Kasparov exklusiv über MasterClass, St. Louis und AlphaZero
Garry Kasparov war in der ersten Jahreshälfte 2017 ein viel beschäftigter Mann. Zuerst hat er seine MasterClass-Videoserie aufgenommen und dann beim Saint Louis Schnellschach & Blitz Turnier teilgenommen. Während er in letzter Zeit ja meistens an politischen Diskussionen teilgenommen hat, gilt seine Liebe aber immer noch dem Spiel, das ihn berühmt gemacht hat. In einem Interview mit Chess.com unterhält er sich deshalb auch über alle Aspekte des Schachs.
Das Interview fand Ende Dezember in Kasparovs neuen Büro in Manhattan statt. Eigentlich wollte er ja zwei Stellungen aus seinem MasterClass Video zeigen aber dann analysierte er zwei seiner Partien und zeigte zwei seiner Lieblingsstudien (die Videos dazu veröffentlichen wir in Kürze auf Chess.com).
Das gesamte 21-minütige Video, könnt ihr hier ansehen.
Das erste Thema war Kasparov's MasterClass und wie er sich auf die Produktion dieses Videos vorbereitet hat. Er hat noch viele Stellungen, Partien und Studien, die nicht in der Videoserie gezeigt wurden.
Er sagte, dass er mit dem "Gesamtergebnis ziemlich zufrieden sei," aber es war keine einfache Aufgabe:
Ich muss gestehen, dass ich mit am Anfang nicht sicher war. Ich habe natürlich die qualitativ hochwertigen Produktionen von Steve Martin und Serena Williams gesehen... Aber wie kann ich mein Wissen über Schach, meine Erfahrung und meine Leidenschaft für das Spiel in sechs, sieben, acht Stunden pressen? Was wird das Endprodukt sein? Und was ist die Zielgruppe?
Es gibt so viele Leute, die gern hören, was Garry Kasparov über Schach sagt und diese Menge wird von absoluten Anfängern bis hin zu sehr anständigen, starken Spielern reichen. Ich habe über meine Botschaft nachgedacht. Wie ich etwas schaffen kann, das für ein möglichst breites Publikum interessant sein könnte.
Ich habe dann beschlossen, dass es nicht nur darum geht, taktische Tricks zu präzisieren, sondern auch strategische Konzepte, weil es so viele davon gibt. Ich versucht nur, den Kern dessen wiederzugeben, was ich für wichtig halte, damit die Zuseher Fortschritte machen.
Kasparov erwähnte noch, dass die Zielgruppe eigentlich ein ELO Level von 1300-1700 haben sollte, aber etwas wäre ihm extrem wichtig gewesen:
Die wichtigste Aufgabe für mich war es, meine Liebe und Leidenschaft für das Spiel zu kommunizieren und auch die Schönheit des Spiels zu demonstrieren.
Garry Kasparov in seinem Büro in Manhattan. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
In Übereinstimmung mit seinem jüngsten Buch über künstliche Intelligenz bestreitet Kasparov, dass Computer dem Schach schaden:
Usain Bolt läuft ja auch nicht gegen einen Mercedes Benz. Auch wenn Computer jetzt im Schach oder in jedem anderen Video- oder Brettspiel viel stärker als Menschen sind, hält es die Menschen nicht davon ab, gegeneinander anzutreten. Sie wollen ja auch die Schönheit des Spiels genießen und manchmal können Sie Maschinen verwenden, um Ihnen zu helfen, schöne Studien zu erstellen. Viele der besten Studien des letzten Jahrzehnts wurden mithilfe der Computer erstellt. Ich wollte diese multidimensionale Schönheit des Spiels präsentieren.
Selbst jetzt, 12 Jahre nachdem ich mit dem professionellen Schach aufgehört habe, habe ich meine Fähigkeit, von einigen der großartigen Stellungen fasziniert zu sein, nicht verloren. Es gibt im Schach noch viel zu entdecken. Jeden Schritt, bei dem uns neue Computer, neue Engines, neue Maschinen helfen, die Geheimnisse des Spiels zu entdecken, nehme ich als positiv an, weil es mir hilft, dieses Spiel tiefer zu verstehen. Je tiefer wir das Spiel verstehen, desto mehr können wir es genießen.
Kasparov bereitet ein Video für Chess.com über seine Partie gegen Veselin Topalov (Linares 1999) vor. | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Die Vorbereitung auf die Lektionen war alles andere als leicht.
Es war sowohl physisch als auch psychisch eine Herausforderung. Ich bin heutzutage nicht mehr an einen so intensiven Arbeitstag gewöhnt. Das war auch eines der Probleme, die ich in St. Louis erlebt habe: Es ist sehr schwierig, den Algorithmus mit dem dein Gehirn funktioniert zu ändern, um eine Herausforderung zu bewältigen. Was mir geholfen hat ist, dass ich es selbst sehr genossen habe..
Aber egal, ob es nun um die Arbeit an MasterClass, ums spielen oder ums analysieren geht: Kasparov wird immer eine Leidenschaft für das Schachspiel haben. Dazu bemerkte er:
Jeder, der den Gipfel erreicht hat, hätte dies nicht ohne Leidenschaft geschafft.
Die Frage, ob ihn die Arbeit an MasterClass dazu inspiriert hat, zum professionellen Schach zurückzukehren, beantwortete er folgendermaßen:
Ja, das hat es getan. Aber nicht nur die Arbeit an MasterClass selbst, sondern auch die Umgebung von St. Louis. Es ist ein Ort, an dem mit Schachspielen einfach Spaß macht. Obwohl ich meinen Chancen, gut zu spielen, ziemlich skeptisch gegenüberstand, war es schwer, dieser Versuchung zu widerstehen. Nach ein paar Ablehnungen potenzieller anderer Wildcards für den Grand Prix und einer offenen Einladung von Rex Sinquefield, konnte ich einfach nicht mehr Nein sagen.
Kasparov: "Jeder, der den Gipfel erreicht hat, hätte dies nicht ohne Leidenschaft geschafft.." | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Kasparovs Vorbereitung auf dieses Turnier war allerdings nicht besonders gut.
Ich wusste, dass ich meine normale Lebensweise total ändern müsste und das konnte ich nicht schaffen. Ich musste immer noch hierhin und dahin fliegen, ich hatte so viele Termine, wie auf der DevCon in Las Vegas zu sprechen und dann musste ich zurück zu meiner Familie nach Europa. Ich war also nicht so vorbereitet, wie Garry Kasparov vor 20 Jahren vorbereitet gewesen wäre. Um ernsthaft gegen die besten Spieler der Welt antreten zu können, brauchte ich wahrscheinlich zwei Monate voller Konzentration, vielleicht in St. Louis oder sogar in Kroatien, in denen ich nichts anderes mache, als Schach zu spielen und über Schach nachzudenken und alles andere auszublenden. Das war aber nicht möglich. Ich hatte nur ein paar Wochen Vorbereitung und nur ein paar Trainingspartien. Ich hatte einige Ideen.
Jedes Mal, wenn ich nach St. Louis zurückkehre, denke über einige dieser Partien nach und es ist fast wie ein Albtraum. Ich hatte gute Stellungen und in einigen Partien spielte ich wie Garry Kasparov, aber an die restlichen Partien möchte ich lieber nicht denken!
Realistisch gesehen, mit einer guten Vorbereitung und mit mehr Konzentration auf das Turnier, würde ich definitiv unter die ersten Fünf kommen ... Übrigens, selbst in diesem schrecklichen Turnier war ich nur einen Punkt von den Top Fünf entfernt und mit etwas Glück könnte ich sogar unter die ersten 3 kommen. Meine Fähigkeiten sollten durchaus ausreichen um Plus Eins oder Plus Zwei im Schnellschach und Plus Drei im Blitz zu erzielen. Eigentlich ging es mir aber in erster Linie nicht um ein bestimmtes Ergebnis, sondern einfach darum, Spaß zu haben und den Zuschauern diesen Spaß zu vermitteln..
Kasparov sah sich seine Partien von St. Louis flüchtig an --- mit Computerhilfe und keine tiefen Analysen. Er sagte, er hätte immer dasselbe Muster festgestellt: Gut eröffnet - eine gute Stellung erreicht - Blackout.
Schachlich kann man aus diesen Partien nicht viel lernen; es ging mehr um Psychologie. Es ist etwas, was ich als die traurige Realität akzeptieren muss: Ich bin nicht mehr nur in der Lage, in rasanten Partien mit der gleichen Konzentration und Hingabe zu spielen, wie früher.
Vielleicht hat sich ja auch das Schachspiel gegen mich verschworen. Weil es wohl falsch war, nach 12 Jahren Inaktivität zurückzugehen und sich dann nicht einmal voll auf das Turnier zu konzentrieren, wurde ich bestraft. Wenn du gut spielen willst, musst du das Spiel zu deiner Priorität machen. Und so schickte mir Caissa die Nachricht: "Was, Du willst dich nicht konzentrieren? Gut, ich werde dir eine Lektion erteilen!"
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"Ich war nicht so vorbereitet, wie Garry Kasparov vor 20 Jahren vorbereitet gewesen wäre." | Foto: Mike Klein/Chess.com.
Und dann kommen wir zur Frage aller Fragen -- Werden wir ihn nochmal in einem Turnier spielen sehen?
Momentan denke ich nicht darüber nach. Dass ich nächstes Jahr in einem Turnier spielen werde, kann ich mir nicht vorstellen. Auf die gleiche Weise wie 2017 in einem Turnier zu spielen kann ich mir nicht leisten. Wenn ich es noch einmal mache, dann sollte es ein Test sein, zu was ich wirklich fähig bin, wenn ich eine gewisse Zeit damit verbringe, mich auf diese Herausforderung zu konzentrieren und mich auf die Topspieler vorzubereiten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Zeit zur Verfügung habe. Ich würde nicht nein, nein, nein, nein sagen, aber es ist unwahrscheinlich.
Kasparov nannte AlphaZero "gut für Schach."
Aus der Art und Weise wie AlphaZero spielt, können wir eine Menge lernen. So wie ich das verstanden habe, hat AlphaZero die Fähigkeit, eine Stellung ganz eigenständig zu bewerten. Er setzt also seine ganz eigenen Prioritäten, was eine einzigartige Leistung ist, da jedes andere Programm diese Prioritäten vorgegeben hat und nicht flexibel ist. Sie machen vielleicht leichte Änderungen, aber im Allgemeinen müssen sie sich an die ursprünglichen Normen halten, die jeder Priorität in diesem Bewertungsmechanismus beigefügt sind. AlphaZero hat, nachdem es Millionen und Abermillionen von Partien gespielt hat, eigene Werte entwickelt.
Über den Sieg von AlphaZero gegen Stockfish sagte er:
Am erstaunlichsten war die Statistik von Weiß und Schwarz. AlphaZero war mit Weiß absolut tödlich, während es mit Schwarz lediglich mit einem kleinen Vorsprung gewann. Sagt uns das, dass wir den Wert des ersten Zuges falsch verstehen? Es gibt noch viel zu lernen..
Wir möchten die Gelegenheit gleich nutzen, um eine "exklusive", bisher unveröffentlichte Partie von Kasparov vorzustellen. Sie wurde bei einem Simultanturnier im Dezember in Zagreb gespielt und uns von Kasparovs Adjutanten Mig Greengard zur Verfügung gestellt. Die Kommentare stammen von Kasparov selbst. Die schwarzen Figuren wurden von Außenminister Montenegros, Srdjan Darmanović, geführt. Dieser ist als großer Schachfan bekannt und hatte zu seiner aktiven Zeit eine ELO von etwa 2200.
Greengard unterhielt sich mit Garry in Washington hauptsächlich über Aussenpolitik und Putin und nicht über Schach. Das Bild wurde am 5. Juni 2017 gemacht.