FIDE Kandidatenturnier 2020: Wang und Nepomniachtchi gehen in Führung
Obwohl weltweit fast alle Sportveranstaltungen abgesagt wurden, startete am Dienstag in Jekaterinburg das FIDE Kandidatenturnier. Gleich in der ersten Runde konnten die Großmeister Ian Nepomniachtchi und Wang Hao ihre Partien mit den schwarzen Figuren gewinnen.
Ihr könnt das FIDE Kandidatenturnier täglich ab 12.00 Uhr mit Kommentaren von IM Steve Berger live auf Chess.com/de/TV ansehen. Die zweite Runde wird am Mittwoch, den 18. März gespielt. Die Partien könnt Ihr hier auf Chess.com/events ansehen. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in diesem Artikel.
Die Übertragung der ersten Runde.
Es fühlte sich fast etwas unwirklich an, als die ersten Züge ausgeführt wurden. Das Turnier findet tatsächlich statt.
Dass das Turnier trotz des riesigen Schattens, den der Corona-Virus auf das Turnier wirft, stattfindet, hat viele überrascht und nicht nur der 14. Weltmeister Vladimir Kramnik ist der Meinung, dass das Turnier nicht stattfinden sollte.
Bisher hat die Coronavirus-Krise aber Russland nicht so hart getroffen wie andere Länder und auch deshalb entschied sich die FIDE, das Turnier abzuhalten. Heute machte jedoch die Nachricht die Runde, dass alle Teilnehmer eines Schachturniers in Murmansk nach einer möglichen Coronavirus-Infektion eines Besuchers aus Irland zur Untersuchung ins Krankenhaus eingewiesen wurden, während in Jekaterinburg die erste Person positiv auf das Virus getestet wurde.
Die strengen Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen für alle am Kandidatenturnier Beteiligten konnten aber nicht verhindern, dass sich die Spieler in einer Situation, in der sie versuchen müssen, ihr Bestes zu geben und mindestens mehrere Stunden am Tag alles, was um sie geschieht, außer Acht lassen müssen, unwohl fühlten.
Obwohl er seine erste Partie gewonnen hat, wiederholte Wang heute, dass er der Meinung sei, dass das Turnier hätte verschoben werden müssen: "Grundsätzlich sollten wir in einer solchen Situation nicht spielen. Dies ist meine Meinung. Ich denke, es ist für viele Spieler sehr beunruhigend. Es ist nicht besonders angenehm."
GM Fabiano Caruana sagte nach seinem Remis gegen GM Maxime Vachier-Lagrave: "Die Situation ist auf der ganzen Welt extrem schwierig, daher ist es schwierig, sich davon zu distanzieren. Aber wir müssen es versuchen."
Der amerikanische Großmeister drückte seine Unsicherheit bezüglich des Turniers so aus: "Ich denke, wir sind eine der letzten Sportveranstaltungen der Welt, die nicht abgesagt wurden. Am Ende des Turniers werden wir sehen, ob es die richtige Entscheidung war."
Eine Sorge ist, dass trotz all der strengen Maßnahmen eine Kontamination während des Turniers nicht ausgeschlossen werden kann. Die FIDE hat ein Protokoll für einen solchen Fall, das jedoch nicht öffentlich veröffentlicht wurde.
Ein Problem am ersten Tag war, dass mehrere Personen, die an der Eröffnungsfeier teilgenommen hatten, auf der Bühne auftraten und den Spielern dabei näher als die empfohlenen 1,5 Meter kamen. Es gab sogar einige Handschläge. Dies untergrub die Maßnahme, dass die Spieler am Abend zuvor nicht an der Eröffnungsfeier teilgenommen hatten.
The #FIDECandidates is underway! Against Dutch Prime Minster Rutte's advice @anishgiri shakes hands with Anatoly Karpov but @lachesisq is more cautious. But OK, let's focus on some chess for the coming weeks. :-)
— ChesscomNews (@ChesscomNews) March 17, 2020
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Giri gab Anatoly Karpov - gegen den Ratschlag des holländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte - die Hand. Ian Nepomniachtchi war da vorsichtiger.
Aber das Turnier begann und es begann grandios! Schachfans, die momentan wohl die glücklichsten Sportfans der Welt sind, sahen eine hervorragende erste Runde, in der zwei Partien gewonnen wurden.
Die Partie Giri gegen Nepomniachtchi war von Anfang an faszinierend. Wir bekamen eine Vorstellung davon, wie eine Vorbereitung auf höchstem Niveau im Jahr 2020 aussieht, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Spieler die Paarungen schon seit einem Monat kannten.
Zuerst schien Giri das Ruder in der Hand zu halten. Er spielte seine ersten 12 Züge sehr schnell und als Nepomniachtchi seine ersten großen Überlegungen anstellte, stand er selbstbewusst vom Brett auf.
GM Viswanathan Anand, der Star-Kommentator von Chess.com, witzelte: "Da sind viele Bluffs im Spiel. Idealerweise bekommst Du durch einen gut vorbereiteter Bluff eine geringfügig schlechtere Stellung, in der Du aber genau weißt, was Du machen musst. Ich habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass ein Spieler einfach seine Vorbereitung vergessen hat und der andere Spieler hält es für einen Bluff!"
Ein paar scharfe Züge später schien jedoch Nepo die Kontrolle zu übernehmen, was nicht nur Anand, sondern auch GM Hikaru Nakamura, der sich mittlerweile in die Liveübertragung von Chess.com eingeklinkt hatte, verwunderte. War bei Giris Vorbereitung etwas schiefgelaufen?
Keinesfalls. Nachdem der Holländer den großartigen Zug 19.Kf1! gespielt hatte, war die Stellung absolut unklar.
Nepomniachtchi fand immer wieder gute Antworten und hielt das Gleichgewicht, während Giri weiter auf Vorteil spielte - vielleicht ein bisschen zu lange.
"Irgendwann hat Anish zu stark gedrückt. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, wo", sagte Nepo nach der Partie.
Irgendwann musste Giri seine Dame für einen Turm und einen Läufer aufgeben und auf eine Festung hoffen. Vielleicht hatte er sogar kurzzeitig diese Festung, aber der russische Großmeister fand die richtigen Züge, um in einem Endspiel, das bereits 1896 vom italienischen Endspieltheoretiker Carlo Salvioli analysiert worden war, den vollen Punkt einzufahren.
"Ich muss sagen, dass er sehr gut gespielt hat. Er hat ein paar sehr gute Züge gespielt", sagte Giri. "Ehrlich gesagt denke ich, dass er die ganze Partie über sehr gut gespielt hat."
Zuvor hatte schon Wang seine Partie gewonnen und führte dadurch für einige Minuten die Tabelle alleine an. "Es war doch nur die erste Runde. Ein Sieg ist schön aber nichts besonderes", sagte er nach der Partie.
Wenn die Partie eines gezeigt hat, dann sicher, dass sich GM Ding Liren noch nicht in seiner Höchstform befindet. Ob das an der 2-wöchigen Quarantäne in der Nähe von Moskau liegt weiß niemand, aber GM Daniel Naroditsky fielen gleich mehrere fragwürdige Entscheidungen des chinesischen Großmeisters auf.
Wie Wang später erklärte, ging es für seinen Landsmann ab dem 30. Zug bergab. Dabei spielten sicher auch Zeitprobleme eine Rolle, da Ding im 40. Zug seine letzte Chance auf Ausgleich verpasste.
Wang sagte über das Thema Zeitnot: "Wenn Dir Deine Stellung zwar gefällt, Du aber plötzlich merkst, dass Du in Deinen Berechnungen etwas übersehen hast, kann Dich das sehr viel Bedenkzeit kosten. Und einige Spieler denken auch einfach gerne nach!"
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Die beiden Remispartien hatten auch einige spannende Momente. Alleine schon deshalb, weil bei diesem besonderen Ereignis so viel auf dem Spiel steht. "Bei einem Kandidatenturnier ist der Druck im Allgemeinen extrem hoch. Eine so zweischneidige Stellung auf dem Brett zu haben ist ein bisschen nervenaufreibend", sagte Caruana.
Obwohl er nie wirklich in Schwierigkeiten war, fühlte sich auch Vachier-Lagrave die meiste Zeit in der Partie etwas unwohl: "Die Stellung war sehr unangenehm zu spielen. Ich habe zwar das Gefühl, dass ich richtig navigiert habe, aber es gab schon ein paar beängstigende Momente."
Caruana: "Zu einem gewissen Zeitpunkt dachte ich, dass ich ernsthafte Gewinnchancen hätte. 32...Sg5 fühlte sich nicht wie der richtige Zug an, aber alles andere hat mir nicht gefallen. Danach war es einfach nur ein Remis."
Grand Prix Sieger GM Alexander Grischuk hatte gegen GM Kirill Alekseenko seine Chancen, aber wieder einmal hat ihm sein schlechtes Zeitmanagement einen möglichen Sieg gekostet. Alekseenko dachte aber genauso lange nach und so kam es, dass beide Spieler nach nur 17 Zügen nur noch 10 Minuten Bedenkzeit auf der Uhr hatten.
Die Art und Weise, wie Alekseenko mit der Stellung umging, war ziemlich genial. Er benötigte den positionell wünschenswerten Zug a7-a6, aber dieser Bauer war dort ungeschützt. Der Zug funktionierte aber trotzdem. Es ist eigentlich nicht klar, wo Grischuk besser hätte spielen können.
Mit der ersten Runde in den Büchern ist das Turnier eröffnet und jeder kann sich so gut wie möglich auf das Wesentliche konzentrieren. Die Spieler und andere am Turnier beteiligte Personen erhalten am Abend eine weitere ärztliche Untersuchung und werden am 10. Tag erneut auf das Coronavirus getestet.
Selbst wenn sie das Hotel verlassen und die verschneiten Straßen von Jekaterinburg betreten, werden die Spieler wahrscheinlich nicht weit gehen und nur das notwendigste erledigen. Vachier-Lagrave erwähnte, dass er ein Problem schon gelöst hat: "Ich habe das Hotel verlassen, um mir die Haare schneiden zu lassen. Das war aber auch dringend nötig."
Tabelle
# | Land | Name | Elo | Leistung | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | Punkte | SB |
1-2 | Ian Nepomniachtchi | 2774 | 3563 | 1 | 1.0 | 0 | ||||||||
1-2 | Wang Hao | 2762 | 3605 | 1 | 1.0 | 0 | ||||||||
3-6 | Fabiano Caruana | 2842 | 2767 | ½ | 0.5 | 0.25 | ||||||||
3-6 | Alexander Grischuk | 2777 | 2698 | ½ | 0.5 | 0.25 | ||||||||
3-6 | Maxime Vachier-Lagrave | 2767 | 2842 | ½ | 0.5 | 0.25 | ||||||||
3-6 | Kirill Alekseenko | 2698 | 2777 | ½ | 0.5 | 0.25 | ||||||||
7-8 | Ding Liren | 2805 | 1962 | 0 | 0.0 | 0 | ||||||||
7-8 | Anish Giri | 2763 | 1974 | 0 | 0.0 | 0 |
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— International Chess Federation (@FIDE_chess) March 17, 2020
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