Superbet Chess Classic Romania, Runde 8: Aronian entkommt einer Niederlage
In der achten Runde des Superbet Chess Classic, die an einem Freitag dem 13. ausgetragen wurde, konnte lediglich Leinier Dominguez gewinnen. Der Wahl-Amerikaner profitierte dabei von einem weiten Fehler von Shakhriyar Mamedyarov, bei dem in diesem Turnier einfach nichts zusammenläuft.
Die anderen Partien wurden so lange gespielt, bis absolut kein Gewinnpotenzial oder einfach nicht mehr genügend Material auf dem Brett war. Die größte Geschichte war jedoch das studienähnliche Remis von Levon Aronian gegen Ian Nepomniachtchi. Mehr dazu dann weiter unten.
In der Tabelle gab es keine großen Veränderungen. Levon Aronian und Wesley So führen die Tabelle weiterhin mit 5 von 8 möglichen Punkten an und Maxime Vachier-Lagrave folgt den beiden mit einem halben Punkt Rückstand.
Die letzte Runde beginnt am Samstag, dem 14. Mai um 13.00 Uhr. Die Runde wird also eine Stunde früher als üblich gestartet, da es nach Beendigung der Partie noch zu einem Playoff kommen könnte.
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Bei der Menge an Spannung, die hier in fast jeder Runde dieses Events erzeugt wird, könnte man fast die vielen Events vergessen, bei denen die Top-Spieler ein uninspiriertes und kampfloses Remis nach dem anderen spielen. Hier in Bukarest hat man selbst an den Tagen mit vier Remis und nur einem Sieg - und das war in den meisten Tage der Fall - nie das Gefühl, nicht amüsiert oder unterhalten worden zu sein. Auch die achte Runde lieferte großartige Kämpfe und bot alles, was das Herz eines Schachfans begehrt.
Lokalmatador Bogdan-Daniel Deac spielt bisher ein sehr gutes Turnier mit einigen Auf und Abs. Zuerst nutzte er einen kompletten Zusammenbruch von Richard Rapport, um in die erste Tabellenhälfte aufzusteigen, dann brach er aber selbst ein und fand sich im Mittelfeld wieder. Das ist aber bei diesem Teilnehmerfeld ein großer Erfolg für den jungen Rumänen, von dem wir in der Zukunft sicher noch des Öfteren hören werden.
Am Freitag musste er gegen Vachier-Lagrave antreten, der am Tag zuvor ebenfalls von einem Fehler von Rapport profitieren konnte. Der Franzose lag vor dieser Runde nur einen halben Punkt hinter dem Führungsduo und wollte gegen den nominell schwächsten Teilnehmer mit Weiß natürlich gewinnen.
Deshalb entschied sich Vachier-Lagrave auch gegen ein weiteres Experiment mit 1.d4 und kehrte zu 1.e4 zurück. Deac entschied sich als Antwort darauf für die russische Verteidigung und hatte sich vorher zweifellos Vachier-Lagraves merkwürdiges Experiment mit dem frühen Sd3 in Runde eins genauer angesehen.
In dieser Partie folgte Weiß bis zu seinem Zug 11.Le3, der eine Abweichung von der Hauptvariante mit 11.Sc3, die in zwei von Vachier-Lagraves eigenen Partien und einer Partie aus dem letztjährigen Weltmeisterschaftsmatch zu sehen war, darstellt, gut erforschten Pfaden.
Deac war davon aber alles andere als beeindruckt und glich mühelos aus. Als er sich der Zeitkontrolle näherte und noch viel Zeit auf der Uhr hatte, navigierte er fachmännisch durch Vachier-Lagraves Versuche, die Stellung zu verkomplizieren und konnte die meisten Figuren abtauschen.
Nach der Zeitkontrolle steuerte Deac die Partie dann in ein einfaches Turmendspiel, das er problemlos Remis halten konnte.
Eine sehr solide Leistung des jungen Rumänen. Im Interview nach der Partie wurde er nach seinem Plan für die letzte Partie Fabiano Caruana gefragt. "Gut spielen", war Deacs perfekte Antwort. Seine Logik ist nur schwer zu bemängeln.
Der eben erwähnte Caruana spielte mit Weiß gegen den Tabellenletzten Rapport, der sicher schon das Ende dieses Turniers herbeisehnt, um sich auf seine nächsten beiden Events vorzubereiten: Das Norway Chess, das Ende des Monats beginnt und das Kandidatenturnier, das am 16. Juni in Madrid beginnt. Besonders wenn man auf der Suche nach seiner Form von Anfang dieses Jahres ist, ist das ein ehrgeiziges Programm.
In einem sizilianischen Vierspringerspiel entschied sich Rapport für die gleiche Variante, die er schon im gleichen Turnier gegen Alireza Firouzja gespielt hatte. Im achten Zug wich er davon ab und spielte eine Variante, mit der Caruana letztes Jahr beim FIDE Grand Swiss in Riga konfrontiert war. Das war das Turnier, bei dem sich Caruana und Firouzja ihre Tickets für das bevorstehende Kandidatenturnier erspielen konnten.
Obwohl Caruana in der eben erwähnten Partie in Riga hervorragende Chancen hatte, entschied er sich in Bukarest für die Hauptvariante 9.c4, was Weiß offensichtlich einen massiven Raumvorteil verschafft. Die allgemeine Praxis hat jedoch gezeigt, dass Schwarz gute Konterchancen hat.
Nach Rapports Zug 13...Db5 änderte sich seine Stellung aber von etwas passiv zu sehr passiv und geradezu miserabel. Caruana hatte dann ein bisschen Mühe, um ein Setup zu finden, das ihm gefiel und sein Vorteil begann ein wenig zu schwinden.
Nach Caruanas Zug 24. Dxa6 hatte Schwarz dann ausgeglichen, musste aber weiterhin die besten Züge finden. Optisch stand Weiß aber weiterhin besser und das hatte Caruana wohl zu dieser Fortsetzung verlockt.
Rapport hatte jetzt aber gerade so genügend Gegenspiel, um das Gleichgewicht zu halten. Dann wurde viel Material abgetauscht und das Endspiel war für keinen der Spieler zu gewinnen.
Dominguez konnte vor zwei Runden aus einer schlechten Stellung heraus gegen Deac seine erste Partie in diesem Turnier gewinnen. In dieser Runde traf er auf Mamedyarov, der in der siebten Runde gegen Nepomniachtchi eine wahre Achterbahnfahrt gewonnen hatte.
In einem weiteren angenommenen Damengambit versuchte Mamedyarov die Modevariante dieses Turniers mit 7.b3. Dominguez zeigte wie gewohnt eine tolle Vorbereitung und glich glatt aus. Im Mittelspiel tauschten die Spieler langsam aber sicher die Figuren ab, was scheinbar darauf hindeutete, dass beide mit dem scheinbar bevorstehenden Remis zufrieden waren.
Obwohl die Figurenverteilung so aussah, als würde Schwarz leicht besser stehen, wurde Mamedyarov dann etwas zu überehrgeizig. Da der weiße Springer kein wirklich sicheres Feld hatte, begann Mamedyarov seine Bauern am Königsflügel nach vorne zu schieben und den Springer zu jagen. Das bedeutete aber auch, dass beide Könige etwas verwundbar wurden.
Das war eine riskante Entscheidung, denn bekanntlich ist die Angriffskraft einer Dame und eines Springers normalerweise der einer Dame und eines Läufers überlegen. Im vorliegenden Fall sogar noch mehr, weil der Läufer auf c4 ins Abseits gedrängt worden war und nicht wirklich in die Partie eingriff.
Kurz vor der Zeitkontrolle begann die Partie aber zu Gunsten von Schwarz zu kippen und spätestens im 39. Zug wurde klar, dass der weiße König viel anfälliger war als sein Gegenüber.
Komischerweise sind es bei diesem Turnier genau die Züge unmittelbar nach der Zeitkontrolle, bei denen die meisten Fehler passieren und diese Partie folgte diesem Muster. Als Mamedyarovs Dame anfing, eine Fata Morgana zu jagen und den schwarzen König zu verfolgen, stellte sich plötzlich heraus, dass dieser König vollkommen sicher war und stattdessen der weiße König nicht verteidigt werden konnte.
Ein paar Züge später musste Weiß das Handtuch in den Ring werfen. Damit befindet sich Dominguez wieder im Mittelfeld der Tabelle und Mamedyarov muss wie die meiste Zeit in diesem Turnier die Tabelle auf den Kopf stellen, wenn er seinen Namen ganz oben sehen möchte.
Nach seinem großartigen Sieg in der siebten Runde gegen Dominguez war Firouzja bester Laune und gab bekannt, gegen So mit Schwarz auf Sieg spielen zu wollen. So wies hingegen darauf hin, dass es etwas schwierig sei, sich auf Firouzja vorzubereiten, da er in letzter Zeit keine Turnierpartien und noch nicht einmal online gespielt hat.
Da Firouzja gegen Deac die königsindische Verteidigung gespielt und beim Interview nach der Partie den Anschein erweckt hatte, dass er sich mit dieser Eröffnung ziemlich intensiv beschäftigt hatte, entschied sich So für 1.e4 und in der französischen Verteidigung für die super-solide Abtauschvariante, was seinen Gegner sichtlich frustrierte.
Nach präzisem Spiel von beiden Seiten wurden die Figuren systematisch ausgetauscht und schließlich wurde das unvermeidliche Remis Realität. Nicht die aufregendste Partie der Schachgeschichte, aber das kann passieren, wenn man ankündigt, mit Schwarz gegen So gewinnen zu wollen.
Der letztjährige WM-Herausforderer und diesjährige Teilnehmer des Kandidatenturniers Nepomniachtchi hatte bei diesem Event einige Probleme. Die meisten von ihnen schienen jedoch völlig hausgemacht zu sein, weil er in Situationen, in denen Geduld und sorgfältige Überlegung gefragt war, zu schnell und zu nachlässig spielte. In der siebten Runde gegen Mamedyarov kostete ihm das zuerst den Sieg und dann auch noch das Remis.
Aronian hat in diesem Turnier genau die gegenteilige Erfahrung gemacht. Er hat einige gute Partien gewonnen und in einigen anderen Chancen auf mehr gehabt. Und in der Partie gegen Firouzja hatte er auch ziemlich viel Glück. So ging er als Tabellenführer in diese Runde und offensichtlich war es sein Ziel, diese nicht durch eine Niederlage abgeben zu müssen.
Nepomniachtchi entschied sich für die italienische Eröffnung und die beiden Spieler folgten bis zum 11. Zug der Partie zwischen Nepomniachtchi und Mamedyarov. Dann wich Aronian aber ab, und spielte 11...d3 statt Mamedyarovs Zug 11...Kh8. Diese Variante ist Aronian nicht neu, denn er hatte sie bereits 2019 gegen Vachier-Lagrave und letztes Jahr gegen Dominguez gespielt. Der russische Großmeister vermied es, in diese Partien hineinzuspielen und wich mit 15.De4 ab. Die Neuerung in dieser Partie brachte aber dann Aronian mit seinem Zug 16...Le7 aufs Brett. Dieser Zug schien auszugleichen, aber nach einer Ungenauigkeit gleich im nächsten Zug hatte Weiß anscheinend die Initiative.
Aronian entschied sich dann für ein Endspiel mit Turm und fünf Bauern gegen Läufer, Springer und vier Bauern. Im Interview nach der Partie sagte er, dass es bei umsichtiger Spielweise immer Remis sein sollte.
In der Fortsetzung spielten beide Spieler mit einem Tempo, bei dem man vermuten hätte können, dass sie direkt nach der Partie einen Flug erwischen müssen. Da dies aber offensichtlich nicht der Fall war, erschien dieses übereilte Spiel völlig verantwortungslos.
Anstatt den Ausgleich zu halten, erlaubte Aronian seinem Gegner Fortschritte zu machen und nach 33...c6 hatte Weiß die Möglichkeit b4-b5 zu spielen und einige Züge später den Bauern auf b6 zu stellen, was Aronian ernsthafte Kopfschmerzen bereitet hätte.
Aber wie schon mehrere Male zuvor spielte Nepomniachtchi wieder zu schnell und ließ Aronian fast vollständig vom Haken. Nach einigen weiteren viel zu schnell gespielten Zügen steckte Aronian erneut in Schwierigkeiten und erst als Weiß schon den Sieg vor Augen hatte, begann er ernsthaft nachzudenken.
Dann aber begann Aronian zu zaubern und verleitete Weiß dazu, den g6-Bauern zu gewinnen, obwohl eigentlich der b7-Bauer der Hauptpreis gewesen wäre. Erst als es zu spät war, erkannte Nepomniachtchi die Drohung von Schwarz. Aronian wollte mit einer Minusfigur genau die Festung errichten, die Sam Shankland 2019 in Wijk aan Zee gegen Anish Giri aufgegeben hatte.
Dieses Endspiel ist zwar dann nicht entstanden, aber alleine durch die Drohung konnte Aronian, wie schon in seiner Partie gegen Firouzja, dem Teufel auf wundersame Art von der Schippe springen. Falls es jemals einen klareren Grund gab, um an Endspielstudien zu arbeiten, kenne ich ihn nicht. Eine brillante Parade von Aronian - ein weiterer Herzschmerz für Nepomniachtchi.
Die Tabelle nach der achten Runde
Alle Partien der achten Runde
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