Die Schlüsselfiguren äußern sich erneut zum Kovalyov Vorfall
Zwei Wochen nach dem berühmtesten fehlenden Stück Stoff in der Schachgeschichte haben sich die involvierten Parteien und einige andere Betroffene erneut zu Wort gemeldet. Die meisten haben ihre Meinung aber nicht geändert.
Am 9. September 2017 hatte der kanadische Großmeister Anton Kovalyov den Weltcup 2017 vorzeitig verlassen und war zu seiner angesetzten Partie gegen GM Maxim Rodshtein nicht angetreten. Die Ursache für seine verfrühte Abreise war aber nicht an den Schachbrettern zu finden. Es war ein Streit um die Kleiderordnung, der ausgeartet war.
Wie kurz nach dem Vorfall berichtet worden war, betrat Kovalyov den Turniersaal und wurde vom Schiedsrichter Tomasz Delega auf seine Shorts angesprochen. Ihm wurde erklärt, dass die Kleiderordnung lange Hosen vorschreiben würde.
Kovalyov erwiderte, dass er die selben Shorts schon in den letzten beiden Runden getragen hatte. Dann mischte sich der Turnierleiter GM Zurab Azmaiparashvili in den Streit ein. Laut Kovalyov war dieser Wortwechsel intensiv und mehrmals viel das Wort "Zigeuner".
Kovalyov verlies daraufhin den Turniersaal, ohne einen Zug gemacht zu haben. Er sagte, er hätte nicht vor eine Beschwerde einzulegen und in den letzten beiden Wochen ist auch wirklich keine Beschwerde eingegangen. Um alle Zusammenhänge zu verstehen, sollte ihr vielleicht zuerst diesen Artikel lesen, denn dort findet ihr auch die Turnierregeln und die FIDE Verordnungen.
GM Anton Kovalyov verlässt nach einem Streit mit GM Zurab Azmaiparashvili den Turniersaal. Er sollte nicht zurückkehren. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Seitdem haben sich viele bekannte Spieler zu diesem Vorfall geäußert. Wir haben die Aussagen, inklusive einiger Aussagen von Vlad Drkulec, dem Präsidenten des kanadischen Schachverbands, zusammengefasst.
GM Zurab Azmaiparashvili veröffentlichte auf der Webseite der FIDE einen offenen Brief:
Azmaiparashvili beginnt seinen Brief mit der Aussage, dass er seit 2012 etwa 20 Millionen Dollar für den Schachsport organisiert habe. Dann schreibt er über die Notwendigkeit von Medienauftritte und privaten Sponsoren und erklärt seine Rolle als Geldbeschaffer für Großveranstaltungen wie den Weltcup.
"Das ist kein Privates und kein lokales Turnier. Das ist kein Jugendturnier!" erklärt Azmaiparashvili. "Eine solche Einstellung schadet der Organisation, erschwert die Medienarbeit und verhindert, dass künftige Sponsoren in Schach investieren. Das ist ein großer Schaden für den Schachsport und seine Finanzierung."
Azmaiparashvili erklärt seine Sichtweise. | Foto: Offizielle Webseite des Weltcups.
Weiter schreibt er: "Es ist kein angemessenes Verhalten für einen Schachspieler, zu erklären, dass er mit nur einer Shorts kam und dass er bereit wäre das Turnier zu verlassen, weil er noch andere wichtige Verpflichtungen hat." (Kovalyov sagte nach dem Vorfall, dass er sich lange Hosen gekauft hätte, wenn man ihm rechtzeitig mitgeteilt hätte, dass kurze Hosen nicht erlaubt sind. In seinem Statement wies Azmaiparashvili darauf hin, dass ihm die Turnierleitung sogar ein Auto für diesen Einkauf gestellt hätte.)
Azmaiparashvili stellte ferner klar, dass Kovalyov auf jeden Fall die Partie gegen Rodshtein spielen hätte dürfen, wenn er geblieben wäre.
Für eine Entschuldigung wäre es anscheinend unabdingbar gewesen, dass Kovalyov das Turnier zu Ende gespielt hätte: "Falls ich, in einem Moment der Unbeherrschtheit einige emotionale Worte gesagt habe, die Herrn Kovalyov beleidigten, dann tut es mir leid und ich möchte mich dafür entschuldigen. Das mache ich hier und ich würde das auch persönlich machen, wenn er hiergeblieben und zu seiner Partie angetreten wäre. Ich bin schon mein ganzes Leben für Fehler, die ich gemacht habe, geradegestanden und werde es auch in diesem Fall tun. Ich erwarte aber von Herrn Kovalyov ebenfalls eine Entschuldigung für seine Respektlosigkeit gegenüber der Turnierleitung und gegenüber seinen Kollegen, da er durch sein Nichtantreten den weiteren Turnierverlauf beeinflusst hat."
GM Anton Kovalyov, der alle Interviewanfragen ablehnte, postete auf seinem Facebook Konto mehrmals über diesen Vorfall:
Kovalyov bat seine Fans kein Geld für ihn zu sammeln, um ihm seine Kosten zu erstatten (er verlor durch seinen Rückzug aus dem Turnier etwa 3000 Dollar plus das Preisgeld). Ein sehr langes Statement begann er mit den Worten, dass er vor jeder Runde sehr früh im Turniersaal war und sehr oft vor den Schiedsrichtern umhergewandert sei und dass jeder Schiedsrichter sehen konnte, welche Kleidung er trug.
Er erklärte, dass der Scheidsrichter Tomasz Delega am Tag des Vorfalls auf ihn zugekommen sei. "Er sagte als erstes, dass ich mir eine andere Hose anziehen soll. Sein Tonfall war nicht besonders freundlich, aber seine Wortwahl war korrekt."
Er fügte an, dass es einige Verwirrung um die Frage, mit welcher Farbe er spielen würde, gab, aber dies sei nur ein Missverständnis gewesen und hatte mit der Bekleidungsfrage nichts zu tun. Kovalyov hatte auch nicht gegen die ihm zugewiesene Farbe protestiert, sondern lediglich gebeten zu überprüfen, ob die ihm zugewiesene Farbe auch die Richtige sei (das war sie).
Kovalyov auf dem Weg zum Flughafen. Der Weltcup ist für ihn vorbei. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Kovalyov beschreibt dann seinen Streit mit Azmaiparashvili: "Zurab nannte mich mehrmals einen "Zigeuner". Zuerst sagte er, dass ich wie einer aussähe. Später, als ich ihn fragte, warum er so unverschämt sei, antwortete er: "WEIL DU EIN ZIGEUNER BIST" (die Großschreibung ist von Kovalyovs Original übernommen), und ich glaube er hat diesen Satz wiederholt, als ich wie geschockt dastand und überlegte, was ich als Nächstes machen sollte. Das alles geschah in einem sehr herablassenden Tonfall. Wenn jemand nicht weiß, was es bedeutet, wenn man in einem herablassenden Tonfall als "Zigeuner" beschimpft wird, und dann behauptet, das wäre nichts Schlimmes gewesen, sollte sich derjenige besser informieren."
Kovalyov sagte, er wäre dann lieber gegangen, anstatt die Situation eskalieren zu lassen. "Ich blieb so lange respektvoll bis es nicht mehr ging und bis ich fast ebenfalls impulsiv geworden wäre. Ich dachte über die Konsequenzen nach und entschied mich zu gehen. Es war völlig klar, dass Zugrab mich provozieren wollte. Ich war offensichtlich erregt und er wiederholte seine Drohungen und Beleidigungen sogar noch."
Er fügte dann noch hinzu, dass er die selben Shorts beim letzten Weltcup getragen hätte und es dort kein Problem gewesen war. Da Mode sowieso nicht sein Ding sei, habe er die Shorts aus rein praktischen Gründen getragen. Einfach weil sie bequem sind. Er wäre aber durchaus flexibel gewesen und hätte sich umgezogen, wenn man ihm die Chance gegeben hätte, sich lange Hosen zu kaufen.
Zu seiner verfrühten Abreise sagte Kovalyov, dass dies eine prinzipielle Entscheidung gewesen sei: "Würde ist viel wichtiger als Geld und Ruhm. Wer das nicht versteht, sollte sich selbst hinterfragen."
Der kanadische FIDE Delegierte Hal Bond schrieb einen offenen Brief an die FIDE:
"Der kanadische Schachverband protestiert aufs schärfste gegen die Behandlung des Spielers Anton Kovalyev beim Weltcup in Tiflis 2017." Bond fügte hinzu, dass es nicht um die Kleiderordnung, sondern nur um die Behandlung eines Spielers des kanadischen Verbandes ging.
"Herrn Azmaiparashvili's Verhalten in diesem Fall verletzte ganz klar die Regeln und Normen der FIDE und er muss entsprechend Diszipliniert werden, um sicherzustellen, dass sich ein solcher Vorfall niemals wiederholt."
Bond schlug vor, dass eine Förmliche Verwarnung Azmaiparashvilis von der Ethik Kommission der FIDE wünschenswert und angebracht wäre.
Der Vize-Präsident der FIDE, Georgios Makropolous, antwortete auf Bond's Brief:
Makropolous stellte die Position der FIDE klar und verteidigte Azmaiparashvili. Er zitierte die Entsprechenden Regularien der FIDE, die die Kleiderordnung betreffen, aber auf den Vorfall an sich ging er nicht ein.
Stattdessen rechtfertigte er Azmaiparashvili's Verhalten: "Sie können sicher verstehen, um wie viel besser es unserem Sport gehen würde, wenn wir mehr Geldbeschaffer wie Herrn Azmaiparashvili hätten. Sie können auch sicher nachvollziehen unter welchem psychischen Stress der Turnierleiter stand, da er gerade dabei ist, das Geld für die Ausrichtung der Schacholympiade im nächsten Jahr zu beschaffen. Das ist es sicher nicht außergewöhnlich, dass er von den Spielern verlangt, sich angemessen zu kleiden, um für die Sponsoren und die Zuschauer ein gutes Bild abzugeben."
Während er "psychischen Stress" für den Turnierleiter als Entschuldigung gelten ließ, erwähnte er mit keinem Wort, dass Kovalyov genau vor seiner Partie ebenfalls einem enormen "psychischen Stress" ausgesetzt war.
Dann bot er Bond an, weitere Beschwerden auf dem normalen Weg, den die FIDE in diesem Fall anbietet, einzubringen.
Die Vereinigung der professionellen Schachspieler (ACP) veröffentlichte ebenfalls einen offenen Brief:
Das ACP Gremium reicht eine Petition ein, da eines ihrer Mitglieder unfair behandelt wurde und das Gremium kein Vertrauen in die Aufarbeitung dieses Falles seitens der FIDE hat.
"Kein Spieler darf so behandelt werden. Dies ist absolut inakzeptabel," ist in diesem Brief zu lesen.
Die ACP kritisiert auch den Interessenskonflikt, in den Azmaiparashvili durch seine zwei Funktionen beim Weltcup geriet.
"Zufälligerweise ist Herr Azmaiparashvili nicht nur der Turnierleiter, sondern auch der Vorsitzende des Beschwerdekomitees gewesen. Das Beschwerdekomitee ist das einzige Organ, das Entscheidungen der Schiedrichter oder der Turnierleitung anfechten kann! Es kann nicht sein, dass ein und dieselbe Person diese beiden Aufgaben ausführt und wir beschuldigen die FIDE, dass dieser Interessenkonflikt überhaupt entstehen konnte."
Der Präsident des kanadischen Schachbundes Vlad Drkulec, schrieb in einem Brief an die FIDE und sagte auch in einem Interview mit Chess.com:
Drkulec hofft auf eine baldige Beendigung dieses Streits, aber seinem Brief fügte er ein Foto hinzu, das Azmaiparashvili zeigt, wie er selbst beim Weltcup Shorts trägt. Auf diesem Foto ist Azmaiparashvili in dreiviertellangen Caprihosen zusammen mit dem Weltmeister GM Magnus Carlsen und der ehemaligen Weltmeisterin GM Nona Gaprindashvili zu sehen. Das Foto ist zwar im Analyseraum und nicht im Turniersaal aufgenommen, aber beim Weltcup ist es trotzdem.
Drkulec sagte, dass wenn Kovalyov Azmaiparashvilis Kleidung sah, konnte er ja nicht davon ausgehen, dass es ihm nicht erlaubt wäre, ähnliche Kleidung zu tragen.
Spätere Fotos zeigen GM Vassily Ivanchuk, wie er bei einem Tiebreak Duell ebenfalls in Capri Hosen antrat.
Drkulec erklärte ferner, dass auf vielen Seiten Fotos von Spielern in Shorts und T-Shirts zu sehen sind, unter anderem vom Finalisten GM Levon Aronian.
"Ein Beispiel ist das Katzen T-Shirt des Großmeisters Aronian, das ich selbstverständlich nicht kritisieren will, aber das offensichtlich für die FIDE kein Problem darstellt," schrieb Drkulec. "Falls die FIDE jetzt versucht, den Fall auf eine sehr vage formulierte Kleiderordnung, die nur sporadisch durchgesetzt wird, zu beschränken, macht sich die FIDE selbst lächerlich."
"Wenn der Grund für die Kleiderordnung ein positives Erscheinungsbild in den Medien sein soll, dann hat die FIDE jetzt damit genau das Gegenteil erreicht -- nämlich den Hohn und den Spott der Medien," sagte Drkulec.
"Wir akzeptieren die Idee einer Kleiderordnung bei Schachturnieren. Wenn man aber diesen Weltcup betrachtet, können wir nicht akzeptieren, dass ein junger Großmeister vor einer wichtigen Partie abgelenkt und beleidigt wird, nur weil dem Turnierleiter seine Hosen nicht gefallen."
Drkulec sagte noch, dass eine "ehrliche Entschuldigung" von Azmaiparashvili an Kovalyov der erste Schritt zu einer Versöhnung wäre.
Gegenüber Chess.com wies Drkulec noch auf den Fakt hin, dass der einzige Profiteur dieses Vorfalls der Israeli Rodshtein war, und dass Israel Mitglied des europäischen Schachverbands ist. Und Azmaiparashvili ist neben seiner Doppelfunktion beim Weltcup auch noch der Präsident, eben dieses europäischen Schachverbands.
"Ein Nebeneffekt dieses Vorfalls war, dass ein Spieler des europäischen Schachverbands kampflos in die nächste Runde eingezogen ist," sagte Drkulec. "Bei dem ganzen Vorfall geht es nicht um die Shorts, sondern darum, dass der Turnierleiter das Ergebnis einer Partie zu seinem Gefallen beeinflusste."
Bezüglich der Schacholympiade 2018, die ebenfalls in Georgien stattfinden wird, und bei der Azmaiparashvili wieder eine offizielle und nicht unwichtige Funktion haben wird, äußert Drkulec nicht viel Optimismus.
"Dass uns der ganze Vorfall wirklich sehr verärgert ist doch selbstverständlich. Wir haben ja noch gar keinen Überblick über den Gesamtschaden. Ich kann nur hoffen, dass die ganze Situation bald geklärt wird, damit Anton sich nicht weigert 2018 in Georgien anzutreten, aber da hoffe ich vielleicht zu viel."
Die Fragen, auf welche Lösung er hoffen würde, beantwortete Drkulec auch: "Meine Ideallösung wäre, dass Anton das Preisgeld, welches ihm zusteht, bekommt, dass sich Zurab ehrlich bei ihm entschuldigt und dass er glaubhaft versichert, dass so etwas nie mehr passieren wird. Außerdem sollte Anton noch eine WildCard für den nächsten Weltcup erhalten und die FIDE sollte eingestehen, dass an dem ganzen Vorfall einzig und alleine Zurab die Schuld trägt. Der Turnierleiter steht niemals über dem Turnier und die FIDE hat dazu eine klare Aussage zu treffen. Zurab sollte bei keiner Veranstaltung mehr gleichzeitig Turnierleiter und im Beschwerdekomitee sein dürfen. Er sollte auch keine Spieler direkt vor einer Partie ansprechen. Er darf keinem Spieler mit Strafen seitens der FIDE drohen. Er darf keine Spieler und auch sonst niemanden mobben. Es ist nicht schwer, Beispiele für vergangenes Fehlverhalten durch diese Person zu finden, aber wir wollen keine Verurteilung Zurabs als Person. Wir wollen nur die Aktionen von Zurab bei diesem Turnier verurteilen, denn sie haben den Schachsport in Verruf gebracht."
Zum weitersurfen: