.
Dass Weiß nicht vollständig zusammenbrach, lag an einer Mischung aus Aronians Durchhaltevermögen und Vachier-Lagraves Unfähigkeit, den entscheidenden KO-Schlag zu finden, von denen es mehrere gegeben hätte.
Aronian verteidigte sich aber kreativ und Vachier-Lagraves Vorteil schrumpfte immer weiter zusammen. Obwohl Aronian zu keinem Zeitpunkt besser stand, hatte er mehrere Male ausgeglichen, aber da er die Partie gewinnen musste, musste er Risiken eingehen.
Am Ende ging Aronian ein zu großes Risiko ein und musste sich geschlagen geben.
Abschlusstabelle
Alle Partien des letzten Tages
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