Carlsen gewinnt die Magnus Carlsen Chess Tour im Armageddon
Auch das letzte Mini-Match ging bis ins Armageddon, aber diesmal schaffte Magnus Carlsen mit den Schwarzen Figuren das Remis und hat damit das Finale der Magnus Carlsen Chess Tour gewonnen. Carlsen bekam für seinen Sieg $140.000. Der zweitplatzierte Hikaru Nakamura verdiente in diesem Turnier $80.000.
"Wer hat denn dieses Drehbuch geschrieben?" sagte die Kommentatorin WGM Jennifer Shahade, als Carlsen seine zweite Blitzpartie gewann, um das Armageddon zu erzwingen. Und tatsächlich hätte sogar ein Hollywood-Produzent zweimal darüber nachgedacht, bevor er sich für ein solches Szenario entschieden hätte.
Dieses Finale hatte aber auch kein anderes Ende verdient. Nakamura ging dreimal in Führung und jedes Mal konnte Carlsen am nächsten Tag ausgleichen... Dieser Kampf war so unglaublich eng und spannend, dass man sich wohl noch Jahrzehnte an ihn erinnern wird.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es gab nur so viele Drehungen und Wendungen. Letztendlich war auch ein bisschen Glück dabei, denn es wurde ja alles von einer Partie entschieden, aber irgendwann musste es ja enden", sagte Carlsen direkt nach dem entscheidenden Remis, das ihm den Turniersieg einbrachte.
Auf die Frage, wie er es geschafft hatte, immer wieder zurückzukommen, antwortete Carlsen: "Ich werde Ihnen sagen, warum ich zurückkam - [weil] ich nicht zwei gute Matches hintereinander spielen konnte. Ich musste also immer wieder zurückkommen - hauptsächlich, weil ich es immer wieder vermasselt habe!"
Es war aber nicht nur der Weltmeister, der sich immer wieder wehrte. Auch Nakamura hatte in diversen Mini-Matches, in denen er in Rückstand geriet, immer wieder Comebacks.
"Es war unglaublich frustrierend", sagte Carlsen. "Zweimal hatte ich die erste Partie mit Schwarz gewonnen und einmal musste ich nur noch mit Weiß Remis spielen. Aber ich habe alle drei Duelle verloren. Das sagt viel über seine Belastbarkeit aus und wie gut er spielt, wenn der mit dem Rücken zur Wand steht."
Das sagt viel über seine Belastbarkeit aus und wie gut er spielt, wenn der mit dem Rücken zur Wand steht.
—Magnus Carlsen
"In den letzten Tagen, gegen Ende des Finales, habe ich immer wieder versucht, Chancen zu bekommen und darauf bin ich wirklich sehr stolz", sagte Nakamura. "Viele Male bin ich zusammengebrochen, wenn ich gegen Magnus gespielt habe. Nerven, Würgen, oder was auch immer. Ich neige dazu, irgendwie zusammenzubrechen und wie ich es heute zusammengehalten habe (...), ich glaube, ich habe sehr gut gespielt."
Und was ist mit Carlsens Rückenverletzung? Nun, es war weniger schlimm als am Tag zuvor. "Ich fühlte mich gesundheitlich ein bisschen besser", sagte er und fügte hinzu: "Schon gestern hatte ich das Gefühl, dass ich viel besser gespielt habe als er. Offensichtlich hat die erste Partie dieses Gefühl irgendwie verstärkt."
Carlsen gewann mit Schwarz - ein Traumstart.
"Ich hatte das Gefühl, dass ich mich selbst geschlagen habe", sagte Nakamura.
Dann war Carlsen am Ende seiner Kräfte. "Ich hatte einfach das Gefühl, keine Energie mehr zu haben", sagte Carlsen. "Ab der zweiten Partie fühlte ich mich absolut down und wollte nur noch, dass es vorbei ist. In der dritten Partie habe ich ihm überhaupt nichts entgegengesetzt."
Nach einer ausgeglichenen und langen zweiten Partie, die Remis endete, wurde Carlsen in der dritten Partie überrannt.
"Um ehrlich zu sein, war ich nach der Niederlage in der ersten Blitzpartie nicht so verärgert. Was mich wirklich verärgert hat, war die Niederlage in der Schnellschachpartie", sagte Carlsen.
Die vierte Partie war wieder ein langes Remis und jetzt standen zwei 5 + 3 Partien auf dem Programm. Nakamura erwischte einen perfekten Start und konnte gleich die erste davon gewinnen, indem er in einem Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern gekonnt einen Mehrbauern verwandelte:
Carlsen: "Als ich die Blitzpartie verloren hatte, war ich wie gelähmt. Ich war einfach absolut müde und dachte, ich hätte keine Chance um zurückzuschlagen. Ich dachte: "Ich spiel jetzt noch die eine Partie und das wars dann." Ich habe es versucht, aber ich habe nicht wirklich daran geglaubt."
Er hat es aber trotz suboptimalem Zeitmanagement geschafft. Über seinen 18. Zug dachte er eine Minute und 38 Sekunden (!) nach.
"Ich war wie gelähmt", sagte Carlsen. "Ich war an einen anderen Rhythmus gewöhnt und dachte nur darüber nach, was ich tun sollte. Vielleicht dachte ich darüber nach, ob ich ein Schach auf a2 oder Se1 versuchen sollte. Nachdem ich einige Zeit mit diesen Nuancen verbracht hatte, warf ich nur einen Blick darauf auf die Uhr und sah, dass ich noch zwei Minuten hatte. Das war einfach verrückt."
Den Zug 28...axb4 seines Gegners nannte er einen "großen konzeptuellen Fehler" und danach dachte er erstmals , dass er die Partie gewinnen könnte:
Und so war es wieder einmal Armageddon-Zeit. Eine einzige Partie über 9 Minuten (fünf Minuten für Weiß und vier für Schwarz), die über 60.000 US-Dollar entscheidet - die Differenz zwischen dem ersten und dem zweiten Preis.
Tatsächlich waren es fünf Minuten gegen drei Minuten und 45 Sekunden, denn Carlsen benötigte seltsamerweise 15 Sekunden für seinen ersten Zug. Danach erklärte er, was da passiert war.
Da er dachte, die Züge könnten auf einem separaten Bildschirm mit einer kleinen Verzögerung angezeigt werden, entschied er sich, sein HDMI-Kabel zu entfernen und stattdessen seinen Laptop-Bildschirm zu verwenden. Aufgrund der durcheinandergebrachten Auflösung war das Schachbrett in seinem Browser plötzlich nur noch sehr klein zu sehen und er brauchte einige Zeit, um alles zu reparieren. Eine erstaunliche Anekdote zu einer so wichtigen Partie.
"Mein einziger Plan für heute war, dass ich im Armageddon mit Schwarz spielen würde", sagte Carlsen, der als Top-Gesetzter das Recht hatte, im Armageddon die Farbe zu wählen. "Das letzte Mal ist es mit Weiß wirklich schiefgegangen und ich dachte, wenn ich an diesen Punkt komme, werde ich einfach so müde sein, dass es besser ist, wenn ich auf ein Remis spielen kann. Offensichtlich war ich sehr besorgt, dass er sehr schnell spielen und mich über die Zeit ziehen würde, aber das stellte sich nicht als Problem heraus."
Nakamura sagte, er habe in der Nacht zuvor darüber nachgedacht und nicht geplant, Magnus auf Zeit zu besiegen. "Ich hatte das Gefühl, dass es irgendwie nicht angemessen wäre."
Es war dann auch keine Zeitnotstellung, wie Carlsen betonte: "Ich liebe die Stellung, die wir am Ende hatten. Ich hatte zwar nur 50 Sekunden, aber es ist eine perfekte Stellung, in der ich mit Pre-Moves ein Remis halten kann."
Und so endete ein episches Finale mit einem Sieger und einem Zweitplatzierten, aber auch mit zwei Gewinnern. Carlsen betonte, wie schwer dieser Kampf für ihn gewesen war und warum dies der Fall war:
"Er ist sehr, sehr belastbar. Das kann man richtig fühlen. Ich fand das ganze Match sehr schwierig und sehr unangenehm zu spielen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich ihn überspielt hatte und dann kam er immer wieder zurück. Ich meine, ich hatte nie die Energie und nie das Gefühl, dass ich ihn zu irgendeinem Zeitpunkt im Sack hatte. Jede Partie war ein unendlicher Kampf und deshalb wurde es so eng.
"Irgendwann in diesem Match dachte ich, dass alles so schlecht läuft und es in diesem Spiel einfach keine Kontrolle gibt. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn überhaupt nicht besiegen kann und da ich jetzt doch gewonnen habe, ist das alles ein großer Erfolg. Natürlich bin ich jetzt erleichtert. Es ist aber auch große Freude. Nicht unbedingt über mein Spiel, aber das ist Sport und wenn ein Sieg so zustande kommt, schmeckt es manchmal sogar noch süßer."
Das ist Sport und wenn ein Sieg so zustande kommt, schmeckt es manchmal sogar noch süßer.
—Magnus Carlsen
"Das war nicht mein bestes Turnier. Dieses Finale und auch das Halbfinale waren nur ein Kampf. Kein Rhythmus, kein Fluss, nur hin und her und Nerven und Wut und Freude und einfach alles auf einmal. Es war unglaublich stressig", sagte Carlsen , der dabei aber auch an seinen Gegner dachte:
"Das Format ist extrem hart, aber am Ende des Tages spielt es keine Rolle. Da gibt es nur einen Gewinner und einen Verlierer. Was soll ich sagen? Es wird für ihn extrem hart sein, denn er hat ein großartiges Match gespielt. Er hat es mir so schwierig wie möglich gemacht, also wird es für ihn sehr hart sein."
Auf die Frage, wie er feiern würde, antwortete Carlsen: "Ich werde mich entspannen. Ich werde schlafen und ich werde ein breites Lächeln auf meinem Gesicht haben!"
All das wurde von zwei kurzen Tweets begleitet:
Sauron still good
— Magnus Carlsen (@MagnusCarlsen) August 20, 2020
It’s not right. But it’s not wrong either😂 pic.twitter.com/o6n2yOhKU3
— Magnus Carlsen (@MagnusCarlsen) August 20, 2020
Nakamura ließ sich wie immer auf seinem eigenen Twitch-Kanal interviewen und ging mit seiner Niederlage professionell um. Er wirkte ziemlich entspannt und brachte viel positive Energie auf den Bildschirm.
"Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dieses Match verloren habe. Ich meine, es kam auf ein Armageddon an. Wenn Ihr Euch den gesamten Verlauf des Events anseht, seht Ihr, dass ich in den beiden Armageddons in denen ich Schwarz hatte gewonnen habe. Aber so ist das Leben und es ist ein bisschen unglücklich gelaufen, aber ich denke, dass ich sehr gut gespielt habe. Auf heute bin ich besonders stolz, dass ich nach dieser schrecklichen ersten Partie zurückschlagen konnte. Neben dem Geld, das ich nicht verloren, sondern gewonnen habe, denke ich, dass das wahrscheinlich das Wichtigste ist.
Neben dem Geld, das ich nicht verloren, sondern gewonnen habe, denke ich, dass das wahrscheinlich das Wichtigste ist.
—Hikaru Nakamura
"Es ist leider in gewissem Sinne so, dass ich technisch gesehen zwar nicht gewonnen habe, aber ich denke, dass die Tatsache, dass ich ihn buchstäblich bis zum Ende gefordert habe, mehr ist, als ich zu Beginn des Finales erwarten konnte. In Anbetracht meiner allgemeinen Geschichte mit Magnus und der Tatsache, dass ich die meiste Zeit meiner Karriere gegen ihn schlechte Stellungen bekommen habe und ziemlich ausgespielt wurde, fühle ich mich sehr gut. Es kam auf ein Armageddon an. So ist das Leben. Es fühlt sich für mich aber nicht wirklich wie eine Niederlage an."
Wieder einmal dankte der amerikanische Großmeister seinen Fans: "Viele Leute sagen: Wie kommt es, dass ich plötzlich so viel besser spiele als in der Vergangenheit gegen Magnus? Sicher, Magnus war wahrscheinlich nicht durchweg in Bestform, aber ich fühlte mich durch die Unterstützung meiner Fans sehr stark. Dass nicht alleine gegen Magnus gespielt habe, machte einen großen Unterschied. Wenn die Dinge schlecht laufen, fühlst du dich sehr schlecht, aber wenn du viele Fans da draußen hast, die dich unterstützen, ist es viel einfacher aufzustehen und weiterzumachen und es weiter zu versuchen. "
Nakamura würdigte auch Chess24 für die Organisation der Tour und setzte später noch einen Tweet ab, der von Carlsen umgehend beantwortet wurde, was den gegenseitigen Respekt der beiden Weltklassespieler zeigt:
A great player and tremendous competitor, who really pushed me to the limit throughout the tour. Much respect to @GMHikaru https://t.co/TX8HKle6e8
— Magnus Carlsen (@MagnusCarlsen) August 20, 2020
Was kommt als Nächstes? Abgesehen davon, dass die Pogchamps mit Nakamura als Kommentator beginnen und dieses Wochenende die Top-Division der Online-Olympiade gespielt werden, wird es nächsten Monat das jährliche Schach960 Event des St. Louis Chess Club geben (mit Carlsen und Nakamura). Das Norway Chess startet im Oktober, aber leider ohne Nakamura.
Wie er in seinem Interview enthüllte, feilt er aber an einem Plan:
"Ich werde nichts Spezielles sagen, aber es wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen eine große Ankündigung geben. Mehr werde ich jetzt nicht sagen. Aber ich habe in den letzten Wochen an etwas gearbeitet und die Verhandlungen und Planungen sind schon weit fortgeschritten.
"Ich werde auf jeden Fall weiter Schach spielen. Realistisch gesehen glaube ich aber nicht, dass es in diesem Jahr noch Over-the-Board-Turniere geben wird. Vielleicht wird es am Ende des Jahres eine Weltmeisterschaft im Blitz und Schnellschach geben." Eigentlich sehe ich mich aber Momentan nicht wirklich als Schachspieler. Ich sehe mich als professioneller Streamer. Das ist mein momentaner Beruf und ich genieße ihn. "
Nakamura untermauert dann auch noch gleich seinen Karrierewechsel und kündigte an, dass er später am Tag noch streamen würde...
Alle Partien | Finale, Tag 7
Das Finale der Magnus Carlsen Chess Tour wurde vom 9. bis zum 20. August auf chess24 gespielt. Die Halbfinals wurden im Modus "Best of 5" gespielt, wobei immer 4 Partien gespielt wurden und nur nach Gleichstand eine Verlängerung folgte. Im Finale war der Modus dann "Best of 7". Der Preisfonds betrug $300.000, wobei $140.000 an den Sieger und $80.000 an den Finalisten gingen. Die Bedenkzeit betrug 15+10.
Weitere Artikel über dieses Turnier (alle auf englisch):
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Carlsen Ties Match To Set Up Final Clash
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Nakamura Wins In Armageddon, Makes 3-2
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Carlsen Levels Score
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Nakamura Scores Again
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Carlsen Hits Back
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Nakamura Wins 1st Set
- Carlsen To Face Nakamura As Ding Plays Brilliant Attack
- Nakamura Beats Dubov 3-0 To Reach Final Of Finals
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Nakamura Extends Lead, Carlsen Strikes Back
- Magnus Carlsen Chess Tour Finals: Ding Outplays Carlsen, Nakamura Beats Dubov