FIDE Kandidatenturnier 2020: Nepomniachtchi geht in Führung
In der fünften Runde des FIDE Kandidatenturniers in Jekaterinburg konnte GM Ian Nepomniachtchi mit Weiß gegen Wang Hao gewinnen und dadurch auch die Tabellenführung übernehmen. Auch GM Anish Giri stand gegen GM Fabiano Caruana kurz vor einem Sieg, scheiterte aber an der Aufgabe, das beste Feld für seinen Turm zu finden.
Ihr könnt das FIDE Kandidatenturnier täglich ab 12.00 Uhr mit Kommentaren von IM Steve Berger live auf Chess.com/de/TV ansehen. Die sechste Runde wird am Montag, den 23. März gespielt. Die Partien könnt Ihr hier auf Chess.com/events ansehen. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in diesem Artikel.
Die Übertragung der fünften Runde in voller Länge
Während uns aus Italien eine Horrornachricht nach der anderen erreicht und der Alltag fast aller Menschen auf dem Planeten auf die eine oder andere Weise vom Coronavirus betroffen ist, machen die Schachspieler in Jekaterinburg weiterhin einfach ihr Ding. Die Show muss weitergehen, sagen die russischen Organisatoren.
Da für einen einzelnen Spieler so viel auf dem Spiel steht, wäre es nicht sinnvoll, einfach auszusteigen (obwohl GM Teimour Radjabov genau das getan hat). Wang hat sowohl vor als auch während des Turniers erklärt, dass er der Meinung ist, dass das Turnier nicht gespielt werden sollte. Heute bekam er Unterstützung von GM Alexander Grischuk:
Dieser beantwortete die Frage nach seiner Form: "Meine Form ist schrecklich. Ich möchte in dieser Situation eigentlich überhaupt nicht spielen. Am Anfang hatte ich keine klare Meinung, aber seit einigen Tagen habe ich eine sehr klare Meinung: Das Turnier sollte gestoppt werden. Die ganze Atmosphäre ist sehr feindselig. Alle tragen Masken und an jeder Ecke steht ein Security-Mitarbeiter und so weiter..."
"Für mich ist das sehr schwierig. Ich möchte einfach nicht spielen und überhaupt nicht hier sein. Angesichts dessen bin ich mit meinen Ergebnissen ziemlich zufrieden, aber es ist doch kein Zufall, dass alles andere aufgehört hat. Das hier ist die einzige Sportveranstaltung auf der ganzen Welt, die noch läuft. Ich denke, es sollte abgebrochen und verschoben werden."
Grischuk fügte einen Satz hinzu, der der gleichen Logik wie der von Radjabov folgt, dass Spieler, selbst wenn sie den Virus nicht bekommen, trotzdem vom Virus beeinflusst werden:
"Auch GM Mikhail Botvinnik hat doch schon gesagt: Wenn zwei Spieler stehend gegeneinander spielen, ist es nicht sicher, dass derselbe gewinnt, der im Sitzen gewinnen würde."
Caruana sprach über seine nähere Zukunft: "Ich bin mir nicht sicher, wohin ich nach diesem Turnier reisen kann. Ich könnte irgendwo stranden und ich weiß nicht einmal, wo das sein wird. Das US-Außenministerium hat alle Amerikaner aufgefordert in die USA zurückzukehren und wenn sie dieser Aufforderung nicht sofort nachkommen, kann ihnen die Einreise in die USA verweigert werden."
Nach offiziellen Angaben gibt es in Russland derzeit 367 Fälle von mit Coronaviren infizierten Personen. GM Garry Kasparov zweifelt diese Zahl, wie alle Zahlen und Informationen die von der russischen Regierung stammen, natürlich wie immer an:
Why is CNN running Putin's propaganda? Russia's numbers are "low" because they are lying. They are always lying until proven otherwise. They don't take down misinformation, they take down the truth. I'm furious. https://t.co/0GzU6HUDZj
— Garry Kasparov (@Kasparov63) March 22, 2020
Vor einigen Tagen wurden alle internationalen Sportveranstaltungen in Russland abgesagt, und gestern schlug der Präsident des Russischen Schachverbandes, Andrey Filatov, vor, die Spieler zu isolieren und die Partien online zu spielen. Eine solch gravierende Änderung während des Turniers durchzusetzen dürfte allerdings so gut wie unmöglich sein. Ob das Turnier aber wie geplant am 3. April zu Ende geht, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Mittlerweile hat ein anderer russischer Spieler die Tabellenführung erobert, denn Ian Nepomniachtchi konnte als erster Spieler zwei Partien gewinnen. Die Bedeutung der Tabellenführung spielte er aber herunter:
"Solange ich nicht nach der letzten Runde führe, bedeutet das nichts. Natürlich ist es sehr gut eine Partie mit Weiß zu gewinnen, besonders weil ich in meiner letzten Weißpartie gegen Alexander [Grischuk] nichts erreicht habe und OK. Heute war meine Vorbereitung erfolgreicher. Aber im Grunde genommen ist das Turnier erst am Anfang."
Nepo hatte es dank einer guten Vorbereitung geschafft, gegen die Russische-Verteidigung seines Gegners einen leichten Vorteil zu erzielen und wieder war es Harry der h-Bauer, der eine wichtige Rolle spielte und bis nach h6 lief. Das ermöglichte Weiß taktische Möglichkeiten wie die Züge 28.c4! und 34.f4!, die ein Mattnetz sponnen und letztendlich den Killerzug 38.Dd8! ermöglichten.
Es war dieser letzte Zug, den Wang einfach übersehen hatte:
In den drei Partien, die mit einem Remis endeten, kam Giri einem Sieg am nächsten. Es war eine dieser Partien, die niederländische Fans, die ihren Top-Spieler schon so oft in einer ähnlichen Situation gesehen haben, frustrierte.
Auf die Frage, wie Großmeister mit verpassten Chancen umgehen, antwortete Giri: "Sobald man es erlebt hat, wird es besser. Wie heutzutage alles andere auch, sollte man seine Sünden mit Seife abwaschen und dann ist alles gut."
Giri war einmal mehr sehr gut vorbereitet und konnte Caruana damit verwirren.
"Ich war mit der Stellung nicht wirklich glücklich," sagte der Amerikaner. "Ich war ein wenige überrascht, als Anish diese 10.Dc2 Variante spielte. Ich wusste zwar, dass es sie gibt, aber sie wird ja so gut wie nie gespielt. Die meisten spielen 12.Db3. Ich wusste nicht, wie ich jetzt weiterspielen sollte und habe mit 10...Sbd7, 11...Sb6 und 12...Db8 etwas improvisiert. Das hat aber nicht wirklich funktioniert. Ich stand eigentlich die ganze Partie über ziemlich schlecht."
"Ich war mit meiner Stellung sehr zufrieden," said Giri. "Ich glaube, Fabiano wollte mit 13...Db8 sehr clever sein, aber nach 14.h4 macht sein Zug irgendwie keinen Sinn und ich sollte klar besser stehen."
Der Vorteil von Weiß wurde größter und die Bewertung der Engine stieg bis zum 33. Zug auf +2, aber Giri fand nicht die stärkste Fortsetzung. "Es stellte sich heraus, dass es nicht so einfach war, die Partie zu gewinnen, weil ich bis zum Ende keine Gewinnvariante finden konnte. Schwarz hat einfach sehr viele Ressourcen", sagte er.
Gleichzeitig hat Caruana mit 33...d4! einen Zug gefunden, der ihm ein Gegenspiel gibt. "Wenn du eine Chance verpasst, aber dann eine verlorene Stellung überlebst, erinnerst du dich nicht mehr an den verschenkten Sieg", sagte er. "Das war eine glückliche Wendung und deshalb fühle ich mich jetzt auch viel besser."
Die kürzeste Partie der Runde war auch die spektakulärste. Einen großen Teil des Feuerwerks hatte GM Maxime Vachier-Lagrave, der diese scharfe Najdorf-Variante bereits im letzten Dezember gegen Weltmeister Magnus Carlsen gespielt hatte, bereits in der Vorbereitung gefunden.
GM Kirill Alekseenko folgte den Zügen des Weltmeisters bis MVL im 16. Zug von der "Londoner Partie" abwich:
Hier spielte MVL 16...g6 statt 16...Lf8, was nach den Zügen 17.Lg5 Dc7 und 18.Th4 auch verloren hätte, wie er selbst sagte. Mit diesem Zug scheint er auch das endgültige Urteil für diese Variante gefällt zu haben und das lautet: "OK für Schwarz"
"Natürlich kann Weiß noch einiges versuchen, aber wenn ich mich an meine Analyse richtig erinnere, kann Schwarz die Partie eigentlich nicht verlieren", sagte Vachier-Lagrave.
Nach den nächsten Zügen stand das Brett in Flammen: 17.Txg6!? Txc3! und dann dachte Alekseenko 48 Minuten nach und entschied sich für 18.Sxe6. "Das einzige, was ich über 16...g6 wusste, war, dass ich auf g6 schlagen sollte", sagte er danach.
Nachdem Vachier-Lagrave alle wichtigen Varianten gezeigt hatte (eingebettet in die Partie unten), scherzte er: "Wenn mein nächster Gegner hier wieder 50 Minuten lang nachdenkt, werde ich die Schiedsrichter bitten, mir einige Brettspiele in den Ruheraum zu bringen!"
Obwohl Grischuk seine Motivation zum Spielen verloren hat, kam er gegen GM Ding Liren in einem Anti-Marshall mit 8.h3 zu einem problemlosen Remis.
Grischuk: "Ich denke, es war eine sehr gute Partie. Sehr gut, aber nicht sehr interessant. Weiß drückt ein bisschen und am Ende ist es ein Remis. Schwarz musste aber die ganze Zeit sehr präzise spielen."
Ding: "Ich war besorgt über diese Variante. Er wiederholte eine Variante, die schon Maxime gegen mich gespielt hatte und ich hatte meine Vorbereitung vergessen und versuchte mich verzweifelt daran zu erinnern, aber irgendwie war ich alleine. Als ich die Idee mit 20...Sb4 und 21...Ld5 gefunden hatte, war ich sehr glücklich."
Interessanterweise schien keinem der beiden Spieler bewusst zu sein, dass die ersten 22 Züge bereits vor zwei Jahren in einer Fernschachpartie gespielt worden waren.
Tabelle nach der 5. Runde
# | Land | Name | Elo | Leistung | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | Punkte | SB |
1 | Nepomniachtchi, Ian | 2774 | 2915 | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 3.5 | |||||
2 | Vachier-Lagrave, Maxime | 2767 | 2847 | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | 3.0 | |||||
3 | Caruana, Fabiano | 2842 | 2762 | ½ | ½ | 0 | 1 | ½ | 2.5 | 6.25 | ||||
4 | Wang Hao | 2762 | 2763 | 0 | ½ | 1 | ½ | ½ | 2.5 | 5.25 | ||||
5 | Grischuk, Alexander | 2777 | 2762 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 2.5 | 6.5 | ||||
6 | Ding Liren | 2805 | 2712 | 0 | 1 | 0 | ½ | ½ | 2.0 | 4.75 | ||||
7 | Alekseenko, Kirill | 2698 | 2713 | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | 2.0 | 5.75 | ||||
8 | Giri, Anish | 2763 | 2720 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 2.0 | 5 |
Die Paarungen der 6. Runde lauten: Grischuk-Caruana, Alekseenko-Giri, Nepomniachtchi-Ding, Wang-Vachier-Lagrave. Den gesamten Spielplan findet Ihr hier.
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