FIDE Grand Prix Berlin Runde 1: Vier Siege und große Kämpfe
In der ersten Runde des dritten und letzten FIDE Grand Prix Turniers konnten vier Spieler ihre Partien gewinnen und jede Gruppe hat bereits nach dem ersten Spieltag einen Tabellenführer. Diese sind Levon Aronian, Leinier Dominguez Perez, Alexandr Predke und Nikita Vitiugov.
Die zweite Runde beginnt am Mittwoch, dem 23. März um 14.00 Uhr.
Alle Partien des FIDE Grand Prix findet Ihr auf unserer Event-Seite. Die deutschsprachigen Übertragungen mit Kommentaren von IM Steve Berger findet Ihr auf Twitch, YouTube, ChessTV und Chess.com/Events. Die englischsprachige Übertragung auf unserem YouTube-Kanal Chess.com Live.
Das dritte und letzte Turnier des FIDE Grand Prix, das über zwei und vielleicht sogar drei Plätze beim Kandidatenturnier in diesem Sommer in Madrid entscheidet, begann mit einem Paukenschlag und viel Kampfschach.
In jeder Gruppe konnte ein Spieler eine Partie gewinnen. Das bedeutet, dass Aronian nach seinem Sieg gegen Hikaru Nakamura die Gruppe anführt und Dominguez durch einen fantastischen Kampf gegen Daniil Dubov die Tabellenführung in der Gruppe B übernommen hat. Die Gruppe C wird überraschend von Alexandr Predke angeführt, der eine nicht minder überraschend kurze Partie gegen Maxime Vachier-Lagrave gewinnen konnte und in der Gruppe D konnte Nikita Vitiugov den Platz an der Sonne besetzen, nachdem er in einem langen Endspiel gegen Amin Tabatabaei als Sieger hervorgegangen war.
Gruppe A
Nach zwei langen Partien, eine spannend und entscheidend, die andere technischer und nicht entscheidend, hat Levon Aronian die frühe Führung in der Gruppe A übernommen.
Im Vorfeld des Turniers wurde die Gruppe A als "Todesgruppe" bezeichnet, denn in dieser Gruppe trafen drei der vier Finalisten der beiden vorherigen Grand Prix Turniere aufeinander: Die beiden Finalisten des ersten Grand Prix von Berlin Nakamura und Aronian und der zweitplatzierte des Grand Prix von Belgrad, Dmitry Andreikin. Dann musste aber Andreikin bereits vor Turnierbeginn aus persönlichen Gründen zurückziehen. Für ihn sprang sein Landsmann Andrei Esipenko ein, der ja bereits beim ersten Turnier in Berlin in einer Gruppe mit Nakamura war und diesen um ein Haar eliminiert hätte. Die Gruppe wurde dadurch also sicher nicht weniger gefährlich.
Alle Augen waren aber natürlich auf die Partie zwischen den beiden Finalisten des ersten Berliner Grand Prix gerichtet, die das Vergnügen hatten, gleich in der ersten Runde aufeinander zu treffen. Offensichtlich waren beide gut vorbereitet. Nakamura entschied sich für eine Variante im angenommenen Damengambit, die er zwar seit 2015 nicht mehr gespielt hatte, aber die sein Landsmann Dominguez gegen Aronian in deren Halbfinale verwendet hatte. Allerdings hatte Aronian diese Partie gewonnen. Beide Spieler blitzten die ersten dreizehn Züge heraus und dann wich Aronian mit dem Zug 14.Dd2 ab. Dieser Zug ist zwar objektiv nicht besser ist als der Zug 14.f3, den er gegen Dominguez gespielt hatte, aber er erfüllte den Zweck, Nakamura aus seiner Vorbereitung zu bringen.
Davon abgesehen sah es immer noch so aus, als hätte Schwarz die Möglichkeit zum Ausgleich. Bei einer so scharfen Variante können jedoch schon kleinste Fehler die Bewertung radikal verändern und genau das ist passiert: Aronian beantwortete einige ungenaue Züge seines Landsmanns mit sehr präzisem Spiel und die Bewertungsleiste kippte immer weiter in die Richtung von Weiß. Nach vierundzwanzig Zügen hatte Aronian kaum Zeit verbraucht und hatte noch eine Stunde und zwanzig Minuten auf der Uhr, während Nakamura nur noch zwölf Minuten Bedenkzeit übrig hatte. Dass die Stellung auf dem Brett auch schon ziemlich verloren aussah, half Nakamura auch nicht gerade weiter.
Trotzdem zeigte Nakamura seine kämpferischen Fähigkeiten, indem er Aronian in ein Endspiel mit Turm und zwei Bauern gegen Springer und Läufer zwang, in dem Aronian einige schwierige Techniken zeigen musste, um seinen Vorteil umzuwandeln. Ein beeindruckender Kampf.
In einem rein russischen Duell spielte Andrei Esipenko mit Weiß gegen Grigoriy Oparin. Esipenko entschied sich für die vielseitige katalanische Eröffnung und konnte auch minimale Vorteile erzielen, aber alle Versuche, etwas daraus zu machen, führten zu nichts Konkretem. Am Ende spielte Esipenko mit Läuferpaar gegen Läufer und Springer und vier Bauern auf jeder Seite, aber schließlich musste der jüngste Teilnehmer akzeptieren, dass er über ein Remis nicht hinauskommen konnte.
Gruppe B
In dieser faszinierenden Gruppe, die aufgrund ihrer Vielfalt an Spielern in Bezug auf Stil, Stärke, Alter und Hintergrund meine persönliche Lieblingsgruppe ist, bekamen wir ebenfalls einen Sieg zu sehen: Dominguez konnte mit Schwarz gegen Dubov gewinnen und die Tabellenführung übernehmen.
Beim ersten Grand Prix hatte es Dominguez bis ins Halbfinale geschafft und daher ist er auf jeden Fall noch im Rennen um einen der begehrten Plätze im Kandidatenturnier. Besonders, seit der Startplatz von Sergey Karjakin wieder offen ist.
In der heutigen Runde traf er mit Schwarz auf Daniil Dubov und wählte die Karpov-Variante der Nimzo-Indischen Verteidigung. Diese Variante ist zwar ausgiebig analysiert, aber schon bald befanden sich die Spieler in nur wenig kartografierten Gebieten. Nach scharfem, aber schlampigem Spiel von Dubov im frühen Mittelspiel übernahm Dominguez die Kontrolle über die Stellung und begann, seinen jungen Gegner zu überspielen. Dubovs Alles-oder-Nichts-Versuch auf Gegenspiel war erfolgreich, weil der amerikanische Großmeister nicht die beste Fortsetzung fand. Dann unterliefen Dubov aber weitere Fehler und Dominguez erhielt erneut eine sehr starke Stellung, aber in Zeitnot verspielte er sie erneut.
Dann zeigte sich aber wieder einmal, dass in Tartakowers Zitat "Wer den vorletzten Fehler macht, gewinnt" viel Wahrheit steckt. Nachdem er mit viel Zeit auf der Uhr zu schnell gespielt hatte, unterlief Dubov erneut ein Fehler, der Dominguez erlaubte, in ein leicht zu gewinnendes Turmendspiel zu vereinfachen, das er mit eiserner Präzision in einen Sieg umwandelte.
In der zweiten Partie dieser Gruppe traf das deutsche Nachwuchstalent Vincent Keymer, der letzte Woche gerade seine Abiprüfung gemacht hatte, mit Weiß auf die ehemalige Nummer zwei der Welt, Shakhriyar Mamedyarov. Keymer wählte in der Englischen Eröffnung eine Variante, die er schon dutzende Male gespielt hat. Eigentlich hätte dies also keine Überraschung für den aserbaidschanischen Großmeister sein dürfen und er fand auch bereits im neunten Zug eine neue Idee. Der Zug schien sich mehr oder weniger auszugleichen und bald darauf begannen die Spieler in ein Läuferendspiel, in dem Weiß einen marginalen Vorteil hatte, abzutauschen. Man muss Mamedyarov zugutehalten, dass er das Remis mühelos hielt.
Gruppe C
Die Gruppe C wird nach dem ersten Tag etwas überraschend von Alexandr Predke angeführt.
Wenn die Gruppe A die Todesgruppe ist, können wir die Gruppe C "Predke & die Spieler mit gebrochenem Herzen" nennen, da drei der Spieler bei den vorherigen Grand-Prix-Turnieren das Herz gebrochen wurde. In Belgrad hatte Vachier-Lagrave gegen Richard Rapport eine Gewinnstellung, konnte die Partie aber nicht gewinnen und schied aus dem Turnier aus. Sam Shankland schied in Belgrad aus, nachdem Andreikin eine Kaninchen aus dem Hut gezaubert und eine verlorene Stellung gegen Etienne Bacrot gewinnen konnte und Wesley So schien seine Gruppe beim ersten Turnier in Berlin bereits gewonnen zu haben, wurde aber dann noch von Leinier Dominguez abgefangen und verlor das Schnellschach-Playoff.
Wie ihre Landsleute in der Gruppe A standen sich auch hier die beiden Amerikaner in der ersten Runde gegenüber und Shankland durfte mit den weißen Figuren spielen. In einem 4. Dc2 Nimzo-Indisch, also einer Eröffnung, die Shankland auch in Belgrad verwendet hatte, schien die Partie zunächst ziemlich scharf zu werden, aber sehr bald begannen die Spieler, in ein Endspiel mit Dame plus Turm und sechs Bauern auf jeder Seite abzutauschen. Mit symmetrischen Bauern sah es eigentlich wie ein sicheres Remis aus, aber Shanklands Kontrolle über die d-Linie garantierte ihm einen winzigen Vorteil.
So verteidigte präzise und gab einen Bauern auf, um die Damen vom Brett zu holen und ein Turmendspiel mit Minusbauern zu erreichen, das er trotz Shanklands größter Bemühungen mühelos hielt.
In der anderen Partie konfrontierte Alexandr Predke Vachier-Lagrave mit der englischen Eröffnung, über die ich eine Handvoll Bücher mit mehr als tausend Seiten geschrieben habe. Die Eröffnungswahl wurde möglicherweise von der Tatsache inspiriert, dass Vachier-Lagrave, der gerne die Grünfeld-Verteidigung einsetzt, in der Vergangenheit beim Betreten dieser Anti-Grünfeld-Varianten Probleme hatte und sich nie wirklich wohlfühlte, wenn er etwas anderes versuchte.
In dieser Partie entschied sich der französische Großmeister für das symmetrische englische Vierspringerspiel, das zwar langweilig aussieht, aber in Wirklichkeit unglaublich komplex ist. Dies wurde spätestens dann deutlich, als die Spieler auf verschiedene Seiten rochiert hatten.
Nachdem Weiß 15.g4! gespielt hatte, ein Zug, der Kommentator Robert Hess sehr beeindruckte, wurde klar, dass Schwarz bereits in Schwierigkeiten war, da Weiß mit h2-h4, lange bevor Schwarz seine Entwicklung am Damenflügel beendet hatte, die Linien am Königsflügel öffnen konnte. Nach einigen weiteren Fehlern von Vachier-Lagrave gewann Predke eine vernichtende Miniatur. Das war sicherlich nicht der Start, den sich der französische Großmeister erhofft hatte.
Gruppe D
In dieser Gruppe ergaben sich einige interessante Kämpfe und die Ergebnisse war nicht die, mit denen man nach etwa der Hälfte der Partien gerechnet hatte. Aber am Ende des Tages hatte dann Vitiugov den Platz an der Sonne inne.
Zumindest in der heutigen Welt des Spitzenschachs ist es allgemein üblich, dass man seine Eröffnungsvarianten im selben Turnier nicht wiederholen sollte. Ich weiß nicht, ob diese Nachricht per Brieftaube oder als Flaschenpost an Yu Yangyi gesendet wurde, aber er hat den Brief definitiv nicht erhalten und wiederholte die 4...Sc6 Variante der russischen Verteidigung, die er in Belgrad bereits gegen Vachier-Lagrave UND gegen Predke gespielt hatte. Anish Giri hatte diese Variante zwar bislang nur einmal auf dem Brett gehabt (in einer Online-Partie gegen Aronian), aber zu denken, dass er deshalb nicht damit vertraut und nicht darauf vorbereitet wäre, wäre mehr als naiv.
Es war dann auch Giri, der im 12. Zug der Variante, die Yu gegen Predke gespielt hatte, eine interessante Neuerung auf das Brett brachte. Giri bekam die Initiative und nach ein paar ungenauen Zügen von Schwarz wurde der Vorteil immer größer und größer und Giri sah bereits wie der sichere Sieger aus.
Sein präzises Spiel hatte jedoch viel Zeit auf der Uhr gekostet und als er nur noch zwei Minuten auf der Uhr und mehr als 15 Züge zu absolvieren hatte, schlichen sich auch bei dem Holländer Fehler ein und sein Vorteil zerbröckelte wie ein Stück Kaffeekuchen, das zu lange auf dem Buffet gelegen war. Als sich die Spieler nach dem 32. Zug von Weiß auf ein Remis einigten, konnte man argumentieren, dass Schwarz zwar die Oberhand hatte, aber anscheinend hatte Yu keine Notwendigkeit gesehen, gleich in der ersten Partie auf Ganze zu gehen.
In der zweiten Partie dieser Gruppe spielte der amtierende russische Meister Vitiugov mit Weiß gegen den jungen Iraner Amin Tabatabaei, der in Belgrad ja starkes, einfallsreiches und kämpferisches Schach gespielt hatte. Gegen die spanische Eröffnung des Russen entschied sich Tabatabaei für den "offenen Spanier", der ja in Belgrad einen zweiten Frühling erlebt hatte.
Vitiugov schien gut vorbereitet zu sein, wich von Varianten ab, die er zuvor gegen den offenen Spanier gespielt hatte und sicherte sich ein winziges Plus, das er sorgfältig hegte und pflegte und wachsen ließ. Nur einmal, im 30. Zug, unterlief ihm ein kleiner Fehler, aber er erreichte trotzdem ein Turmendspiel mit Mehrbauern, das er überzeugend gewinnen konnte.
Ergebnisse
Alle Partien der ersten Runde
Der FIDE Grand Prix in Berlin ist das dritte und letzte Turnier des FIDE Grand Prix 2022. Es findet vom 22. März bis um 4. April statt. Die Partien beginnen jeden Tag um 14.00 Uhr.
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