FIDE Kandidatenturnier 2020: Ding verliert erneut
In der zweiten Runde des FIDE Kandidatenturniers konnten GM Fabiano Caruana und GM Maxime Vachier-Lagrave überzeugende Siege feiern und in der Tabelle zu den Führenden Ian Nepomniachtchi und Wang Hao aufschließen. GM Ding Liren musste jedoch bereits seine zweite Niederlage einstecken.
Ihr könnt das FIDE Kandidatenturnier täglich ab 12.00 Uhr mit Kommentaren von IM Steve Berger live auf Chess.com/de/TV ansehen. Die dritte Runde wird am Donnerstag, den 19. März gespielt. Die Partien könnt Ihr hier auf Chess.com/events ansehen. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in diesem Artikel.
Die Übertragung der 2. Runde in voller Länge
Zu einer Zeit, in der so gut wie jedes Sportevent abgesagt ist, können sich Schachfans kaum beschweren. Das Kandidatenturnier findet nicht nur statt, sondern bringt auch von Anfang an spannende Partien und Dramen hervor.
Die große Überraschung nach dem zweiten Tag ist der schlechte Start von GM Ding Liren, der beim letzten Kandidatenturnier keine einzige Partie verloren hatte. Es ist kaum zu glauben, dass einer der beiden Topfavoriten auf den Turniersieg schon nach nur 2 Runden fast keine Chance mehr auf eben diesen hat.
Zumindest GM Alexander Grischuk hat auch zu Corona-Zeiten seinen Humor nicht verloren und spekulierte: "Vielleicht ist er ja während seiner Quarantäne in Moskau vergiftet worden?"
Die Partien von Caruana und MVL, die beide mit Weiß gewinnen konnten, endeten mit nur wenigen Minuten Zeitabstand. Die eine jedoch mit einem vernichtenden Angriff, während die andere einfach positionell total verloren war.
Bei seiner allerersten Begegnung mit Alekseenko entschied sich Caruana gegen die Nimzo-Indische Verteidigung für die 4.f3-Variante, die er in seiner Karriere noch nie gespielt hatte. "Das ist auch sehr riskant für Weiß", sagte er danach.
Falls dies bedeutet, dass die Nummer 2 der Welt bereit ist, in der Eröffnung noch schärfere Varianten zu spielen, haben seine Gegner Grund zur Sorge - und dazu gehört auch der Weltmeister selbst, falls er in seinem nächsten Titelkampf erneut auf Caruana treffen sollte.
Alekseenko wählte eine solide Fortsetzung, aber "seine Erinnerung an diese Variante war wahrscheinlich ein bisschen verschwommen", wie es Caruana etwas später ausdrückte. Der russische GM muss sich auf diesen Nimzo vorbereitet haben, möglicherweise zusammen mit seinem Sekundanten GM Peter Svidler (der aber eigentlich ein Gruenfeld-Spezialist ist), aber wahrscheinlich nicht für diesen Tag und nicht für diesen Gegner.
Die Partie blieb aber sehr scharf und konkret, und schon kurz nach der Eröffnung musste Alekseenko eine Fortsetzung anstreben, die zu einem materiellen Ungleichgewicht führte.
"Ich denke, er musste eine Figur opfern", sagte Caruana über den Zug 19...Lxg4. Dies führte zu einer Stellung mit drei Bauern gegen eine Figur, die ja meistens schwer zu bewerten ist.
Nicht nur, weil sein Gegner dann nur noch 17 Minuten für 20 Züge auf der Uhr hatte, war Caruana optimistisch: "Es war eine angenehme Situation für mich. Ich hatte viel Zeit und meine Stellung war gut und sehr sicher."
Es war auch wichtig, dass Weiß das Feld d5 für seine Figuren hatte. Sobald "alle Freunde in der Party waren" brach Caruana mit einigen Opfern, die mit 58 Minuten auf der Uhr nicht allzu schwer zu berechnen waren, durch. Alekseenko spielte zu diesem Zeitpunkt bereits auf den 30 Sekunden Bonuszeit.
Die Partie Vachier-Lagrave gegen Ding war fast die Geschichte eines einzigen Zuges. In einer noch theoretischen Stellung schob der Chinese seinen f-Bauern ein Feld zu weit nach vorne, was sich als wesentlicher Unterschied herausstellte. Gestern war der Zug f2-f4 der Beginn seiner Probleme, heute ...f7-f5.
Der Unterschied war ziemlich subtil:
Weiß hat gerade den Zug 18.c4! gespielt und droht auf b5 zu schlagen, denn Schwarz kann wegen La4 nicht mit der Dame zurückschlagen. Stünde der Bauer jetzt auf f6, könnte Schwarz aber einfach mit 18...Tf8 19.cxb5 Dxb5 fortsetzen und hätte keine Probleme, aber weil der Bauer auf f5 steht, scheitert die Variante an 20.Sxe5! dxe5 21.d6+ wonach Weiß gewinnt.
Bemerkenswerterweise war die mangelnde Koordination von Schwarz so schwerwiegend, dass GM Viswanathan Anand in der Stellung des Diagramms für Schwarz bereits keinen einzigen Zug mehr sah.
Nach 18...Sf7 19.cxb5 ging Ding mit 19...g5 volles Risiko. Das aber machte die Sache nur noch schlimmer und schon kurz danach stand er mit dem Rücken zur Wand. Auch wenn Vachier-Lagrave mit der Art und Weise, wie er den vollen Punkt nach Hause brachte, nicht zufrieden war, hat seine Fortsetzung zum Sieg gereicht.
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Lange Zeit dachten alle, dass auch eine dritte Partie mit einem Sieg enden würde, denn Wang schien GM Anish Giri im Sack zu haben und die alleinige Führung übernehmen zu können. Am Ende konnte er allerdings ein Endspiel, das Anand als technisch gewonnen bezeichnete, nicht gewinnen.
Der Chinese war aber nach der Partie trotzdem guter Laune: "Eigentlich ist es OK, denn nach der Eröffnung hatte ich nichts. Gar nichts! Ich wollte schon mit 12.Dc1 eine Zugwiederholung herbeiführen. Die Partie hätte also auch ein sehr kurzes Remis werden können. Dann dachte Anish 40 Minuten nach und spielte 12…a6. Das habe ich überhaupt nicht verstanden."
Daraufhin erlangte Weiß einen typischen leichten Vorteil in einem Mittelspiel, das der Tarrasch-Variante des abgelehnten Damengambits ähnelte. Im Endspiel gewann Wang einen Bauern und war dem Sieg tatsächlich sehr nahe.
"Ich war wirklich besorgt", sagte Giri. "Wenn ich beim Kandidatenturnier eine Serie starte, hört sie normalerweise nicht so schnell auf. Ich dachte schon, dass ich es vielleicht schaffen werde, alle 14 Partien zu verlieren! So wie ich heute gespielt habe, hätte ich auch verlieren müssen, aber am Ende hatte ich großes Glück. Ich war mir sicher, dass ich eine Verluststellung hatte."
Nach seiner Partie wies Grischuk darauf hin, dass wahrscheinlich 99,9 Prozent der Schachfans nicht an den Feinheiten des Berliner Endspiels interessiert sind, aber dass er zu den 0,01 Prozent gehört. Das passt nur nicht mit einem merkwürdigen Moment in der ersten halben Stunde der Partie zusammen.
Here's Grischuk involved in a curious moment at the start of round 2 of the #FIDECandidates.
— Chess.com (@chesscom) March 18, 2020
Caption contest!
📹 @FIDE_chess pic.twitter.com/k2mhpy5Xkh
Anscheinend ist Grischuk noch ein paar Mal eingeschlafen. In seinem Interview sagte er: "Das Ergebnis ist in Ordnung. Ich habe die Hälfte der Partie geschlafen. Ich weiß nicht, was ich dachte, und dann sehe ich, dass ich nur noch sechs Minuten Zeit habe und aufwachen sollte."
Vielleicht hatte er eine schlechte Nacht, oder vielleicht meinte er es überhaupt nicht wörtlich, aber Tatsache ist, dass Grischuk 27 Minuten für seine Züge 16, 17 und 18 und dann 38 Minuten für Zug 19 verbrauchte. Danach hatte er eine Stunde weniger auf der Uhr als sein Gegner.
"Ich denke, ich stand vielleicht sogar etwas besser, aber natürlich war es mit diesen Zeitproblemen und so kurz nach dem Aufwachen schwierig", sagte Grischuk. "Ich habe es nicht einmal versucht. Ich habe nur so sicher wie möglich gespielt."
Nepomniachtchi: "Wenn Alexander mehr Zeit gehabt hätte, wäre es für mich ziemlich unangenehm gewesen, diese Stellung zu verteidigen."
Tabelle
# | Land | Name | Elo | Leistung | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | Punkte | SB |
1 | Fabiano Caruana | 2842 | 2923 | ½ | 1 | 1.5 | 1.25 | |||||||
2 | Ian Nepomniachtchi | 2774 | 2960 | ½ | 1 | 1.5 | 1 | |||||||
3 | Maxime Vachier-Lagrave | 2767 | 3014 | ½ | 1 | 1.5 | 0.75 | |||||||
4 | Wang Hao | 2762 | 2974 | ½ | 1 | 1.5 | 0.25 | |||||||
5 | Alexander Grischuk | 2777 | 2736 | ½ | ½ | 1.0 | ||||||||
6 | Anish Giri | 2763 | 2578 | 0 | ½ | 0.5 | 0.75 | |||||||
7 | Kirill Alekseenko | 2698 | 2619 | 0 | ½ | 0.5 | 0.5 | |||||||
8 | Ding Liren | 2805 | 1965 | 0 | 0 | 0.0 |
Die Paarungen der 3. Runde: Ding-Caruana, Giri-MVL, Grischuk-Wang und Alekseenko-Nepomniachtchi.
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