Schach-WM, Runde 5: Caruanas Überraschungsgambit reicht nicht aus, um der Remisfalle zu entkommen
Nach 4 Remis in den ersten 4 Partien erlebten wir heute bei der Schachweltmeisterschaft 2018 einen "Sturm der Kategorie b4". Leider scheinen aber selbst Flügelgambits am Ergebnis nichts zu ändern.
In der fünften Runde entschied sich Magnus Carlsen erneut für die Sizilianische Verteidigung und Fabiano Caruana wiederholte die Rossolimo Variante. Als alles danach aussah, als ob sich diese Partie nur um Nuancen von der ersten und dritten unterscheiden sollte, zog der Herausforderer 6.b4!
"Es ist ja logisch, dass es Änderungen geben wird, wenn wir beide auf derselben Öffnung beharren," sagte Carlsen. Das stimmt natürlich, aber dies war die bisher überraschendste Eröffnungsidee bei dieser Weltmeisterschaft.
Magnus Carlsens Flügel wurden nach 6.b4 nicht gestutzt. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Es stellte sich dann aber als keine allzu große Überraschung heraus. Es war nicht einmal Carlsens erstes Rodeo dieses Gambits. Im Jahr 2005 hatte ein junger Carlsen gegen GM Daniel Stellwagen die gleiche Stellung am Brett. Heute schlug der Champion allerdings mit dem Springer auf b4, während er sich vor 13 Jahren für den Bauern entschieden hatte.
"Diese Variante ist sehr interessant und wenn Schwarz kooperativ ist, kann es sehr aufregend werden", sagte Caruana. "Aber Magnus kannte die Variante sehr gut und spielte sie sehr logisch."
Witzigerweise war in dem ansonsten spartanischen Raum eine andere Person mit noch mehr Erfahrung in der Variante als die bestbewertete Person der Welt! Wie kann das sein? Nun, im Jahr 1969 spielte die damalige WIM Nana Alexandria bei der Damenmeisterschaft der UdSSR gegen Valentina Borisenko das 6. b4 Gambit und hatte nach 10 Zügen exakt die gleiche Stellung auf dem Brett!
Alexandria fungiert als Schiedsrichterassistentin bei dieser WM und erklärte, dass sie die Idee von ihrem Trainer, dem verstorbenen GM Bukhuti Gurgenidze, erlernt hatte, konnte sich aber nicht mehr an das genaue Jahr erinnern.
WGM, IA Nana Alexandria und Magnus Carlsen haben nun eine Gemeinsamkeit, die sie sicher nicht erwartet hatten! | Foto: Mike Klein/Chess.com.
"Es ist doch schön, wenn Männer und Frauen auf diesem Level die gleichen Sachen spielen!" sagte Alexandria, als sie bemerkte, dass sich die Partie in die gleiche Richtung entwickelte wie ihre eigene, die sie vor fast einem halben Jahrhundert gespielt hatte.
Die unübersichtliche Stellung führte jedoch nicht zu erheblichen Chancen für einen der beiden Spieler. Carlsen sah nach dem Zug kurz zu den Zuschauern und spielte dann in aller Seelenruhe weiter. Schon bald darauf gab er dann den überzähligen Bauern zurück, um auszugleichen.
Magnus Carlsen sah nach 6. b4 kurz zur Armee der Fotografen, zeigte aber dann, dass er auch auf diesen Zug hervorragend vorbereitet war. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Caruana verbrachte viel Zeit damit, herauszufinden, wie er seine Figuren aufbauen sollte. Schließlich entschied er sich für die winzige Verbesserung La1-c3-d2. Carlsen sagte, dieses Setup sei für Weiß viel besser, als den Königsspringer auf d2 zu setzen.
Danach ging Carlsens König auf Wanderschaft, aber es gab nicht genug Munition auf dem Brett, um einen Vorteil zu erlangen. Im "King of the Hill" hätte Carlsen gewonnen, aber das ist der einzige Sieg, den er an diesem Tag für sich beanspruchen konnte. Nun, immerhin hat er mit Schwarz einen weiteren Teilerfolg erzielt, aber der Nachziehende hat während den ersten 4 Partien in London ja ebenfalls kaum gelitten.
Ein echtes Rätsel: Warum steht Schwarz in jeder Partie besser? | Foto: Mike Klein/Chess.com.
"Nachdem sich die Partie beruhigt hatte, konnte nur Schwarz besser stehen", sagte Carlsen, aber Caruana glaubte, dass er am Ende niemals in Gefahr war. Carlsen dachte, dass 20...b5 gegenüber 20...Kb6 vorzuziehen zu gewesen wäre, aber Caruana würde immer noch den Läuferrückzug nach d2 haben und dann mit Sc3 fortsetzen können.
Hier ist die Analyse des US-Amerikanischen Meisters Sam Shankland, der eine interessante Variante mit einer Doppel-Damenumwandlung zeigt, die den Ausgang der Partie aber auch nicht verändert hätte!
Carlsen dachte, dies wäre wohl nicht die beste Eröffnung aller Zeiten gewesen, aber mit dem Ergebnis der Eröffnung war er durchaus zufrieden.
"Ich war mit dem Ausgang der Eröffnung durchaus zufrieden, denn Schwarz steht einfach sicherer," sagte er. "Und zumindest oberflächlich gesehen könnte es Optionen geben, um auf mehr zu spielen. Sie war eindeutig ein Erfolg."
"Wenn wir beide mehr oder weniger korrekt spielten und keiner von uns einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat, glaube ich nicht, dass ich enttäuscht sein sollte", sagte Caruana.
Heute bekam Caruana "Hilfe" von Wikipedia, denn der Gründer der Webseite, Jimmy Wales, führte den ersten Zug aus. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Jetzt beginnt die kritische Phase der Weltmeisterschaft, denn Carlsen wird zweimal hintereinander mit Weiß spielen. Das ist, weil er morgen sowieso Weiß hat und am Sonntag die zweite "Halbzeit" der Weltmeisterschaft beginnt, bei der die Farben getauscht werden.
"Das ist entweder die Gelegenheit für einen Strike oder der Zeitpunkt, an dem man am verwundbarsten ist," sagte Carlsen. Caruana nannte diese Situation eine "ernsthafte Herausforderung", obwohl es ja schon lange feststand, dass es dazu kommen würde.
Wasserflaschen als Spielfiguren? | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Die Herausforderung könnte nach der versehentlichen Veröffentlichung von Caruanas Eröffnungsdatenbank noch schwieriger als sonst werden, denn die meisten der Dateien zeigten seine vorbereiteten Varianten mit Schwarz.
Carlsen bestand zwar bei der Pressekonferenz darauf, dass er das Video immer noch nicht gesehen hat, aber wie man sich vorstellen kann, ist ihm der Inhalt des Videos sicher nicht fremd.
"Ich wurde von Leuten, denen ich aus irgendeinem Grund vertraue, auf den Inhalt des Videos aufmerksam gemacht", sagte er.
Noch bevor sich Caruana durch den Fauxpas navigieren musste, wurde ein anderer Großmeister zum ersten öffentlichen Opfer dieser WM. Der Journalist GM Ian Rogers kündigte seine Tätigkeit als Berichterstatter für Chess Life Online, weil er mit der redaktionellen Nachbearbeitung seiner Berichte nicht zufrieden war.
Sadly parting ways with @ChessLifeOnline after a decade. I declined to accept edits to my round 4 World Ch'p report which would downplay responsibility of editors of the Caruana video, downplay the effect of the video on Caruana's chances, and omit the key image from the video.
— Ian Rogers (@GMIanRogers) November 14, 2018
Leider werde ich mich nach über einem Jahrzehnt von @ChessLifeOnline trennen. Ich weigere mich, die Änderungen an meinem Bericht der vierten Runde der Weltmeisterschaft, die die Bedeutung des Caruana Videos herunterspielen und die Löschung des Screenshots des Videos zu akzeptieren
— Ian Rogers (@GMIanRogers) November 14, 2018
Dan Lucas, der leitende Direktor für strategische Kommunikation der US-amerikanischen Schachföderation, erläuterte gegenüber Chess.com:
US Chess hat sich entschieden, den Screenshot nicht zu posten (obwohl wir der Beschreibung zugestimmt haben), da wir ihn nicht erstellt haben und das Video mittlerweile gelöscht wurde. US Chess ist letztlich für das, was wir auf unserer Website veröffentlichen, verantwortlich. Daher sind wir dazu verpflichtet, die redaktionelle Kontrolle zu behalten. Mit GM Rogers, einem der führenden Schachjournalisten der Welt, besteht seit über einem Jahrzehnt eine äußerst positive Beziehung. Wir bedauern, dass er nicht mehr mit Chess Life Online zusammenarbeiten möchte.
Der Saint Louis Chess Club war gegenüber Chess.com zu keiner Stellungsnahme bereit.
GM Cristian Chirila, einer von Caruanas Sekundanten, erschien über 10 Minuten lang in einer Live Show und sprach über die Stimmungslage in Caruanas Lager.
"Als Sekundant ist es sehr schwierig, die Partien live zu verfolgen," sagte er. "Man ist den ganzen Tag mit der Vorbereitung beschäftigt und ist froh, wenn man sich während der Partien etwas ausruhen kann."
Caruana knöpft den obersten Knopf auf? Laut Insidern ist das ein sichtbares Zeichen für Druck. | Foto: Mike Klein / Chess.com.
"Die Anspannung steigt mit jeder Runde", fügte Chirila hinzu, sagte jedoch, dass sein Chef davon nicht betroffen ist. "Ich kann keine Anspannung spüren (auf Caruana). Ich kann in seinem Gesicht keine Anspannung erkennen. Er geht ganz gut damit um."
Chirila fügte "stur" der Liste von Charaktereigenschaften hinzu, mit denen er Caruana beschreiben würde, aber er weigerte sich, dies genauer zu kommentieren. Er bot auch keine ausführlichere Erklärung des Videoskandals an und wurde auch weder direkt noch durch die Blume danach gefragt.
Caruana ist auch ein starker Verteidiger, wie wir bei dieser WM schon mehrmals, besonders aber in der ersten Partie zu sehen bekamen. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Wir haben heute auch etwas mehr über die Kontrahenten gelernt. Auf der Pressekonferenz ernannte Caruana Bobby Fischer zu seinem Lieblingsspieler, aber Carlsens Entscheidung war weniger nationalistisch, sondern eher solipsistisch.
"Mein Lieblingsspieler aus der Vergangenheit bin wahrscheinlich ich selbst vor drei oder vier Jahren", sagte Carlsen. "Ja, mit 23."
Vor vier Jahren in Sotschi zeigte der 23-jährige Magnus Carlsen auch anständige Würfe. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Bei der Pressekonferenz trat dann der freie Journalist Rogers an das Mikrofon und erntete zuerst einige Lacher, weil er kein Medienunternehmen benennen konnte, für das er tätig war. Seine Frage an den Weltmeister sicherte ihm dann noch weitere Lacher: "Glauben Sie, dass Sie jemals so gut wie Ihr Idol werden können?"
Carlsen sagte nein, da sein jüngeres Ich im Spiel fünf des Weltmeisterschaftskampfes 2013 gewonnen hatte, während der 27-jährige Carlsen heute gegen Caruana nicht gewinnen konnte.
Natürlich könnt ihr die Weltmeisterschaft live auf Chess.com verfolgen. Ferner findet ihr jeden Tag Berichte, Fotos und Analysen auf Chess.com/news.
Alle Partien könnt ihr auf Chess.com/wcc2018 nachspielen und die Live-Übertragungen mit unseren Kommentatoren IM Danny Rensch und GM Robert Hess findet ihr auf Twitch.tv/Chess oder Chess.com/TV. Die beiden werden außerdem abwechselnd von Schachgrößen wie Hikaru Nakamura, Maxime Vachier-Lagrave, Wesley So und Sam Shankland unterstützt.
GM Alex Yermolinsky wird jeden Tag ein Video mit den Höhepunkten des Tages veröffentlichen, welches ihr auf Twitch, YouTube, Facebook und Chess.com ansehen könnt.
US-Meister GM Sam Shankland wird jede Partie für euch analysieren.
Und an jedem Ruhetag wird euch GM Yasser Seirawan mit exklusiven Videos für Chess.com Mitglieder unterhalten
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