Das Losglück beschert Caruana einen Sieg über Kramnik
Auf einer Insel, auf der der größte Arbeitgeber eine Pokerfirma ist, musste natürlich der Faktor Glück in das 2017 Chess.com Isle of Man International Turnier eingebunden werden.
Und so versammelten sich am Vorabend der ersten Runde die 8 Topgesetzten in der Villa Marina, und zogen ihre Erstrundengegner aus einem blauen Lostopf, indem sich ausnahmslos alle Spieler befanden. Diese Idee macht aus diesem Turnier ein wahres "Open". Jeder konnte ohne Ausnahme gegen Jeden gelost werden und erst ab der zweiten Runde übernimmt der Computer die gewohnte "Schweizer System Paarung".
Als erster zog GM Magnus Carlsen einen eher harmlosen Gegner aus Island mit einer ELO von 2100 aus dem Topf. Dann war GM Vladimir Kramnik an der Reihe. Er streckte seine Hand in die Lostrommel und zog ein gefaltetes Stück Papier heraus. Er öffnete es und lächelte, als er den Namen darauf laut vorlas: "GM Fabiano Caruana" - der Mann, der eigentlich als nächster hätte ziehen sollen.
GM Vladimir Kramnik zog am Freitag um ca 18.30 Uhr Ortszeit GM Fabiano Caruana's Namen aus dem Lostopf und musste Lachen. Am Samstag um 18.30 Uhr war ihm das Lachen vergangen. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Caruana musste dann natürlich keinen Gegner mehr ziehen. Kramnik hatte nicht nur den Stärksten aller 177 möglichen Gegner gezogen, sondern auch gleich eine Partie geschaffen, die für die Qualifikation zum Kandidatenturnier 2018 vorentscheidend werden könnte. Da erst 3 der 8 Teilnehmer des Kandidatenturniers feststehen streiten sich hauptsächlich Caruana, Kramnik und Wesley So um die 2 Plätze, die die Spieler mit dem besten ELO Durchschnitt erhalten werden. Wie spannend dieses Rennen um die beiden Plätze ist, könnt ihr bei Martin Bennedik's ausführlicher und inoffiziellen Berechnung ansehen.
Für Caruana ist das Chess.com Isle of Man Turnier das letzte, das für diese Bewertung zählen wird, während Kramnik noch bei weiteren Turnieren antritt.
IM Anna Rudolf im gelben Top sieht bei der Partie zwischen Hou Yifan und Kosteniuk zu. Sie selbst bekam heute eine "kostenlose Lehrstunde" von GM Rustam Kasimdzhanov, wie sie selbst sagte. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Wegen der Komplikationen die wegen dieses Duells bei der Auslosung auftraten, wurde dann von einigen Personen sofort das gesamte System in Frage gestellt. Es ist aber keine Frage, dass diese Auslosung die erste Runde um einiges spannender gemacht hat. IM Greg Shahade verteidigte in seinem Blog dieses neue System mit Feuer und Flamme, und ihr könnt gerne im Kommentarfeld ebenfalls Eure Meinung darüber posten.
I thank the Lord for not pairing me with Black against @MagnusCarlsen in the first round. #prayerworks #isleofman
— Nigel Short (@nigelshortchess) September 23, 2017
Ich danke dem lieben Gott, dass ich nicht in der ersten Runde mit Schwarz gegen Magnus Carlsen spielen muss.
---Nigel Short
Alle die gedacht hatten, dass sich die beiden jetzt auf ein friedliches Remis einigen würden, sahen sich getäuscht, denn schon in der Eröffnung gingen beide Spieler angriffslustig zu Werke und spätestens nach den Rochaden auf verschiedene Seiten war klar, dass beide Spieler die Partie gewinnen wollten.
"Ich wollte zumindest eine Partie spielen," sagte Caruana. "Es ist die erste Runde und ich habe Weiß... In der Carlsbad Eröffnung haben beide Seiten ihre Chancen." (Als Kramnik gestern seinen Namen zog, lächelte Caruana ebenfalls, aber heute gab er zu: "Das war schon schwer zu verdauen. Man erwartet sich ja normalerweise einen leichteren Start ins Turnier.")
Caruana wurde von Chess.com gefragt, ob er an die Qualifikation für das Kandidatenturnier gedacht hatte. "Natürlich ist das in meinem Kopf. Es ist ja auch schwierig das auszublenden. Ich habe aber auch dieses Jahr nicht so gut gespielt, und so habe mir das Leben einfach selbst schwer gemacht," sagte Caruana, der beim letzten Kandidatenturnier nur um Haaresbreite an GM Sergey Karjakin gescheitert war.
Caruana unterhielt sich noch einige Minuten mit Kramnik, nachdem die Partie gespielt war. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Im Live-Interview nach der Partie wies er darauf hin, dass ihm der Sieg gegen Kramnik keinen großen Vorteil im Turnier bringen würde, da es ja bei diesem Turnier keine Buchholz Wertung gibt, sondern der Turniersieger bei Punktgleichstand in einem Playoff ermittelt wird. "Bei der Auslosung spielt das Glück natürlich eine große Rolle," sagte Caruana über den Modus der Auslosung der ersten Runde. "Wenn Du einen Top-Spieler ziehst ist das einfach Pech, denn selbst wenn Du gewinnst, hast Du nicht viel davon.. außer, dass der Sieg einfach extrem Befriedigend ist."
Caruana gewann durch diesen Sieg zwar extrem wichtige ELO Punkte, aber er kostete ihm auch 6 Stunden Energie. Im Gegensatz dazu benötigte der Weltmeister gerade mal 90 Minuten um seinen ersten Punkt einzufahren.
GM Magnus Carlsen wies nach der Auslosung darauf hin, dass Island kein Teil von Skandinavien ist, auch wenn viele dies behaupten. Und so schrieben wir korrekt: Der Isländer Bardur Orn Birkisson hatte gegen den Skandinavier Carlsen keine Chance. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Carlsens Partie war die zweite, die beendet wurde. Laut Tarjei Svensen war Bardur Orn Birkisson der Gegner mit der niedrigsten ELO, gegen den Carlsen in den letzten 10 Jahren gespielt hat.
Da die Isle of Man ja für das jährliche Motorradrennen bekannt ist, interessiert euch sicher, wer vor Carlsen über die Ziellinie geschossen ist. Das war der 17 jährige GM Jeffrey Xiong:
Die Auslosung der ersten Runde ergab aber noch eine sehr interessante Partie, die eine noch interessantere Vorgeschichte hat: Beim Turnier in Gibraltar in diesem Jahr wurden GM Hou Yifan vom Schweizer System nacheinander 5 Frauen zugelost. Hou beschwerte sich, dass die Auslosung nicht richtig sein konnte (was aber nicht der Fall war) und unterstellte den Turnierorganisatoren, dass sie denken würden, sie könnte nur gegen Frauen, aber nicht gegen Männer gewinnen. Als ihr dann endlich ein Mann zugelost wurde, bewies sie den Turnierveranstaltern, wie Recht sie doch hatten, und gab die Partie nach 4 (wirren) Zügen auf!
Auf der Isle of Man wird sich Hou Yifan vorkommen wie im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier", denn ihr wurde GM Alexandra Kosteniuk zugelost. Und damit das Déjà-vu-Erlebnis komplett wird, nehmen wir schon ihre(n) Gegner(in) der nächsten Runde vorweg: IM Elisabeth Paehtz!.
Wie Bill Murray sagen würde, "Und was wäre, wenn es kein Morgen geben würde? Heute gab es ja auch keines." GM Hou Yifan (links) musste schon wieder gegen eine Frau bei einem Open spielen. Diesesmal gegen GM Alexandra Kosteniuk. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Die beiden ehemaligen Weltmeisterinnen lieferten sich dann einen harten Kampf der sogar noch andauerte, als die Partie Caruna-Kramnik schon lange beendet war. Die Partie dauerte sogar so lange, dass man am Ende schon die Möwen auf dem Dach des Turniersaals hören konnte. Wir haben leider keine Ornitologen bei Chess.com angestellt, aber vielleicht kann ja einer unserer Leser im Kommentarfeld erklären, warum diese Vieher immer beim Sonnenuntergang besonders laut plärren.
Da wir gerade von Möwen sprechen. Der 160km lange Wanderweg, mit dem Manx Namen "Road ny Foillan", der die gesamte Insel umschließt, heißt übersetzt: "Möwenweg", und die britische Damenmeisterin IM Jovanka Houska ist ihn vor dem Turnier fast komplett abgewandert. Nachdem sie in 6 Tagen 130 Kilometer gewandert war, hatte sie so viel Sauerstoff getankt, dass sie ihre heutige Auftaktpartie gleich gewinnen konnte.
IM Jovanka Houska (links) trotzt zusammen mit ihrem Ehemann den eiskalten Winden im äußersten Norden der Insel...
...um danach für die Stürme am Schachbrett gewappnet zu sein.
Carlsen wurde von Jovankas kleinem Abenteuer vielleicht inspiriert, denn er erkundigte sich heute, wie man den Gipfel von Snaefell, dem höchsten Berg der Insel erklimmen kann. Der Name des Berges stammt übrigends aus dem Norwegischen und heißt auf Deutsch "Schneeberg". Vielleicht will er ja nicht nur das Turnier gewinnen, sondern gleich die ganze Insel erobern?
Eine weitere interessante Paarung, die die "Tombola" ergab, war GM Viswanathan Anand gegen IM Marc Esserman. Die beiden haben ebenfalls eine gemeinsame Vergangenheit in Gibraltar -- Esserman played his favorite Smith-Morra Gambit to draw Anand.
Wenn Kosteniuk-Hou an den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnerte, dann passt wohl zur Partie von GM Emil Sutovsky gegen den 11 Jahre alten FM Christoper Yoo der Film "Twins." | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Anand sagte zu Chess.com, dass er schon darüber nachdachte, es Esserman heute mit Weiß heimzuzahlen, aber der Gedanke dauerte nur etwa 5 Sekunden. Der Inder gewann dann trotzdem, aber mit gebräuchlicheren Motiven der sizilianischen Eröffnung.
Für Varianten und Erklärungen zu dieser Partie könnt ihr dieses Interview mit Anand ansehen: .
Ein weiterer Favorit erledigte heute seine Arbeit in gewohnter Weise: GM Hikaru Nakamura. Er hielt die Stellung 95% der Partie ausgeglichen, und genau als sein Gegner nicht mehr genug Bedenkzeit hatte um Komplikationen zu berechnen, zauberte Hikaru genau diese aufs Brett.
Warum er nicht mit ...d5 gewartet hatte, bis die Bedenkzeit seines Gegners auf eine Minute gefallen war? Lustigerweise hatte Nakamura genau diesen Gedanken auch selbst.
Für alle Sensationsgeier: Es gab einige Remis bei mehr als 300 ELO Punkten unterschied, aber ein Remis gab es, obwohl ein Spieler 668 ELO Punkte weniger als sein Gegner hatte! Und wieder spielt das Smith-Morra Gambit dabei eine Rolle.
Das einzige was den 69 jährigen Spieler mit den weißen Steinen ärgern wird? Er übersah am Ende gleich zweimal den Gewinnzug, die Harari in einen Ferrari verwandelt hätten. Wenn auch nur für einen Tag.
Kopf Hoch, Zaki Harari. Du hast immerhin gegen jemanden Remis gespielt, der das Turnier im letzten Jahr fast gewonnen hätte und 41 Jahre jünger ist als Du. GM Maxim Rodshtein freut sich zusammen mit seinem Gegner, oder ist er einfach nur glücklich, dass er nicht verloren hat? | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Wenn ihr aber denkt, dass nur ein Sieg eine echte Sensation sein kann, dann merkt euch den Buchstaben "A" wie "Alina l'Ami." Es ist nur schade, dass die fantastische, rumänische Fotografin keine Bilder von sich selbst schießen konnte, während sie die Partie ihres Lebens spielte, aber zum Glück war ja unsere nicht minder talentierte Maria Emelianova da, roch die Sensation, und drückte den Auslöser.
Die Rumänin Alina l'Ami ist mit einem holländischen Großmeister verheiratet. Heute besiegte sie einen anderen Großmeister: Ivan Sokolov. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com
Das Chess.com Isle of Man International ist ein 9 Runden Elite Turnier. Es beginnt am 23. September und dauert bis zum 1. Oktober. Die Bedenkzeit beträgt 100 Minuten für die ersten 40 Züge, dann 50 Minuten für die nächsten 20 Züge und 15 Minuten für den Rest der Partie zuzüglich 30 Sekunden pro Zug. Das Preisgeld beträgt £133,000 wobei £50,000 an den Sieger gehen. Alle Partien der ersten 8 Runden beginnen um 14.30 Uhr, nur die letzte Runde startet bereits um 13.00 Uhr. Das Turnier wird täglich und kostenlos, mit Kommentaren von GM Simon Williams und WIM Fiona Steil-Antoni live auf Chess.com/TV übertragen.
Zum weitersurfen: