FIDE Kandidatenturnier 2020: Giri und Nepomniachtchi gewinnen weiter
Anish Giri's Sieg über Fabiano Caruana hatte in der Tabelle keine Auswirkungen, denn Wang Hao konnte ein schwieriges Endspiel gegen Ian Nepomniachtchi nicht halten. Der Russe führt somit das FIDE Kandidatenturnier weiterhin mit einem halben Punkt Vorsprung an.
In dieser Runde gab es kein einziges Remis. Maxime Vachier-Lagrave meldet sich mit einem Sieg über Kirill Alekseenko zurück und Ding Liren konnte gegen Alexander Grischuk gewinnen.
So könnt Ihr zusehen:
Das Kandidatenturnier könnt Ihr jeden Tag auf Chess.com/TV verfolgen.
Die deutschsprachige Übertragung mit den Kommentatoren IM Steve Berger und WIM Fiona Steil-Antoni könnt Ihr auf Twitch und YouTube ansehen.
Die Übertragung wird von Grip6 gesponsert. Wenn Ihr auf grip6.com/pages/chess den Code CHESS20 verwendet, bekommt Ihr auf alle Produkte 20% Rabatt.
Alle Partien findet Ihr hier auf unserer neuen Seite Chess.com/events. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in unserem Info-Artikel.
Die Chess.com Übertragung der 12. Runde.
Die 12. Runde des Kandidatenturniers in Jekaterinburg war sowohl spektakulär als auch historisch. Zum ersten Mal seit 59 Jahren gab es bei einem Kandidatenturnier in einer Runde kein einziges Remis. Das letzte Mal war dies 1962 in der 13. Runde auf Curacao passiert. Damals wurden die Partien Benko-Keres, Filip-Korchnoi, Fischer-Petrosian und Tal-Geller allesamt von Schwarz gewonnen. Allerdings wurde das Kandidaten"turnier" zwischen 1965 und 2011 nicht als Turnier ausgetragen.
In der zweiten Hälfte des Turniers gab es noch keinen einzigen Sieg für Schwarz, aber heute gab es gleich zwei. Nepomniachtchi hat jetzt fünf Siege auf seinem Konto. Die gleiche Anzahl, die Carlsen (2013) und Caruana (2018) für den Gewinn des Turniers benötigt hatten.
Die Beschreibung "Wang hat verloren" scheint die Partie besser zu beschreiben, als "Nepomniachtchi hat gewonnen", obwohl natürlich beide Prämissen zutreffen. Mit einem Läuferpaar und einer symmetrischen Bauernstruktur im Mittelspiel verliert ein Supergroßmeister normalerweise nicht.
"Ich habe nur darüber nachgedacht, wie ich nicht in Schwierigkeiten gerate. Die Stellung war zwar natürlich ausgeglichen aber sie konnte auch jeden Moment unangenehm werden", sagte Nepomniachtchi.
Gleichzeitig muss man aber auch anerkennen, dass Nepomniachtchi gut manövriert und es tatsächlich geschafft hat, Weiß unter Druck zu setzen.
Als Wang noch 10 Minuten für 2 Züge hatte, war die Stellung noch in etwa ausgeglichen, aber dann entschied sich der Chinese für den seltsamen Zug 39.Te7 und der gab seinem Gegner Chancen.
Hier spielte Wang den Zug 39.Te7, anstatt seinen Springer zu aktivieren.
Danach brach der chinesische Großmeister mental völlig zusammen und gab die Partie auf, obwohl er noch eine aktive Verteidigung gehabt hätte, mit der er sich eventuell noch ein Remis erkämpfen hätte können.
"Ich war sehr erschöpft und konnte überhaupt nichts mehr berechnen. Irgendwo habe ich einen Fehler gemacht und dann einfach verloren, wie es mir jedes Mal passiert", erklärte Wang mit einem ironischen Lächeln und fügte hinzu: "Ich habe das Gefühl, dass ich nach dem 40. Zug wie ein Spieler mit 2200 gespielt habe."
Ich habe das Gefühl, dass ich nach dem 40. Zug wie ein Spieler mit 2200 gespielt habe.
—Wang Hao
Je näher er dem Turniersieg kommt, desto kürzer werden Nepomniachtchis Antworten zu diesem Thema. Heute sagte er nur: "Ich denke, es ist immer noch sehr komplex und wir haben noch zwei Runden vor uns."
GM Ben Finegold analysiert die Partie.
Dass Nepomniachtchi seine Partie gewinnen konnte, war natürlich Pech für Giri, der nach seinem Sieg über Caruana in der Blitztabelle schon die Führung übernommen hatte. In einem so wichtigen Moment die Nummer zwei der Welt zu schlagen, war für Giri enorm, aber jetzt muss er in den verbleibenden zwei Runden noch einen vollen Punkt mehr als Nepomniachtchi erzielen, um den Turniersieg zu erringen.
Während Caruana neulich gegen Nepomniachtchi auf den Sizilianer verzichtet hatte, spielte Giri bereits zum dritten Mal in der zweiten Turnierhälfte die Sizilianische Verteidigung. Er wählte aber diesmal einen anderen zweiten Zug (2 ...e6). Vielleicht um das Rossolimo oder die 7.Sd5-Variante im Sveshnikov zu vermeiden.
In der 4-Springer-Variante mied Caruana die Hauptlinien mit 7.a3 und 9.Dd3. Daraus wurde dann ein Scheveningen, wo diese beiden Züge ja nicht die häufigsten sind. Weiß behielt einen kleinen Vorteil, aber das folgende Gemetzel im Zentrum nahm für Schwarz keinen ungünstigen Verlauf. Giri hatte das Gefühl, nach 20...Df8, was vielleicht der Wendepunkt der Partie war, vollständig ausgeglichen zu haben.
Die Stellung nach 20...Df8.
"Du musst natürlich Glück haben", sagte Giri und wies darauf hin, dass Caruana wohl erkannt haben muss, dass er nach 20…Df8 seinen Anzugsvorteil verspielt hatte. "Angesichts der Tatsache, dass er gewinnen musste, war das sicher eine große Enttäuschung für ihn. Und wenn Du unter Siegzwang stehst, ist es schwierig, sich verteidigen zu müssen. Da spielst Du dann ohne jede Begeisterung."
Giri übernahm dann das Kommando und erspielte sich irgendwann eine dominierende Stellung mit einem guten Springer gegen einen schlechten Läufer. Übrigens genau wie in der entscheidenden Blitzpartie beim Magnus Carlsen Invitational gegen Nepomniachtchi.
Während der letzten Phase der Partie sagte Kommentator Daniel Naroditsky, dass Giri in dieser Partie seinem Gegner taktisch, strategisch und technisch überlegen war.
Jorden van Foreest, der zu diesem Zeitpunkt einen Gastauftritt bei der Chess.com Übertragung hatte, nannte die Qualität von Giris letzten Partien "außerirdisch":
Like @max_warmerdam, @jordenvforeest says @anishgiri has made a lot of progress in the last year: "I don't know what it was but whatever he's been doing is certainly working out. He had trouble finishing people off but now he has overcome that."#FIDECandidates https://t.co/TY5p81aZT0
— ChesscomNews (@ChesscomNews) April 24, 2021
Obwohl jetzt alle von einem Zweikampf zwischen Giri und Nepomniachtchi sprechen, hat auch Vachier-Lagrave noch eine Chance das Turnier zu gewinnen. Besonders, weil er in der nächsten Runde gegen Nepomniachtchi spielt - wenn auch mit den schwarzen Steinen. Giri seinerseits muss noch mit Schwarz gegen Grischuk und dann mit Weiß gegen Alekseenko spielen. Nepomniachtchi trifft in der letzten Runde mit Schwarz auf Ding.
Wie schon in der Partie gegen Nepomniachtchi war Alekseenkos Eröffnung eine mittlere Katastrophe. In einem Caro-Kann reagierte nicht gut auf MVLs Zug 3.f3 und lag schon bald darauf in der Entwicklung weit zurück.
"Es ist eine schwierige Variante in der es auf viele kleine Details ankommt. Ich konnte mich nicht an alle dieser Details erinnern, aber doch an genügend davon," sagte Vachier-Lagrave, der seinen Gegner aber für das kreative Bauernopfer lobte.
Bei der Pressekonferenz erklärte MVL, dass er im kritischen Moment der Partie, als er sich entschlossen hatte, die Türme zu tauschen, sowohl seine Chancen auf den Turniersieg als auch sein Selbstvertrauen zurückerlangt hatte: "Ich traf eine sehr radikale Entscheidung, die durch mein Spiel in den letzten Runden beeinflusst war. Ich dachte, wenn Td1 zu einem Remis führt, wäre das echt schade, aber ich war mir relativ sicher, dass ich das Endspiel bis zum Sieg berechnet hatte. Und ich dachte, dass ich mich danach ein bisschen besser fühlen würde und mir das in den letzten beiden Partien helfen könnte. Deshalb habe ich es getan. Um ehrlich zu sein, war es keine sehr praktische Entscheidung."
Ich traf eine sehr radikale Entscheidung, die durch mein Spiel in den letzten Runden beeinflusst war.
—Maxime Vachier-Lagrave
Vachier-Lagrave sagte, er sei jetzt "größtenteils erleichtert" und will sich am Ruhetag auf die letzten beiden Runden konzentrieren: "Dieser Sieg bedeutet, dass ich das Turnier weiterspielen und versuchen kann, eine gute Partie zu spielen. Ich meine, zwei gute Partien!"
Nach dem gestrigen Sieg beschrieb er seine Chancen auf den Turniersieg als "mikroskopisch", aber die heutige Niederlage gegen Ding bedeutet, dass Grischuk definitiv aus dem Rennen ist. In einem abgelehnten Damengambit passierte nicht viel, aber der russische Großmeister geriet wieder einmal in Zeitnot und dann unterlief ihm im 40. Zug ein Fehler, von der Ding schnell profitierte:
Tabelle nach der 12. Runde
# | Land | Name | Elo | Lstg. | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | Punkte |
1 | Ian Nepomniachtchi | 2774 | 2891 | 1½ | 0 | ½½ | ½½ | 1 | 11 | ½1 | 8.0 | ||
2 | Anish Giri | 2763 | 2869 | 0½ | ½½ | ½1 | ½ | ½1 | ½1 | 1 | 7.5 | ||
3 | Maxime Vachier-Lagrave | 2767 | 2804 | 1 | ½½ | ½0 | ½0 | 1½ | ½ | ½1 | 6.5 | ||
4 | Fabiano Caruana | 2842 | 2763 | ½½ | ½0 | ½1 | ½ | 0½ | ½ | 1½ | 6.0 | ||
5 | Alexander Grischuk | 2777 | 2740 | ½½ | ½ | ½1 | ½ | ½0 | ½½ | ½0 | 5.5 | ||
6 | Ding Liren | 2805 | 2717 | 0 | ½0 | 0½ | 1½ | ½1 | 0½ | ½ | 5.0 | ||
7 | Wang Hao | 2762 | 2712 | 00 | ½0 | ½ | ½ | ½½ | 1½ | ½½ | 5.0 | ||
8 | Kirill Alekseenko | 2698 | 2696 | ½0 | 0 | ½0 | 0½ | ½1 | ½ | ½½ | 4.5 |
(Feinwertung: 1. Direkter Vergleich, 2. Anzahl der Siege, 3. Sonneborn-Berger..)
Die Paarungen der 13. Runde, die erst am Montag gespielt werden wird, lauten: Wang - Caruana, Nepomniachtchi - Vachier-Lagrave, Alekseenko - Ding, Grischuk - Giri. Den gesamten Spielplan findet Ihr hier.
So verlief das Kandidatenturnier bisher:
- Runde 1: Wang und Nepomniachtchi gehen in Führung
- Runde 2: Ding verliert erneut
- Runde 3: Ding schafft gegen Caruana ein sensationelles Comeback
- Runde 4: Vachier-Lagrave vergibt eine große Chance
- Runde 5: Nepomniachtchi geht in Führung
- Runde 6: Nepomniachtchi baut seine Führung aus
- Runde 7: Vachier-Lagrave besiegt Nepomniachtchi und übernimmt die Führung
- Runde 8: Ein genial vorbereiteter Caruana holt auf
- Runde 9: Giri rückt auf den zweiten Platz vor
- Runde 10: Nepomniachtchi zieht dem Feld davon
- Runde 11: Giri jetzt alleiniger Zweiter