FIDE Schacholympiade, Tag 10 - Freude bei den Herren - Frust bei den Damen
Freude bei den Herren, Enttäuschung bei den Damen. So kann man den vorletzten Spieltag der Schacholympiade 2022 in nur 8 Worten zusammenfassen.
Alle deutschsprachigen Herrenteams haben überzeugend gewonnen - und all unsere Damenteams leider verloren.
Kommen wir gleich zum Geschehen:
Open:
Liechtenstein, Uruguay und andere Teams
Damen:
Deutschland - Israel
Die deutschen Herren hatten mit Israel erneut einen machbaren, aber auch unangenehmen Gegner zugelost bekommen.
Liviu-Dieter Nisipeanu ersetzte den gestern glücklosen Rasmus Svane und erzielte mit Weiß ein sicheres und nie gefährdetes Remis und nachdem Dmitrij Kollars ebenfalls remisiert hatte, hing alles an den beiden Spitzenbrettern.
Vincent Keymer spielte erneut eine ganz starke Partie und bewies, dass zwei Springer bei 14 Bauern auf dem Brett und einer ramponierten Bauernstellung des Gegners einem Läuferpaar auch mal überlegen sein können.
Matthias Blübaum spielte dann die längste Partie des Tages. Um den 25. Zug herum stand er allerdings ziemlich miserabel und sein König war einem mörderischen Angriff ausgesetzt. Dann fand Matthias aber nicht nur die beste Verteidigung, sondern nahm auch die erste sich bietende Chance auf einen Konter wahr, gewann einen ganzen Turm und kurz darauf auch die Partie.
"The Big Greek" Georgis Souleidis war von dem Springeropfer auf g7 ebenfalls schwer beeindruckt:
Damit hat Matthias Blübaum zum zweiten Mal in Folge die entscheidende Partie gewonnen.
Morgen geht es gegen die zweite Mannschaft aus Indien und es kommt zum ganz großen Duell zwischen dem Superstar dieser Olympiade, D. Gukesh, und Vincent Keymer.
Da lohnt sich doch das frühe aufstehen, den morgen beginnen die Partien bereits um 6.30 Uhr deutscher Zeit!
Deutschland | 3:1 | Israel | ||
Keymer, Vincent | 2686 | 1-0 | Boruchovsky, Avital | 2551 |
Blübaum, Matthias | 2673 | 1-0 | Nabaty, Tamir | 2631 |
Nisipeanu, Liviu-Dieter | 2642 | 0.5-0.5 | Rodshtein, Maxim | 2596 |
Kollars, Dmitrij | 2648 | 0.5-0.5 | Postny, Evgeny | 2564 |
Schweiz - Irland
Auf die Schweizer wartete mit Irland ein extrem unangenehmer Gegner. Schließlich hatten die Iren bereits Deutschland einen heißen Kampf geliefert und Österreich klar besiegt.
Vielleicht deshalb, vielleicht auch aufgrund der letzten enttäuschenden Ergebnisse gingen die Schweizer diesen Kampf mit höchster Konzentration an.
Sebastian Bogner hatte um den 20. Zug herum die Idee, sowohl seine Bauern am Königsflügel als auch die im Zentrum einfach loslaufen zu lassen und erspielte sich damit eine völlig gewonnene Stellung, aber Nico Georgadis kam ihm zuvor. Er gewann seine Partie in nur 35 Zügen und lies dabei seinen Gegner Conor Murphy, der bei dieser Olympiade bislang fantastische 8.5 von 9 möglichen Punkten geholt und dabei auch Matthias Blübaum besiegt hat, fast wie einen Amateur aussehen.
Fabian Bänziger verdarb Sebastian Bogner dann den Spaß und konnte seine Partie auch noch vor dem Züricher gewinnen, indem er am Damenflügel eine Bauernmehrheit schuf, gegen die nach einem erzwungenen Turmtausch kein Kraut gewachsen war.
Und als sich Sebastians Gegner mit einer -9 Stellung immer noch verzweifelt wehrte, tauschte Oliver Kurmann kurzerhand das Brett leer und machte damit den Schweizer Sieg über den gefährlichen Außenseiter Irland perfekt.
Sebastian Bogner konnten dann irgendwann auch gewinnen und damit seine Mühe nicht ganz umsonst war, zeigen wir seine (wirklich starke) Partie hier im Schnelldurchgang:
Nach den mageren Ergebnissen in den letzten Runden war dieser deutliche Sieg über die gefährlichen Iren eine echte Überraschung. Schade, dass die Olympiade nach dem morgigen Duell gegen Israel schon zu Ende sein wird. Den Schweizern in Bestform zuzusehen, macht wirklich Spaß.
Schweiz | 3.5:0.5 | Irland | ||
Georgiadis, Nico | 2578 | 1-0 | Murphy, Conor E | 2404 |
Bogner, Sebastian | 2545 | 1-0 | O`Gorman, Tom | 2401 |
Kurmann, Oliver | 2463 | 0.5-0.5 | Kanyamarala, Tarun | 2379 |
Baenziger, Fabian | 2451 | 1-0 | Heidenfeld, Mark | 2355 |
Österreich - Andorra
Österreich traf mit Andorra auf einen in etwa gleichstarken Gegner wie gestern, aber nachdem Markus Ragger an Brett 1 nicht über ein Remis hinausgekommen war, stand zumindest fest, dass sie den 4:0 Sieg nicht wiederholen konnten.
Dann schlug aber Felix Blohberger zu und sicherte Österreich mit einer klasse gespielten Partie den vollen Punkt.
Valentin Dragnev bekam von seinem Gegner ein wunderschönes Geschenk, das er aber leider nicht annahm und das war auch schon der einzige Höhepunkt dieser Partie, die schließlich Remis endete.
Wer findet die Taktik, die Valentin übersehen hat?
Damit lag Österreich mit 2:1 in Führung und die letzte Partie zwischen Dominik Horvath und Serni Ribera Veranzones wäre sicher mit einem Remis geendet, wenn der Spieler aus Andorra nicht unbedingt gewinnen hätte müssen. So kam es, wie es so oft kommt: Serni überzog, lief in einen Konter und Dominik gewann.
Mit dem zweiten Sieg in Folge haben die Österreicher also das kleine Zwischentief wieder wettgemacht und wenn morgen noch ein dritter folgen würde, hätten sie alle Erwartungen weit übertroffen.
Österreich | 3:1 | Andorra | ||
Ragger, Markus | 2647 | 0.5-0.5 | Henderson de La Fuente, Lance | 2490 |
Dragnev, Valentin | 2557 | 0.5-0.5 | Fluvia Poyatos, Jordi | 2451 |
Blohberger, Felix | 2492 | 1-0 | Ribera Veganzones, Josep Maria | 2228 |
Horvath, Dominik | 2488 | 1-0 | Ribera Veganzones, Serni | 2203 |
Was sonst noch so geschah
Liechtenstein musste sich auch den Schachfreunden aus der Karibikinsel Aruba geschlagen geben. Den einzigen halben Punkt erspielte Dejan Jelic.
Uruguay besiegte den Jemen klar mit 4:0 und Georg Meier gewann dabei an Brett 1 eine hervorragende Partie.
Der rumänische internationale Meister Adrian Petrisor hat sich diese Partie ganz genau angesehen und erklärt uns, wie und warum Georg Meier gewonnen hat.
Außerdem kam es heute noch zur Partie aller Partien dieser Olympiade. D.Gukesh, der bislang unglaubliche 8.5 von 9 möglichen Punkten geholt und dabei Größen wie Fabiano Caruana, Alexei Shirov oder Gabriel Sargissian besiegt hatte, traf mit seinen Indern auf die Usbeken mit Schnellschach-Weltmeister Nodirbek Abdusattorov an Brett 1. Um es kurz zu machen: Abdusattorov hat gewonnen und Usbekistan hat mit einem Unentschieden im Mannschaftskampf die Tabellenführung verteidigt.
Und damit haben wir nach 10 von 11 Runden folgenden Tabellenstand erreicht:
Open
Platz | Team | Punkte | Brettpunkte* |
1 | Usbekistan | 17 | 30.5 |
2 | Armenien | 17 | 26.0 |
3 | Indien 2 | 16 | 29.5 |
4 | Indien | 16 | 27.0 |
5 | USA | 16 | 24.5 |
9 | Deutschland | 15 | 25.5 |
35 | Österreich | 13 | 23.0 |
39 | Schweiz | 13 | 23.5 |
156 | Liechtenstein | 7 | 14.5 |
*Die Brettpunkte sind erst nach der Buchholz-Wertung maßgeblich für die Platzierung
Jetzt sind aber die Damen an der Reihe!
Im Kampf um die Tabellenspitze besiegte Indien Kasachstan, Georgien und Polen trennten sich Unentschieden und die Damen aus Aserbaidschan rächten sich für die 3:1 Niederlage ihres Herrenteams gegen Armenien im Open und fertigten die Damen aus Armenien gleich mit 4:0 ab. Damit haben wir eine Runde vor Schluss folgenden Tabellenstand.
Damentabelle nach 10 von 11 Runden
Platz | Team | Punkte | Brettpunkte* |
1 | Indien | 17 | 28.0 |
2 | Polen | 16 | 29.0 |
3 | Aserbaidschan | 16 | 28.5 |
4 | Ukraine | 16 | 27.5 |
5 | Georgien | 16 | 26.0 |
14 | Deutschland | 14 | 26.5 |
53 | Österreich | 11 | 23.0 |
60 | Schweiz | 11 | 21.5 |
*Die Brettpunkte sind erst nach der Buchholz-Wertung maßgeblich für die Platzierung
Deutschland - Ukraine
Auf die deutschen Damen wartete heute eine ganz schwere Aufgabe, denn die Damen aus der Ukraine waren als ganz klarer Favorit auf Gold in diese Olympiade gestartet.
Eigentlich war das Duell dann schon nach der ersten Partie entschieden, denn Jana Schneider lief nach einer glänzend gespielten Partie gegen IM Nataliya Buksa in ein Dauerschach und wenn Jana nicht gewinnt, kann es ja mit einem Mannschaftssieg auch nichts werden.
Aber Spaß beiseite. Die deutschen Damen haben sich nämlich allesamt großartig geschlagen!
Dinara Wagner machte gegen GM Anna Ushenina genau zwei ungenaue Züge und danach brach ihre bis dahin ausgeglichene Stellung völlig zusammen.
Elli Pähtz spielte gegen Maria Muzychuk eine wirklich fehlerfreie Partie, aber da auch die Großmeisterin aus der Ukraine keinen Fehler machte, endete sie mit einem Remis.
Und Josefine Heinemann konnte sich gegen Anna Muzychuk aus einer furchtbar schlechten Stellung befreien, alle Gewinnversuche der Ukrainerin abwehren und erreichte nach 76 Zügen ebenfalls ein Remis.
Schade, dass es für die deutschen Damen heute zu einem Punktgewinn gereicht hat, aber manchmal kann selbst eine knappe Niederlage ein kleiner Erfolg sein.
Deutschland | 1.5:2.5 | Ukraine | ||
Pähtz, Elisabeth | 2484 | 0.5-0.5 | Muzychuk, Mariya | 2540 |
Heinemann, Josefine | 2321 | 0.5-0.5 | Muzychuk, Anna | 2529 |
Wagner, Dinara | 2341 | 0-1 | Ushenina, Anna | 2423 |
Schneider, Jana | 2342 | 0.5-0.5 | Buksa, Nataliya | 2401 |
Schweiz - Lettland
Die Schweizer Damen gingen gegen Lettland als nomineller Favorit in das Match und wollten sich für die gestrige Niederlage gegen Indien rehabilitieren.
Ghazal Hakimifard entschied sich für eine ultrascharfe Variante in der Sizilianischen Verteidigung und gewann in einem wilden taktischen Schlagabtausch eine Figur und damit auch die Partie.
Laura Stoeri hatte sich aus einer Damenindischen-Verteidigung heraus eine fabelhafte Stellung erspielt, konnte den Sieg aber erneut nicht festnageln und musste sich nach einem taktischen Fehler sogar in ein Dauerschach retten. Es schien aber noch alles in Ordnung zu sein. Immerhin hatten die Eidgenossinnen ja jetzt 1.5 Punkte auf der Habenseite und beide waren mit Schwarz erspielt worden.
Es schien aber noch alles in Ordnung zu sein.
Dann aber fasste Gundula Heinatz in einer schwierigen Stellung, in der ihre aktiven Figuren einen Minusbauern kompensierten, den seltsamen Entschluss, einen Figurentausch nach dem anderen zuzulassen oder selbst vorzunehmen und schließlich war nur noch der Mehrbauer übrig und die Partie war verloren und Lettland hatte zum 1.5 zu 1.5 ausgeglichen.
Um den Tag perfekt zu machen, rettete sich Lena Georgescu zwar aus einer ebenfalls schwierigen Stellung, für die ihre Gegnerin aber weniger konnte als Lena selbst, in ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern und einem Minusbauern. Leider war es aber eine der wenigen Stellungen dieser Art, die einfach nicht zu halten sind und die Niederlage gegen Lettland war in den Büchern.
Nachdem die Schweizer Damen so viel Pech bei der Auslosung gehabt haben, weil sie jedes Mal, wenn sie in das obere Tabellendrittel vorgestoßen waren, sofort gegen übermächtige Nationen gelost wurden, ist diese Niederlage besonders ärgerlich. Denn hier gibt es einfach keine Ausrede und keine Entschuldigung. Gar keine!
Schweiz | 1.5:2.5 | Lettland |
||
Georgescu, Lena | 2279 | 0-1 | Rogule, Laura | 2292 |
Hakimifard, Ghazal | 2296 | 1-0 | Berzina, Ilze | 2141 |
Heinatz, Gundula | 2196 | 0-1 | Ter-Avetisjana, Agnesa Stepania | 1962 |
Stoeri, Laura | 2084 | 0.5-0.5 | Maklakova, Nellija | 1819 |
Österreich - Frankreich
Die Österreicherinnen trafen in der heutigen 10. Runde zum ersten Mal auf eine europäische Mannschaft. Und auf was für eine! Die Französinnen sind an Nummer 5 gesetzt und können mit Marie Sebag an Brett 1 sogar eine Großmeisterin aufbieten!
Aber Setzliste und Elo-Zahlen hin oder her. Die Wahrheit liegt auf dem Brett und dort hatten sich Sebag und Co. bislang auch nur 11 Punkte erspielt und das, obwohl sie im Gegensatz zu den Damen aus Österreich doch jede Runde zu viert angetreten waren.
Besonders Chiara Polterauer zeigte überhaupt keinen Respekt vor ihrer Gegnerin und während die anderen drei Partien noch völlig ausgeglichen standen, spielte Chiara IM Pauline Guichard total an die Wand.
Den ersten halben Punkt für Österreich erspielte aber dann Elisabeth Hapala, die sich gegen IM Anastasia Savina ebenfalls eine sehr angenehme Stellung erspielt, aber ein Turmopfer, mit dem die Französin ein Dauerschach erzwingen konnte, übersehen (oder einfach zugelassen) hatte.
Dann überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Während Chiara Polterauer noch nach dem endgültigen Gewinn suchte, opferte Katharina Newrkla am Spitzenbrett im 31. Zug einen Bauern und im 32. Zug eine Qualität. Der anschließende Versuch, den somit geschaffenen Freibauern auf der a-Linie durchzubringen, wurde von der französischen Großmeisterin mit einem Zug, der zwei Ausrufezeichen verdient hat, widerlegt und die Partie war verloren.
Wer findet den Gewinnzug von GM Marie Sebag?
In genau derselben Minute stellte dann die bisher so großartig spielende Nikola Mayrhuber einen Springer ein und der Bewertungsbalken sprang von 0.00 auf +5.28.
Zu allem Überfluss traute sich Chiara Polterauer dann nicht, mit ihrem König nach vorne aus einem Dauerschach zu flüchten und wiederholte beim Versuch, die Damenschachs ihrer Gegnerin mit ihrem Turm abzuwehren, versehentlich die Züge.
Eine viel zu hohe Niederlage, die noch dazu so unnötig wie ein Kropf war!
Östereich | 1:3 | Frankreich |
||
Newrkla, Katharina | 2265 | 0-1 | Sebag, Marie | 2447 |
Polterauer, Chiara | 2183 | 0.5-0.5 | Guichard, Pauline | 2379 |
Mayrhuber, Nikola | 2141 | 0-1 | Milliet, Sophie | 2396 |
Hapala, Elisabeth | 2113 | 0.5-0.5 | Savina, Anastasia | 2377 |
Morgen, am Dienstag dem 9. August um 6.30 Uhr gehts in die letzte Runde. Dann spielen bei den Herren:
Deutschland - Indien 2
Österreich - Belgien
Schweiz - Israel
Liechtenstein - Sierra Leone
Und bei den Damen:
Deutschland - Indonesien
Österreich - Montenegro
Schweiz - Island
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