Kandidatenturnier, Runde 9: Drei Siege für Weiß und Nepo spielt Remis
Ian Nepomniachtchi hat in der neunten Runde des Kandidatenturniers 2022 das wichtige Duell gegen Fabiano Caruana heil überstanden. Der russische Großmeister hielt eine schwierige Stellung, in die er aufgrund einer sehr guten Vorbereitung von Caruana gekommen war, und liegt damit fünf Runden vor Schluss weiterhin mit einem ganzen Punkt Vorsprung in Führung.
Ein Brett daneben verlor Hikaru Nakamura gegen Teimour Radjabov, der damit seine erste klassische Partie seit Oktober 2019 gewonnen hat und auch Alireza Firouzja und Ding Liren konnten ihre Partien gegen Richard Rapport und Jan-Krzysztof Duda mit Weiß gewinnen.
So könnt Ihr das Kandidatenturnier 2022 verfolgen
Wie übertragen das Kandidatenturnier 2022 täglich ab 15.00 Uhr. Die deutschsprachige Übertragung findet Ihr auf Chess.com/TV, unserem Twitch-Kanal und auf YouTube, die englischsprachige Übertragung auf YouTube.com/ChesscomLive.
Alle Partien des Kandidatenturniers findet Ihr hier auf unserer Live Events Plattform.
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der neunten Runde mit unseren Kommentatoren Steve Berger und Vincent Keymer.
In einer weiteren wilden Runde beim Kandidatenturnier gewannen gleich drei Spieler ihre erste Partie bei diesem Turnier. Ding, Firouzja und Radjabov werden alle ziemlich glücklich sein, auch wenn die Siege für alle etwas zu spät kamen. Nach zwei Niederlagen in Folge ist nun Duda der einzige Spieler, der noch keine Partie gewinnen konnte.
Die größte Geschichte des Tages war jedoch die einzige Partie, die Remis endete. Dass Nepomniachtchi mit Schwarz gegen Caruana nicht verloren hat, hat ihm den Turniersieg einen weiteren Schritt näher gebracht. Allerdings sind ja noch fünf Runden zu spielen sind und der Amerikaner wird der letzte sein, der aufhört, an seine Chancen zu glauben.
Caruana-Nepomniachtchi ½-½
Wie Kommentator Daniel Naroditsky in der Live-Übertragung erklärte, bedeutet Nepomniachtchi auf Deutsch übersetzt so viel wie "der sich nicht erinnert", aber es war Caruana, der ein "Problem mit dem Kurzzeitgedächtnis" haben und seine Niederlage in der vorherigen Runde vergessen musste.
Die große Frage war, ob der Amerikaner etwas gegen die russische Verteidigung gefunden hatte, das gut genug war, um auf Sieg spielen zu können, oder ob er vielleicht gar nicht 1.e4 spielen würde. Er spielte dann 1.e4 und er hatte sich etwas ziemlich Beeindruckendes ausgedacht.
Die Stellung nach 11.Sh4.
Der Zug 11.Sh4 war praktisch eine Neuerung, denn er wurde bis jetzt mit nur einer Partie zwischen zwei Spielern mit einem Rating von unter 1600 gespielt. In dieser Stellung ist 11.Sc3 der beliebteste Zug und wurde letztes Jahr auch in einer von Nepomniachtchis Weltmeisterschaftspartien gespielt, aber Caruana hat ihn bereits im letzten Monat in einer Blitzpartie gegen Vishy Anand gespielt und die Partie gewonnen.
Nepomniachtchi hatte sich diesen Zug wahrscheinlich angesehen, musste aber tief in seiner Erinnerung graben. Der Bedeutung seines Namens treu bleibend, verriet er hinterher: "Ich konnte mich an keine meiner Vorbereitungen, die ich sicher hatte, erinnern. Deshalb habe ich mich einfach dafür entschieden, alleine zu spielen. Im Nachhinein gesehen war das wohl nicht die optimale Entscheidung."
Er dachte fast neun Minuten über 11…Le6 nach und auch danach dachte er völlig untypischer für ihn über jeden der folgenden Züge nach. Das führte dazu, dass Caruana nach 17 Zügen 49 Minuten mehr auf seiner Uhr hatte. Besonders der Zug 17.g3 war beeindruckend, denn dadurch lud er seinen Gegner nicht nur ein, ihm einen Doppelbauern auf der h-Linie zu verpassen, sondern auch zum Zug 17...Lf6, der wilden Komplikationen nach sich gezogen hätte.
Dieser Zug wäre auch die Wahl der Engine gewesen. Nepomniachtchis Zug 17...Sd6 fand Caruana allerdings zweifelhaft.
Weiß hatte hier zwei gute Möglichkeiten. 17. De2 schien am natürlichsten, beinhaltete aber ein kompliziertes Abspiel, bei dem Weiß zuerst einen Bauern gewinnt, ihn aber sofort wieder zurückgibt. Nach 32 Minuten wählte Caruana mit 17.Da4 eine etwas fiese Alternative ("extrem unangenehm" - Nepomniachtchi. Nach Nepomniachtchis schneller Antwort hatte er noch 20 Minuten mehr auf der Uhr, aber der Zeitvorsprung schrumpfte.
Die Stellung nach 17.Da4!
Die nächste wichtige Entscheidung musste er im 22. Zug treffen. Sollte er auf die konkrete Variante mit 22.Se7+ setzen, oder zuerst 22.Lf4 spielen? Caruana entschied sich für Letzteres und hatte danach immer noch die Möglichkeit, dieses Schach einzustreuen. Er tat es, aber erst, als er bereits weniger Zeit als sein Gegner hatte und Nepo hatte jetzt sogar das Glück, einige fast erzwungene Züge spielen zu müssen, während Caruana ständig die Wahl hatte.
Der Schlüsselmoment der Partie kam im nächsten Zug.
Die Stellung nach 23...Kf7.
Caruana hatte zuerst über 24.Lc2 angesehen und sich dann für 24.Lxf5 entschieden. Die Engine bevorzugte aber eine dritte Option: Den schönen Rückzug 24.Lf1, wonach Weiß weiterhin gute Gewinnchancen gehabt hätte. Nepomniachtchi hatte 24.Lc2 und 24.Lf1 gesehen und hielt beide Züge für recht vielversprechend für Weiß.
Das Schlagen auf f5 führte zu einigen Abtauschen und vereinfachte Nepomniachtchis Verteidigungsaufgabe. Caruana bemerkte nach der Partie, dass Schwarz "hier mit einem Zug das Remis gemacht hatte" und damit meinte er 27...Sd3! Zu diesem Zeitpunkt war es Caruana, der für seine letzten 12 Züge bis zur Zeitkontrolle nur noch fünf Minuten hatte, während Nepomniachtchi noch etwas mehr als eine halbe Stunde auf seiner Uhr hatte. Er hatte zwar den Vorbereitungskampf verloren, war sein Zeitmanagement war einfach viel besser gewesen.
Nach 31...Lf8 erreichte die Partie ein Stadium, in dem Caruana nur noch ein Remis erzwingen wollte, aber plötzlich war selbst das nicht mehr einfach. Er fiel auf zweieinhalb Minuten für acht Züge und nach 32.Te2 konnte Nepomniachtchi plötzlich daran denken, auf mehr zu spielen. Er hatte jedoch das Gefühl, dass er genug erreicht hatte und beschloss, das Remis zu erzwingen.
Nachdem die Spieler ihre Interviews gegeben hatten, mussten sie sich noch einer Dopingkontrolle unterziehen. Beim Schach werden solche Kontrollen in der Regel nur bei Turnieren auf höchstem Niveau durchgeführt und erfolgen, damit der Sport die Regeln der Olympischen Charta und des IOC erfüllt.
Caruana-Nepomniachtchi ends in a draw, a great result for the Russian player who leads by a full point with five rounds to go. #FIDECandidates pic.twitter.com/gBhqGdui4M
— ChesscomLive (@ChesscomLive) June 27, 2022
Firouzja-Rapport 1-0
Nach seiner gestrigen Partie sagte Rapport, dass er sich vor der Partie nicht mit Schach beschäftigt hatte und dass er sich möglicherweise auch nicht viel auf seine Partie in der neunten Runde vorbereiten würde. Er dachte zwei Minuten lang über seinen ersten Zug und ziemlich lange über seinen achten Zug nach, obwohl das eine bekannte Stellung der Anti-Berlin-Variante der spanischen Eröffnung war.
Da jedoch viele natürliche Züge gespielt wurden, war erst 11…Lg4 eine Neuerung. Es stellte sich heraus, dass Rapport darauf bestand, seinen Läufer auf der g1-a7-Diagonale zu halten, obwohl ihn Schwarz in dieser Variante normalerweise auf c7 stellt, was passiver, aber auch solider ist, weil es e5 überdeckt.
Firouzja: "Ich hatte Glück, dass er sich nicht richtig an die Theorie erinnert hat."
Während der Ungar seine Bauern am Damenflügel vorzog, öffnete Firouzja die f-Linie am Königsflügel. Dank einer netten kleinen Taktik im Zentrum ergriff der französisch-iranische Spieler die Initiative, fand dann aber nicht die beste Fortsetzung.
Die Stellung nach 19...Dxd4.
Der Zug 20.Ld2! wäre ziemlich stark gewesen und sein Zug 20.Le3 führte dank der hervorragenden Antwort 21…Le6 nur zum Ausgleich. Jetzt war die Drohung, die Dame anzugreifen, stärker als die Ausführung.
Bald darauf hatten die Spieler die Möglichkeit zu einer Zugwiederholung, entschieden sich aber dagegen. Rapport hatte noch immer nicht rochiert und nachdem Weiß einen Läufer auf c5 bekommen hatte, stand fast, dass er das auch in absehbarer Zeit nicht machen. Trotzdem dachte Firouzja, dass er vielleicht sogar ein bisschen schlechter stehen könnte.
Da Rapport aber bald darauf einige Ungenauigkeiten unterliefen, konnte Weiß eine starke Initiative entwickeln. Firouzja, der nach seinem gestrigen sieben Stunden Marathon etwas müde aufgewacht war, war in seinem Element und schaffte es endlich, seine erste Partie zu gewinnen.
"Es fühlt sich sehr gut an, weil ich schon lange keine Partie mehr gewonnen habe", sagte er bei einem Besuch im Studio unserer Live-Übertragung. "Ich hatte so viele gute Stellungen in diesem Turnier, aber leider konnte ich keine einzige davon verwandeln. Heute bin ich sehr glücklich, weil er ein sehr starker Spieler und sehr guter Form ist. Dieser Sieg zählt also was."
Hier ist die Partie zum Nachspielen:
Und in diesem Video erklärt Euch "The Big Greek" Georgios Souleidis die Partie:
Kommentator Robert Hess wies auch noch darauf hin, dass Firouzjas Sieg eine gute Nachricht für Caruana sein könnte, denn wenn der jüngste Spieler bei diesem Turnier ins Rollen kommt, wer weiß, was er dann in der 11. Runde mit Weiß gegen Nepomniachtchi ausrichten wird?
Als ihn Danny Rensch darauf ansprach, dass er in der 11. Runde die Chance auf eine Revanche für seine Niederlage in der vierten Runde gegen Nepomniachtchi haben wird, lächelte Firouzja und sagte: "Ja, darauf freue ich mich schon!"
Firouzja sagte, dass er das Turnier bislang sehr genossen habe. Während er an Ruhetagen mit seinem Bruder Tennis spielt, hat er sich auch im Turniersaal gut amüsiert: "Es ist einfach großartig, jeden Tag gegen all diese Topspieler in Bestform spielen zu können. Es ist zwar hart, aber ich genieße das wirklich."
Radjabov-Nakamura 1-0
Nach seiner Serie von 37 sieglosen klassischen Partien hat Radjabov zum ersten Mal seit Oktober 2019 wieder eine klassische Partie gewonnen. Übrigens war es auch nach 3 Niederlagen und 12 Remis sein allererster Sieg gegen Nakamura in einer klassischen Partie überhaupt.
In einer weiteren Anti-Berlin-Variante der spanischen Eröffnung überraschte der Aserbaidschaner seinen Gegner mit dem Zug 9.Dc2. Carlsen hatte den Zug jedoch auch schon einmal gespielt. Das war 2017 in einer Blitzpartie gegen Kramnik.
Es scheint jedoch erst der Zug 10.a4 gewesen zu sein, der Nakamura aus dem Konzept brachte, denn hier fing der Amerikaner an, nachzudenken. Alleine schon, dass er Nakamura, dessen Eröffnungen bisher sehr beeindruckend waren, aus der Vorbereitung herausholen konnte, war schon eine beachtliche Leistung von Radjabov.
Nakamura spielte auf ein Remis durch Dauerschach, aber Radjabov verhinderte das und setzte die Partie mit einem schönen Zeitvorteil von etwa 20 Minuten fort.
Die Stellung nach 13.Lb5.
Der Schlüsselmoment kam früh. Mit 13…Lg4 und einem Bauernopfer traf Nakamura eine riskante Entscheidung und kritisierte sich danach selbst: "Wahrscheinlich hatte ich einfach die falsche Denkweise. Ich wollte mit Gewalt ein Ungleichgewicht zu erzeugen. Ich habe versucht, Fabiano abzufangen. Das Opfer war einfach nicht gut, denn ich hatte nie genug Kompensation für den Bauern."
Was darauf folgte, war eine bemerkenswert einseitige und irgendwie auch eine hervorragende Partie von Radjabov, der an dem Mehrbauern festhielt, jegliches Gegenspiel unterband und schließlich das Endspiel gewann.
Und hier zeigt Nakamura die Partie aus seiner Sichtweise:
Ding-Duda 1-0
Für Duda war es kein guter Tag, denn der Pole hat seine zweite Partie in Folge verloren. Ding hingegen konnte sich nach vielen verpassten Chancen in diesem Turnier endlich seinen ersten Sieg freuen und der Chinese liegt jetzt sogar punktgleich mit Nakamura auf dem dritten Tabellenplatz.
Der Gewinnvorteil kam erst spät in dieser Partie zustande, da sich Duda mit Schwarz wirklich sehr gut gegen die englische Eröffnung verteidigte. Kurz vor der Zeitkontrolle verpasste der polnische GM sogar ein nicht allzu schwieriges Remis, das mit dem Zug 36...Sh5 begonnen hätte, aber da er etwas wenig Zeit auf der Uhr hatte (sieben Minuten für seine verbleibenden fünf Züge), verpasste er nicht nur diese, sondern gleich noch eine weitere und im 40. Zug sogar noch eine dritte Chance.
Nachdem die Zeitkontrolle erreicht war, sah Duda auf eine verlorene Stellung. Er versuchte zwar noch sein Bestes, musste aber im 61. Zug das Handtuch werfen. Er liegt zwar jetzt auf dem letzten Platz, aber das große Talent aus Polen kann noch viel Erfahrung für weitere Kandidatenturniere sammeln.
Ding Liren wins the third decisive game today and moves up to third place with 4.5/9, tied with Nakamura!
— ChesscomLive (@ChesscomLive) June 27, 2022
Don't miss his smile at the end 😊!#FIDECandidates pic.twitter.com/IFFKdmJhtp
Das Turnier geht erst am Mittwoch weiter. Nepomniachtchi muss noch mit Weiß gegen Radjabov, Nakamura und Rapport und mit Schwarz gegen Firouzja und Duda spielen. Caruana Restprogramm sieht Schwarzpartien gegen Duda, Rapport und Radjabov und Weißpartien gegen Ding und Firouzja vor.
"Ein ganzer Punkt Vorsprung ist fünf Runden vor Schluss ziemlich viel, aber nicht uneinholbar", sagte Caruana. Nepomniachtchi: "Das Turnier wird bis zur letzten Runde spannend bleiben."
Die Tabelle nach 9 von 14 Runden
Die Paarungen der zehnten Runde:
Runde 10 | 29. Juni 2022 | 15:00 Uhr |
Rapport | - | Ding |
Duda | - | Caruana |
Nepomniachtchi | - | Radjabov |
Nakamura | - | Firouzja |
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