FIDE Grand Prix Berlin Finale Tag 1: Ein großer Kampf und ein spannendes Remis
Hikaru Nakamura und Levon Aronian lieferten sich in der ersten Finalpartie des FIDE Grand Prix in Berlin ein spannendes und hochklassiges Duell. Beide Spieler hatten zu verschiedenen Zeitpunkten der Partie die Oberhand und am Ende, als Nakamuras Initiative die Partie zu entscheiden drohte, fand Aronian ein einfallsreiches Dauerschach.
Obwohl es Nakamura war, der in der Eröffnung eine Neuerung spielte, war es Aronian, der besser vorbereitet zu sein schien und die Anfangsphase der Partie kontrollierte. Aronian hielt den Druck aufrecht und gewann im 22. Zug mit einer hübschen Zugfolge einen Bauern. Sowohl auf dem Brett als auch auf der Uhr mit dem Rücken zur Wand zeigte sich Nakamura der Situation aber gewachsen, schuf ein Gegenspiel und zwang seinen Gegner, im 54. Zug ein einfallsreiches Dauerschach zu finden, um sich in ein Remis zu retten.
Alle Partien des FIDE Grand Prix findet Ihr auf unserer Event-Seite. Die deutschsprachigen Übertragungen mit Kommentaren von IM Steve Berger findet Ihr auf Twitch, YouTube, ChessTV und Chess.com/Events. Die englischsprachige Übertragung auf unserem YouTube-Kanal Chess.com Live.
Aronian und Nakamura genossen einen dringend benötigten Ruhetag vor Beginn des Finales und zeigten in einigen Tweets ihre entspannte Stimmung. Da am Sonntag in den USA der Superbowl stattgefunden hatte, war Nakamura mit seinen Gedanken offensichtlich in seiner Heimat:
Gotta root for the Bengals especially with the whole @ChidobeAwuzie and Joe Burrows chess arc!
— Hikaru Nakamura (@GMHikaru) February 13, 2022
Aronian hingegen kommentierte ein aktuelles Thema in der Schachwelt. Das gehackte Twitter Account von Anish Giri:
The chess hack drama reminds me of one Colombo episode's. A guy thinks he committed a perfect murder,pretends to assist the police in solving the case.Colombo tells him - This is probably murderers first time,but we have seen hundreds of such acts.Truth will eventually come out😀
— Levon Aronian (@LevAronian) February 14, 2022
Aber der, sagen wir, "faszinierendste" Tweet des Tages kam von World Chess, dem offiziellen Organisator der Veranstaltung, der es für einen geeigneten Zeitpunkt hielt, die Schachwelt an einen Zwischenfall mit der Berührt-Geführt-Regel zwischen Aronian und Nakamura beim Kandidatenturnier 2016 in Moskau zu erinnern:
"He touched the king 😲" @chessqueen
— World Chess (@theworldchess) February 15, 2022
Watch the whole video here: https://t.co/6CNFFBFfRE pic.twitter.com/5QzSYiBvvp
Dann aber begann die Partie und die beiden Protagonisten kämpften um drei Extrapunkte in der Grand-Prix-Wertung (der Sieger erhält 13 Punkte und der Zweitplatzierte 10), die für einen Startplatz im Kandidatenturnier maßgeblich ist und auch um die zusätzlichen 6000 Euro Preisgeld (der Sieger bekommt €24.000 und der Zweitplatzierte €18.000).
Beide Finalisten sind in bestimmten Aspekten des Schachs an der absoluten Weltspitze zu finden. Aronian gilt als einer der am besten vorbereiteten Spieler und auch in Berlin hat er in allen Eröffnungen praktisch geblitzt.
Nakamura ist einer der besten Spieler aller Zeiten bei kurzen Bedenkzeiten und für seinen Einfallsreichtum, insbesondere wenn es darum geht, sich aus schwierigen Lagen zu befreien, berüchtigt.
Und es waren dann auch genau diese beiden Elemente, die wir in der ersten Finalpartie zu sehen bekamen.
Aronians Eröffnungsrepertoire mit Schwarz gegen 1.e4 ist um 1...e5 herum aufgebaut, wobei der Marshall-Angriff in der Spanischen Partie und die Russische Verteidigung seine Hauptwaffen sind. Gegen 1.d4 scheint er ein viel breiteres Repertoire einzusetzen. Als Nakamura, der mit Weiß ebenfalls über ein breites Repertoire verfügt, sich entschied, in der Partie 1.e4 zu spielen, wurde angenommen, dass er einen bestimmten Plan im Sinn hatte.
Es gibt Fälle im Spitzenschach, bei denen einer der Spieler eine Neuerung spielt, der Gegner aber ziemlich schnell mit den Antworten kommt. Neben der Heimvorbereitung gibt es zwei Arten von Partiedatenbanken, die für die Eröffnungsvorbereitung eines Top-Schachprofis von zentraler Bedeutung sind: Fernschachdatenbanken und Computerschachdatenbanken. Aber Nakamuras Wahl schien eine komplette Neuheit zu sein, die sich überhaupt nirgendwo finden lässt.
In einer Stellung, in der 12.d4 oder 12.Se2 die Hauptzüge sind, spielte Nakamura 12.Sh2, was scheinbar ein Spiel auf dem Königsflügel einleitete. Aber Aronian war von diesem Zug nicht beeindruckt, hatte sofort eine Antwort bereit und war sogar schon bald auf der Uhr voraus. Ungefähr im 17. Zug war es offensichtlich, dass Nakamura unter Druck stand. Kommentator Daniel Naroditsky sagte dazu: "Hikaru hat eine enorme Fähigkeit, sich aus Situationen mit hohem Druck zu befreien, aber das wird langsam etwas besorgniserregend: 17 Züge und Hikaru hat bereits weniger als eine Stunde auf der Uhr, während Levon noch eine Stunde und 20 Minuten hat. Er hat bisher nur 10 Minuten seiner Bedenkzeit verbraucht. Wenn ihm das kein Selbstvertrauen gibt, dann weiß ich auch nicht."
Im 30. Zug schien Nakamuras klassische Dame-Springer-Combo gegen Dame und Läufer den Mehrbauern von Aronian gründlich neutralisiert zu haben, aber dann beschloss Aronian, nach den Sternen zu greifen, anstatt sich neu zu kalibrieren und sich mit einem Remis zufriedenzugeben und wir bekamen einen fantastischen Kampf zu sehen.
Die Partie war an Spannung nicht zu überbieten:
"Wait a minute... I don't like ...Kf7 at all," says 🎙️@GmNaroditsky.
— ChesscomLive (@ChesscomLive) February 15, 2022
Is @GMHikaru about to completely turn the tables? #FIDEGrandPrix #FIDEGrandPrix2022 pic.twitter.com/SyUZw7mfPA
Bemerkenswert war, dass Nakamura trotz knapper Bedenkzeit ein präzises Gegenspiel fand. Mit weniger als zwei Minuten auf der Uhr musste Nakamura im 39. Zug eine wichtige Entscheidung treffen. Er wirkte konzentriert, aber auch angespannt, schüttelte ein wenig den Kopf, zögerte ein wenig und entschied sich schließlich für 39.f4. Etwas später war es dann Aronian, der einfallsreiche Züge finden musste, um das Remis zu retten.
Im Interview nach der Partie waren beide Spieler sehr objektiv. Auf die Frage, ob er gerne gegen den geschlossenen Spanier spielen würde, antwortete Aronian: "Ich bin immer glücklich, wenn ich Schach spielen kann! Es ist mir egal, welche Eröffnung es ist. Es ist ein großes Privileg ... Nachdem Hikaru diesen falschen Plan mit Sh2 - Sg4 gespielt hatte, hatte ich eine schöne Stellung."
I am always happy just to play chess! I don't really care what opening it is. It's a great privilege.
—GM Levon Aronian
Als er allgemein nach seiner Eröffnungswahl gefragt wurde, und ob Schwarz nach seiner Verhinderung des Marshall-Gambits nicht ok war, kam Nakamura mit dem Witz: "Mit Computern ist heutzutage alles ok! Es scheint nicht einmal wichtig zu sein, was man spielt. Ich wollte etwas Langsames ... Ich habe versucht, mit 12.Sh2 kreativ zu sein ... Ich denke, Levon stand dann irgendwann besser. Irgendwann im späten Mittelspiel, als ich einen Bauern weniger hatte, wurde es sehr kompliziert. Aber ich hatte ja auch diesen vorgerückten Bauern auf a5 und den Bauer auf b4. Es war sehr, sehr knifflig... es war eine interessante Partie."
Everything is sound with computers these days! Doesn't even matter what you play.
—GM Hikaru Nakamura
Als er nach seinen Livestreams gefragt wurde, freute sich Nakamura sehr über seine Fans und Follower: "Dass mir all diese Leute zuzusehen, motiviert mich sehr. Heute habe ich vor allem auch versucht, irgendwie Schach zu spielen. Wenn du Schach spielst, passieren gute Dinge."
"If I were in LA I would have probably spent my Valentine's Day differently" - Hikaru Nakamura#timetosayBerlin @dinabelenkayahttps://t.co/Nt0mZQkjRO
— World Chess (@theworldchess) February 15, 2022
Turnierbaum
Der FIDE Grand Prix Berlin ist das erste von drei Turnieren. Es findet vom 4. bis zum 17. Februar statt. Die Partien beginnen jeden Tag um 15.00 Uhr.
Weitere Berichte vom Grand Prix:
- Halbfinale Tag 2: Aronian und Nakamura stehen im Finale
- Halbfinale Tag 1: Aronian und Nakamura gewinnen die Auftaktpartien
- Playoffs: Dominguez und Rapport qualifizieren sich fürs Halbfinale
- Runde 6: Nakamura steht im Halbfinale
- Runde 5: Aronian ist bereits für das Halbfinale qualifiziert
- Runde 4: Aronian und So ziehen davon
- Runde 3: Wesley So schließt zu den Führenden auf
- Runde 2: Nakamura, Wojtaszek, Aronian und Dominguez führen ihre Gruppen an
- Runde 1: Wojtaszek, Fedoseev und Aronian starten mit Siegen
- FIDE Grand Prix 2022: Alle Informationen