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Schach-WM, Runde 6: Caruana verpasst die "Mission Impossible"

Schach-WM, Runde 6: Caruana verpasst die "Mission Impossible"

MikeKlein
| 1 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Sechzehntausendachthundertachtundsiebzig Tage ist es her, dass ein Amerikaner eine Partie in einer offiziellen Schachweltmeisterschaft gewinnen konnte (das war die Partie Nummer 21 am 31. August 1972, als Fischer gegen Spassky gewann). Und weil der beste amerikanische Schachspieler der Neuzeit kein Supercomputer ist, müssen sich die amerikanischen Schachfans noch mindestens 2 weitere Tage gedulden.

In der sechsten Runde der Schachweltmeisterschaft 2018, drückte Fabiano Caruana vehement auf den Sieg, konnte aber den unglaublich verworrenen Gewinnweg nicht finden.schwer zu findenden Gewinnweg.

Der norwegische Supercomputer "Sesse" zeigte bereits ein "Matt in 30" an, aber selbst die besten Großmeister waren mit der Komplexität der Varianten überfordert.

Magnus Carlsen

Es war ein Tag zum Haare raufen für Magnus Carlsen. | Photo: Mike Klein/Chess.com.

GM Ian Rogers war einer von ihnen. Der erfahrene Journalist informierte Magnus Carlsen, dass seine Festung nicht hätte halten sollen, doch selbst er hatte Schwierigkeiten, alle Varianten zu erklären.

"Ich werde den Computern nicht widersprechen, aber ich verstehe es einfach nicht", sagte Carlsen, nachdem er informiert wurde, dass 68...Lh4 der Schlüssel zum Sieg gewesen wäre.

Ian Rogers

GM Ian Rogers versuchte Carlsen dann zu erklären, warum die Stellung eigentlich verloren war, scheiterte aber an den unzähligen Nuancen. Er war aber in guter Gesellschaft: GM Peter Svidler konnte auch nicht alles erklären und das, obwohl er direkt vor "Sesse" saß, der ihm die Varianten aufzeigte! | Foto: Mike Klein/Chess.com.

Ja, aber ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich diese Stellung analysieren und bewerten sollte. Überhaupt keine. - Mark Crowther

Sieh Dir einfach Grischuk und Svidler an und wie verwirrt sie sind. Sesses Varianten ergeben einfach keinen Sinn. Grischuk hat die richtigen Ideen gefunden, aber sie können nicht herausfinden, wie man sie forciert umsetzen kann. - Jonathan Tisdall

Die Weltmeisterschaft geht somit nach sechs Partien und 6 Unentschieden mit einem Spielstand von 3 : 3 in die "Halbzeitpause". Nach dem morgigen Ruhetag wird  Carlsen zum zweiten Mal in Folge Weiß haben. Bei dieser WM war das allerdings bis jetzt kein Vorteil, denn in den ersten 6 Partien stand Schwarz mindestens gleichwertig und meistens sogar besser.

"Magnus konnte bis jetzt mit Weiß noch überhaupt nichts zeigen, sagte Maxime Vachier-Lagrave in der Live-Show von Chess.com, der beinahe 50.000 Zuschauer gleichzeitig folgten. Der französische Spitzenspieler nannte Carlsens Versuch, einen Eröffnungsvorteil zu erlangen, sogar "naiv".

Fabiano Caruana

Im Gegensatz zu den 1980er Jahren erzielt diese "Hand Gottes" nicht immer ein Tor. Fabiano Caruanas Qualitäten als Verteidiger haben sich stark verbessert. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

Lange vor dem Ende der über sechsstündigen Partie, der zweitlängsten Partie dieser Weltmeisterschaft, spielte Carlsen seinen dritten verschiedenen Eröffnungszug. Caruana auf 1. e4 mit der Philosophie seines Helfers aus dem 19. Jahrhundert,  Alexander Petroff. Somit war auch die Frage beantwortet, ob der Herausforderer, trotz der Veröffentlichung seiner Eröffnungsdateien, die in dem inzwischen berüchtigten durchgesickerten Video gezeigt wurden, seine Strategie ändern würde oder nicht.

Nachdem Caruana 2...Sf6 statt 2...Sc6 gespielt hatte, machte Carlsen eine kurze Pause und wandte sich den Fotografen zu, genau wie er es einen Tag zuvor nach 6. b4 getan hatte. Dieser Zug war aber sicher keine Überraschung, sondern eher eine Herausforderung - Carlsen konnte nun versuchen, seinen Herausforderer in seiner Paradeeröffnung zu schlagen.

Magnus Carlsen

Carlsen wollte unbedingt mehr über das Endspiel erfahren. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

Die Partie wurde schnell zu einem Pferdeballett, denn in 15 der ersten 20 Züge wurden nur die Springer gezogen! Einmal machte Caruana sogar 7 Springerzüge in Folge und bei 10 seiner ersten 14 Züge griff er nach seinen Springern.

Das war schon wirklich seltsam! Caruanas Königsspringer unternahm sieben Züge, um von g8 nach e7 zu gelangen, ein Vorgang, der normalerweise in einem einzigen Zug stattfindet. Leider stabilisierte sich die Partie aber schnell zu einer symmetrischen Bauernstruktur, die eher aus der französischen Abtauschvariante, als aus der russischen Verteidigung entsteht.

"Ich denke, die Eröffnung war relativ harmlos und ich war ziemlich nahe am Ausgleich; vielleicht stand ich etwas schlechter", sagte Caruana. "Es sieht zwar sehr komisch aus, führt aber leider zu einer sehr langweiligen Stellung."

Dann aber überspielte der Amerikaner seinen Rivalen, der bei dem Versuch, einen Abtausch von Springer gegen Läufer zu vermeiden, zu passiv wurde. Caruana gelang es dann,
genau wie in Carlsens Scouting-Bericht vorhergesagt, dass sein Gegner das Zentrum bevorzugt (es gab eine Variante, in die Caruana stattdessen auf den A-Bauern hätte gehen können, aber er wollte den D-Bauern) einen Randbauern gegen einen Zentrumsbauern zu tauschen..

Seiner Meinung nach war Carlsen danach mehr oder weniger gezwungen, in ein unübersichtliches Endspiel überzuleiten, wobei er eine Figur für 3 Bauern opferte. Er hatte sich aber verkalkuliert, denn am Ende waren es nur 2 Bauern und diese wurden schnell auf einen einzigen Mehrbauern reduziert. Der Norweger konnte aber eine fast uneinnehmbare Festung aufbauen, die nur von der erstaunlichen Rechenleistung eines Supercomputers niedergerissen werden konnte.

Magnus Carlsen Fabiano Caruana

Die Spieler blicken konzentriert auf GM Danny Kings Computer. In diesem Endspiel gibt es viel zu entdecken. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

„Das ist keine Stellung, für die man sich entscheidet, wenn man vernünftige Alternativen hat, aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun können“, sagte Carlsen nach dem Bauernverlust. „Ich fühlte mich nicht gut dabei, besonders nicht, nachdem mir klar wurde, dass ich einen Bauern verlieren werde. Ich weiß nicht, ob es da viele Alternativen gibt."

Sam Shankland

Hier ist die Gewinnvariante bis zum Matt. Gefunden mit der Hilfe von Sesse, Stockfish und Endspieldatenbanken. 

Bei der ersten Frage der Pressekonferenz, die so sicher kam wie Caruanas Petroff, konnte Carlsen schon wieder lachen.

"Ich wusste, dass diese Frage kommen würde!" sagte Carlsen, als er gefragt wurde, woher sein neu gefundener Glaube an Festungen stammt (die Frage bezog sich auf seine Aussage bei der letzten WM, dass er nicht an Festungen glaubt). "Also…Es ist doch etwas schönes, dass es sie gibt, oder?"

"Ich glaube jetzt (auch) daran," sagte Caruana.

Hätte Caruana gewusst, wie man mit Läufer und Springer Matt setzt, wenn es dazu gekommen wäre?

"Ich hatte es ein paar mal und hatte bis jetzt keine Probleme damit," antwortete Caruana.

Fabiano Caruana

Die erste der beiden Schwarzpartien in Folge lief gut für Caruana. Oder sollten wir sagen: "Carlsen hat die erste von zwei Partien mit Weiß überlebt?! | Foto: Mike Klein/Chess.com.

"Ich denke, vom 22. Zug bis zur Zeitkontrolle habe ich viele, viele Fehler gemacht", sagte Carlsen. "...c5 war ein Versuch auszubrechen, ansonsten steht Schwarz etwas schlechter, und dann wurde ich mit dieser ganzen Lc2- und Td1-Sache einfach zu zwanglos."

Er sagte, er hätte seinen Läufer auf b3 behalten sollen, "wie wir es in solchen Stellungen mit isolierten Damenbauern lernen. Ich habe so viele Dinge falsch gemacht. Ich bin einfach froh, dass ich die Partie gerettet habe", sagte er.

Warum scheint Schwarz weiterhin Vorteile zu haben?

"Ich denke, die Sache ist, dass man vielleicht denkt, mit Weiß etwas fahrlässiger spielen zu können, weil man immer das Gefühl hat, dass man sich mit Weiß eher einen Fehler leisten darf", sagte Carlsen. "Ich glaube, dass das heute auch bei mir der Fall war. Mit Schwarz hätte ich wahrscheinlich im frühen Mittelspiel sorgfältiger gespielt."

Die heutige Partie bot auch einige der üblichen Intrigen einer Weltmeisterschaft. Ein FIDE-Drogentestbeauftragter hat die Spieler nach Abschluss der Partie planmäßig getestet.

Darüber hinaus wurden die Stühle der Spieler vor der Runde auf elektronische Geräte untersucht, ähnlich wie bei anderen Titelkämpfen in der Geschichte, einschließlich des letzten, bei dem ein Amerikaner involviert war. Wir erinnern uns daran, dass Bobby Fischer seinen eigenen Stuhl nach Island einfliegen ließ und dieser war so komfortabel, dass Boris Spassky ebenfalls nach seinem eigenen Stuhl verlangte.

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Die Stühle der Spieler wurden heute auf elektronische Hilfsmittel untersucht. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

"Die Weltmeisterschaft 2018 ist das am besten geschützte Schachereignis in der Geschichte, sowohl in Bezug auf die Sicherheit als auch auf fortgeschrittene Maßnahmen gegen Betrug und zur Einhaltung des FairPlay", sagte der CEO von World Chess, Ilya Merenzon, in einer Pressemitteilung. Seine Organisation stellte die berühmte Detektei Pinkerton für die Sicherheit an. "Pinkerton verwendet die fortschrittlichsten Technologien und die sind angesichts des Interesses, das diese Weltmeisterschaft weckt und der Zunahme der Wetten auf den Ausgang und des allgemeinen Profils der Veranstaltung, sehr berechtigt."

Vielleicht ist es gut, dass Caruana den schwierigen Weg zum Sieg nicht gefunden hat. Pinkerton hätte dem 13. Weltmeister sonst mit folgendem Tweet konfrontieren können:

Der Computer zeigt, dass Schwarz hier mit 68..Lh4 gewinnt. Aber hätte Caruana das unglaubliche 69.Ld5 Se2 70.Lf3 Sg1!! gespielt, würden alle sofort Metalldetektoren anfordern! Kein Mensch kann freiwillig seinen eigenen Springer so einfangen lassen.

— Garry Kasparov

Einige der Sicherheitsprotokolle dieser Veranstaltung scheinen unnötig streng zu sein, während andere einfach nur seltsam sind (die Presse darf Handys in die Spielhalle bringen, sofern sie in einer der bereitgestellten durchsichtigen Plastikhüllen verschlossen sind, aber natürlich kann eine App auch laufen, ohne dass man den Bildschirm berührt).

Magnus Carlsen

Hilfe der griechischen Götter ist offensichtlich erlaubt: Carlsen trägt Nike-Socken. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

Ob Pinkertons Unterstützung tatsächlich benötigt wird oder nicht, ist fraglich, aber laut Caruanas Sekundanten GM Cristian Chirila brauchen die Spieler in Wirklichkeit etwas ganz anderes.

"Magnus braucht Fabiano und Fabiano braucht Magnus", sagte Chirila. "Und die Schachwelt braucht beide."

Er fügte hinzu, dass die Schachwelt auch einen Sieg braucht. Heute wäre es fast soweit gewesen. Aber es war zumindest ein spannender Kampf.

Fabiano Caruana

Caruana hätte heute die Nummer 1 der Weltrangliste werden können. | Foto: Mike Klein/Chess.com.

Natürlich könnt ihr die Weltmeisterschaft live auf Chess.com verfolgen. Ferner findet ihr jeden Tag Berichte, Fotos und Analysen auf Chess.com/news.

Alle Partien könnt ihr auf Chess.com/wcc2018 nachspielen und die Live-Übertragungen mit unseren Kommentatoren IM Danny Rensch und GM Robert Hess findet ihr auf Twitch.tv/Chess oder Chess.com/TV. Die beiden werden außerdem abwechselnd von Schachgrößen wie Hikaru Nakamura, Maxime Vachier-Lagrave, Wesley So und Sam Shankland unterstützt.

GM Alex Yermolinsky wird jeden Tag ein Video mit den Höhepunkten des Tages veröffentlichen, welches ihr auf Twitch, YouTube, Facebook und Chess.com ansehen könnt. 

US-Meister GM Sam Shankland wird jede Partie für euch analysieren.

Und an jedem Ruhetag wird euch GM Yasser Seirawan mit exklusiven Videos für Chess.com Mitglieder unterhalten


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    Mike Klein began playing chess at the age of four in Charlotte, NC. In 1986, he lost to Josh Waitzkin at the National Championship featured in the movie "Searching for Bobby Fischer." A year later, Mike became the youngest member of the very first All-America Chess Team, and was on the team a total of eight times. In 1988, he won the K-3 National Championship, and eventually became North Carolina's youngest-ever master. In 1996, he won clear first for under-2250 players in the top section of the World Open. Mike has taught chess full-time for a dozen years in New York City and Charlotte, with his students and teams winning many national championships. He now works at Chess.com as a Senior Journalist and at ChessKid.com as the Chief Chess Officer. In 2012, 2015, and 2018, he was awarded Chess Journalist of the Year by the Chess Journalists of America. He has also previously won other awards from the CJA such as Best Tournament Report, and also several writing awards for mainstream newspapers. His chess writing and personal travels have now brought him to more than 85 countries.

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