Kandidatenturnier, Runde 12: Nepomniachtchi trennt noch ein Remis vom Turniersieg
Ian Nepomniachtchi spielte gegen Hikaru Nakamura nach nur 7 Minuten Spielzeit Remis und weil sich sein ärgster Verfolger Ding Liren einige Stunden später gegen Teimour Radjabov geschlagen geben musste, baute der Russe seine Führung beim Kandidatenturnier 2022 auf zwei Punkte aus und benötigt am Sonntag nur noch ein Remis, um das Turnier zu gewinnen.
Fabiano Caruana liegt nach seinem Remis gegen Richard Rapport weiter auf dem vierten Platz, jetzt allerdings punktgleich mit Radjabov. Und Jan-Krzysztof Duda stand gegen Alireza Firouzja knapp vor einem Sieg, musste sich aber am Ende mit einem Remis begnügen.
So könnt Ihr das Kandidatenturnier 2022 verfolgen
Wie übertragen das Kandidatenturnier 2022 täglich ab 15.00 Uhr. Die deutschsprachige Übertragung findet Ihr auf Chess.com/TV, unserem Twitch-Kanal und auf YouTube, die englischsprachige Übertragung auf YouTube.com/ChesscomLive.
Alle Partien des Kandidatenturniers findet Ihr hier auf unserer Live Events Plattform.
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der zwölften Runde mit den Kommentatoren Steve Berger und Großmeister Ilja Zaragatski.
Aufgrund der überraschenden Niederlage von Ding hat Nepomniachtchi jetzt einen Vorsprung von zwei Punkten. Das bedeutet, dass er sich schon mindestens den punktgleichen ersten Platz gesichert hat. Er brauchte nur 12 Runden, um 8,5 Punkte zu erreichen. Mit dieser Punktzahl wurden 4 der letzten 5 Kandidatenturniere gewonnen - allerdings nach 14 Runden.
Da er in der nächsten Partie Weiß hat, wird der russische Großmeister das Turnier aller Voraussicht nach bereits am Sonntag vorzeitig gewinnen. Sein Gegner ist jedoch mit Rapport der wohl unberechenbarste Spieler im Feld. Vielleicht schlägt der Ungar ja das frühe Remisgebot, das er sicher bekommen wird, aus und will einfach nur spielen?
Über Radjabovs Sieg gegen Ding haben sich sicher auch Caruana und Nakamura, die beide noch um den zweiten Platz kämpfen, gefreut. Wie bereits erwähnt, würde es nur zwischen zwei punktgleichen Spielern auf dem ersten Platz zu einem Playoff kommen. Teilen sich zwei oder mehrere Spieler punktgleich den zweiten Platz, entscheidet die Sonneborn-Berger Feinwertung.
Sowohl Ding als auch Nakamura haben in Interviews erklärt, dass es für die Spieler besser wäre, auch um den zweiten Platz ein Playoff zu spielen, während Radjabov mit den Tiebreak-Regeln, so wie sie sind, einverstanden ist. Eine Änderung des Reglements in letzter Minute wäre schwer zu arrangieren und könnte nur vom FIDE-Council vorgenommen werden. Aber wenn sich alle Parteien einig wären, könnte das immer noch passieren.
All dies könnte sich als irrelevant erweisen, wenn sich Carlsen doch noch dafür entscheidet, seinen Titel gegen den Sieger dieses Turnier zu verteidigen. Nakamura sagte heute, dass er es verstehen würde, wenn Carlsen andere Dinge im Leben machen möchte. Gleichzeitig denkt er aber immer noch, dass er noch eine Weltmeisterschaft spielen wird: "Ich wäre echt schockiert, wenn er nicht antreten würde. Ich kaufe das noch nicht." Radjabov ist ähnlicher Meinung: "Ich bin mir sicher, dass er das Match spielen wird. Ich weiß nicht, warum alle so gestresst sind."
I'm sure he will play the match. I don't know why everyone is so stressed out about it.
—GM Teimour Radjabov
Nepomniachtchi-Nakamura ½-½
Ein sehr schnelles Remis war bereits sehr wahrscheinlich, als Nakamura seinen dritten Zug gespielt hatte. Auf seine Hauptwaffe, die Berliner Verteidigung zu setzen, war ein Zeichen dafür, dass er mit einem Remis zufrieden war, und dass Nepomniachtchi ebenfalls mit einem Remis zufrieden war, stand ja völlig außer Frage.
Bekanntermaßen gibt es in der Berliner Verteidigung eine berüchtigte Variante, die bereits im 14. Zug zu einer dreifachen Stellungswiederholung führt. Hunderte von Partien endeten schon mit diesem Remis und diese war keine Ausnahme.
Sieben Minuten nach Beginn der Runde stoppte Nepomniachtchi die Uhr und nachdem der Schiedsrichter bestätigt hatte, dass alles in Ordnung war, schüttelten sich die Spieler die Hände und tauschten ein Lächeln aus. Diesmal hatte sich Nakamura noch nicht einmal sein Sakko wieder angezogen und Nepomniachtchi verließ den Spielsaal mit einer fast vollen Thermoskanne Tee.
Für die Fans war das natürlich nicht so toll, aber auch für Nakamura war es sinnvoll, Energie zu sparen, sich auf eine weitere Weißpartie am Sonntag zu konzentrieren und dann, falls nötig, in der letzten Runde gegen Ding All-in zu gehen.
Nakamura sagte, dass er es nicht wirklich in Erwägung gezogen hatte, die Sizilianische Verteidigung zu spielen. Er wies darauf hin, dass er sie erst kurz vor seiner Abreise nach Madrid gegen Vladimir Fedoseev bei der Chess.com Rapid Chess Championship gespielt hatte: "Er hat mich absolut umgebracht. Ich wurde in dieser Partie einfach total zerstört. Ich dachte also nicht, dass es das Risiko wert gewesen wäre."
Nepomniachtchi konnte nicht wirklich beurteilen, ob 1…e5 und die Berliner Verteidigung die richtige Wahl für Nakamura waren: "Im Grunde genommen lag der Ball auf seiner Seite." Der Tabellenführer hatte sich auf das Pirc und einige seltene spanische Varianten vorbereitet, falls Nakamura es wirklich versuchen würde. "Ich dachte, wenn er die Berliner Verteidigung spielt, dann ok. Dann wars das. Ich kann nicht behaupten, dass ich heute wirklich darauf aus war, die Berliner Verteidigung zu widerlegen."
I can't say I was really into refuting the Berlin today.
—GM Ian Nepomniachtchi
Nakamura fand übrigens noch einige nette Worte über seinen Gegner: "Ich denke, viele Menschen haben Ian kritisiert. Sie haben das Gefühl, dass er viele Geschenke bekommen hat und dass er Glück hatte… Aber wenn man konstant so gut spielt wie er, schaffst Du Dir Dein eigenes Glück. Ich denke, Ian hat sich sein Glück absolut verdient."
Ding-Radjabov 0-1
Radjabov war vielleicht nie in der Situation, um ernsthaft von einem Turniersieg träumen zu können, aber er hat bis jetzt ein ziemlich gutes Turnier gespielt und mit Nakamura und Ding zwei absolute Schwergewichte besiegt. Nun, um ehrlich zu sein, spielte Ding aber heute auch seine schlechteste Partie des Turniers. Da dies aber auch schon beim FIDE-Weltcup geschah, liegt es vielleicht doch an dem aserbaidschanischen Großmeister.
Es scheint, als hätte Ding bereits der Zug 8…Sa6 überrascht, denn hier dachte er zum ersten Mal nach. Danach sagte er, er bedauere seine Wahl der Eröffnung und sei dort aus dem Buch gewesen. "Es war sehr schwierig, mich umzustellen. Ich wollte auf Sieg spielen, aber so spielt man nicht auf Sieg."
Radjabov erlaubte seinem Gegner, ihm einen Doppelbauern auf der a-Linie zu verpassen, bekam dafür aber das Läuferpaar und eine zusätzliche offene Linie. In seinem Interview nach der Partie sagte er, er sei von Dings Zug 12.b4 überrascht gewesen und dann auch darüber, dass dem Bauernvorstoß b4-b5 nicht a3-a4 folgen ließ.
Die Stellung nach 13...a5.
Nakamura kommentierte diese Partie kurz, als sie den 13. Zug erreicht hatte. Er "hasste", wie die Eröffnung für Weiß verlaufen war, und sagte: "Ich habe das Gefühl, dass diese Partie ziemlich schnell verpuffen wird." Als er sich die Stellung jedoch etwas länger betrachtete, stellte er fest, dass Schwarz viele einfach Züge hatte und Weiß in der Entwicklung etwas zurückgeblieben war und begann Schwarz zu bevorzugen.
Wie sich herausstellte, erwies sich Nakamuras Vorhersage als richtig, denn für Weiß ging es ziemlich schnell bergab. Ding zeigte weiterhin "ein sehr nervöses Spiel" (Radjabov) und fand sich bereits vor dem 20. Zug in einer sehr schwierigen Stellung wieder.
"Er wollte rochieren und dafür den Bauern auf a3 aufgeben, aber 19…Lxh3 ist eine sehr unangenehme Sache", sagte Radjabov. "Er kam mit der Stellung überhaupt nicht klar. Er hätte sich hier noch besser wehren können, aber was er getan hat, hat einfach völlig verloren. Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat."
Als Ding den tollen Zug 21…Txe3 (Letelier-Fischer Vibes!) verpasst hatte, war die Partie entschieden und er wurde vom Brett gefegt.
Bemerkenswert bodenständig kommentierte der Chinese danach: "Gestern habe ich eine verlorene Stellung gewonnen und heute habe ich eine Partie verloren. Schach ist einfach ein fairer Sport."
"The Big Greek" Georgios Souleidis hat sich die Partie auch angesehen und erklärt uns in diesem Video, was bei Ding schiefgelaufen ist:
Und Großmeister Sam Shankland hat sie für uns analysiert:
In der 12. Runde des Kandidatenturniers sicherte sich Nepo zwei Runden vor Schluss mindestens den geteilten ersten Platz. Zum dritten Mal in Folge konnte er nach einem schnellen Remis mit Weiß in aller Seelenruhe dabei zusehen, wie sein ärgster Rivale zu Boden ging.
Duda-Firouzja ½-½
Duda hatte Firouzja noch nie geschlagen (dabei verlor er vier klassische Partien bei zwei Remis) und er ist selbst schuld, dass ihm das auch heute nicht gelungen ist. Mit einem ähnlich kompromisslosen Spiel wie am Vortag – das wiederum einen vorzeitigen Vorstoß seines g-Bauern beinhaltete – bekam Firouzja erneut eine verlorene Stellung, aber Duda konnte nicht konvertieren.
Die Eröffnung war Halbslawisch und damit etwas, das Firouzja in seiner Karriere erst wenige Male gespielt hatte (er steht mehr auf Grünfelds und Königsinder). Es kam dann eine scharfe Variante aufs Brett, bei der es eigentlich über 20 Züge Theorie gibt, aber Firouzja schien schon weitaus früher aus dem Buch zu sein, denn bereits im 15. und 16. Zug musste er lange nachdenken.
Das Abspiel beinhaltete, dass Schwarz eine Qualität opferte, dafür aber einen Freibauern auf b2 erhielt. Eigentlich wäre die Stellung dann dynamisch ausgeglichen. Allerdings nicht nach 22…g5 – oops, he did it again!
Die Stellung nach 22...g5.
Dies war eine Neuerung, aber eine zweifelhafte. In der letzten Partie mit dieser Stellung, die 2013 in Moskau von Dubov und Shirov gespielt wurde, hatte sich Shirov für den Zug 22…c5 entschieden.
Firouzja muss die natürliche Antwort 23.f4 entweder verpasst oder, was wahrscheinlicher ist, unterschätzt haben, denn jetzt musste er sich von seinem größten Trumpf trennen: den Bauern auf b2. Aber hatte Weiß jetzt seinen Königsflügel nicht zu sehr geschwächt? Nein! Er war zwar geschwächt, aber auch relativ leicht zu verteidigen.
Naroditsky: "Alireza befindet sich gerade im freien Fall!"
Der Bewertungsbalken sah für Weiß gut aus, aber nur wenige Züge später fiel er plötzlich auf "gleich". Dudas Zug 27.Tf2 war etwas ungeschickt und beruhte auf einer Fehlberechnung, nach der Firouzja sofort ein Remis erreichen hätte können.
Sichtlich müde und wieder gähnend am Brett sitzend, verpasste der Youngster jedoch seine Chance und musste mit einer Qualität weniger weiterspielen.
Naroditsky: "Irgendetwas ist bei Alireza bei diesem Turnier einfach nicht richtig geschraubt." Unser Kommentator empfand es als einen Mangel an Kampfgeist: "Es ist, als hätte er sich bereits damit abgefunden, wie diese Partie verlaufen wird."
Dass das dann nicht geschehen ist, lag wahrscheinlich an Dudas Erschöpfungsgrad nach 12 langen und zermürbenden Runden. Im 37. Zug hatte er noch 7,5 Minuten auf der Uhr und spielte bereits nach 21 Sekunden 37.Txf7 und übersah dabei, dass Schwarz mit seiner Antwort auf diesen Zug ein Remis erzwingen konnte.
Anmerkungen von GM Rafael Leitao.
Rapport-Caruana ½-½
Nach dem schnellen, aber sehr scharfen Remis in der fünften Runde, endete auch die heutige Partie zwischen Rapport und Caruana Remis, diesmal aber auf ruhigere Weise. Rapport wählte in der Anti-Berlin Variante der spanischen Eröffnung den seltenen Zug 6.h3 und im 13. Zug hatte er bereits sieben Springerzüge gemacht, was aber trotzdem zu einer sehr soliden Stellung für Weiß führte.
Die Partie wurde interessant, als Rapport seinen h-Bauern ein zweites Mal vorschob und damit den schwarzen Plan von ...0-0-0, ...g5 und ...h5 unterband. Caruana rochierte aber trotzdem auf den Damenflügel, was bedeutete, dass es ihm nichts ausmachte, dass sein Läufer auf b6 geschlagen wird und er mit seinem c-Bauern zurückschlagen muss.
Rapport beschloss, seinen König ebenfalls auf dem Damenflügel zu platzieren, woraufhin die meiste Action auf der anderen Seite des Bretts stattfand. Kurz vor der Zeitkontrolle setzten die Spieler auf ein spannendes taktisches Abspiel, das allerdings zu vielen Abtäuschen führte. Caruana erreichte zwar dann ein Turmendspiel mit Mehrbauer, aber da sein Turm vor seinem Freibauern stand, hatte er keine Gewinnchancen.
Anmerkungen von GM Rafael Leitao.
Die Paarungen der 13 Runde
Runde 13 | 3. Juli 2022 | 15:00 Uhr |
Nepomniachtchi | - | Rapport |
Nakamura | - | Duda |
Firouzja | - | Ding |
Radjabov | - | Caruana |
Die Paarungen der 14 Runde
Runde 14 | 4. Juli 2022 | 15:00 Uhr |
Rapport | - | Radjabov |
Caruana | - | Firouzja |
Ding | - | Nakamura |
Duda | - | Nepomniachtchi |
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- Runde 7: Sieger: Caruana und Nepomniachtchi
- Runde 8: Sieger: Rapport und Nakamura
- Runde 9: Sieger: Ding, Radjabov und Firouzja
- Runde 10: Sieger: Ding, Duda und Nakamura
- Runde 11: Sieger: Ding und Nepomniachtchi