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Artemiev gewinnt das Gibraltar Chess Festival

Artemiev gewinnt das Gibraltar Chess Festival

MikeKlein
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Nach einer atemberaubenden und unerwarteten Endrunde, bei der sich an den drei Top-Bretten die Außenseiter durchsetzen konnten, gewann der 20-jährige Russe und frisch vermählte GM Vladislav Artemiev seine Partie und damit den Titel des Gibraltar Chess Festival Champions 2019.

Durch seinen komplizierten Sieg mit Schwarz gegen GM Yu Yangyi verteidigte er seinen knappen Vorsprung gegenüber GM Murali Karthikeyan, der in der letzten Runde gegen GM Maxime Vachier-Lagrave gewinnen konnte und sich damit den zweiten Platz sicherte. Karthikeyan hatte vor der Runde noch sicher gedacht, dass ihn ein Sieg zumindest in ein Playoff bringen würde, aber es kam anders. Artemiev ist somit der erste Spieler seit 2015, der sich den Titel sicherte, ohne ein Playoff spielen zu müssen.

Karthikeyan Vachier-Lagrave

Am "Tag der Überraschungen" konnte GM Murali Karthikeyan gegen den Top-Gesetzten GM Maxime Vachier-Lagrave gewinnen. Foto: John Saunders.

Karthikeyan und Artemiev haben sich in Gibraltar viel Aufmerksamkeit erspielt. Der indische Großmeister kämpft zwar weiterhin mit der 2600 Marke, beendete das Turnier aber mit 5 Siegen in Folge und hat dabei in den letzten 3 Runden gegen 3 2700-Großmeister gewonnen.

Nachdem GM Vladimir Kramnik während dieses Turniers seinen Rücktritt vom Schachsport bekanntgegeben hatte, hatte Artemiev alles dafür getan, um der neue "Big Vlad" zu werden. Die 27 ELO Punkte, die er hinzugewonnen hat, brachten den bescheidenen Russen in der Weltrangliste um 16 Plätze nach oben und somit in die Top 20.

Artemiev gewann nicht nur den Titel, sondern auch £25,000 Preisgeld. Das Geld kommt sicher gerade zur rechten Zeit, denn er hat erst vor 3 Monaten geheiratet. Vielleicht kann er sich jetzt beim nächsten Turnier in Gibraltar sogar ein Taxi leisten.

Dieses Jahr hatte er eine Unterkunft in Spanien gebucht und musste somit jeden Tag die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien überqueren. Das erledigte er genauso zu Fuß wie den anschließenden 45 Minuten langen Weg zum Caleta Hotel. Damit ist dieses Turnier vielleicht das größte Turnier aller Zeiten, das von einem Spieler gewonnen wurde, der während des Turniers in einem anderen Land nächtigte!

Auch an Brett 3 kam es zu einer Überraschung. Dass GM Levon Aronian mit Weiß gegen GM David Howell verlieren könnte, war zwar noch im Bereich des möglichen, aber die Art und Weise wie es geschach, ließ den Spieler am Nebenbrett nur noch staunen.

Hier ist der Ausschnitt der Liveübertragung, als GM Simon Williams sagte, "Lev has just gone completely caveman." (Frei übersetzt: "Lev wurde gerade wie ein Höhlenmensch überspielt") GM Hikaru Nakamura brauchte hingegen keine Worte, um seine Gedanken auszudrücken:

Gibraltar bezeichnet sich selbst als "Heimat des Damenschachs" und dotiert den Preis für die beste Dame mit £15,000. Nach 9 Runden lagen noch 3 Damen gleichauf aber nach der 10. Runde hatten die Musychuk Schwestern das Nachsehen hinter GM Tan Zhongyi, die ihre letzte Partie gewinnen konnte. Damit haben in den letzten 7 Jahren 7 verschiedene Damen, darunter 4 Chinesinnen, den Damenpreis gewonnen.

Zu guter Letzt bekamen wir noch das "Shankland Endspiel" zu sehen, auch wenn dieses Mal niemand vorzeitig aufgab. Zumindest der Weltmeister hatte aber seinen Spaß damit.


Hier ist Artemievs Sieg mit der Caro-Kann-Eröffnung (es war ein großartiger Tag für die Eröffnung, da auch Howell mit dieser Eröffnung gewinnen konnte).
An einem Punkt hätte Yu die Züge wiederholen können, aber er musste gewinnen, um in ein Playoff zu kommen. Artemiev hat das perfekt ausgenutzt.

"Normalerweise spielt er sehr aggressiv," sagte Artemiev über seine Erwartungen von der ersten Partie gegen Yu. Caro schien ihm eine sehr solide Wahl dagegen zu sein. Er sagte auch, dass er wegen seines Studiums nur sehr wenig Zeit für Schach aufbringen könnte. "Ich hatte keine gute Vorbereitung auf dieses Turnier".

Hier ist das ganze Interview mit dem Sieger:

Und hier die Analyse der Partie, die mindestens genauso faszinierend ist, wie die Partie selbst. Ab 5:37:56 analysiert Artemiev seine eigene Partie.

Watch Gibraltar Chess Festival, final round with GM Simon Williams and IM Jovanka Houska from GibChess on www.twitch.tv

Die Partie endete erst, nachdem Karthikeyan schon gegen Vachier-Lagrave gewonnen hatte. Karthikeyan ist bereits zweimaliger Indischer Meister und stammt aus derselben berühmten Schachschule wie so viele indische Großmeister, die noch im Teenageralter sind. GM R. B. Rameshs Schachschule entpuppt sich als wahre Talentfabrik!

Murali Karthikeyan
GM Murali Karthikeyan war an 49 gesetzt und hätte fast das Turnier gewonnen!
Foto: John Saunders.

Bei all dem Trubel um die jungen Großmeister, erinnerte Karthikeyan aber daran, dass er selbst auch erst 20 Jahre alt, und damit sicherlich noch nicht auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt ist.

Nach der Partie dachte Kathikeyan, dass er zumindest das Playoff erreichen würde. Nachdem er in der zweiten Turnierhälfte jede Partie gewonnen hatte und dabei sogar drei Skalps von Super-Großmeistern einsammeln konnte, was es einfach nur Pech, dass es nicht dazu kam. Es zeigt aber auch, wie stark Artemiev gespielt hat. Hier ist das Interview mit dem zweitplatzierten:

Ein Brett dahinter beging Aronian gegen Howell schachlichen Selbstmord. In einem kurzen Gespräch nach der Partie sagte Howell, dass Aronian einen Damenrückzug auf die Grundlinie verpasst hat, der den Angriff des Armeniers neutralisiert hätte.

Keiner der beiden Spieler hatte vor der heutigen Runde noch eine Chance auf den Gesamtsieg, aber diese Niederlage hat dem Titelverteidiger eine Stange Geld gekostet.

Howell erklärte, dass er die Idee mit einem frühen ...f6 schon bei der Vorbereitung auf ein K.O. Turnier in Großbritannien im Dezember entwickelt hatte. Aber welche Partien hatte er da studiert? Es waren Partien von Aronian!

Er sagte, er wusste, dass die Idee mit ...f6 sehr riskant sei, aber er musste ja gewinnen, um an die großen Geldtöpfe zu kommen, mit denen er jetzt seine teure Miete in London bezahlen kann.

"Ich weiß, dass ich mit dem Feuer gespielt habe, aber keiner von uns wollte sich mit einem Remis zufriedengeben," sagte Howell.

Melkumyan Aronian
Die armenische Diaspora vor der Siegerehrung. Vielleicht hat ja GM Hrant Melkumyan (mitte) GM Levon Aronian (rechts) hier gerade von seinem "Shankland-Endspiel" erzählt. Foto: David Llada.

Im Fernduell um den Damenpreis konnte sich GM Mariya Muzychuk gerade noch in ein Remis retten, als GM Rinat Jumabayev wirklich alles auf ihren König warf.

Durch dieses Remis und durch die Niederlage ihrer Schwester Anna stand die Tür für GM Tan Zhongyi weit offen. Sie hat die Chance beim Schopf gepackt und mit Schwarz gewonnen.

Tan Zhongyi
Das in Gibraltar eine Chinesin den Damenpreis einheimst, hat schon fast Tradition. Die Siegerin von 2019, GM Tan Zhongyi, ist ganz rechts. Foto: David Llada.

Die komplette Abschlusstabelle findet ihr hier.

Gibraltar Chess Festival 2019 | Abschlusstabelle

Platz Gesetzt Titel Name Land Elo Punkte ELO+/-
1 11 GM Artemiev Vladislav 2709 8,5 27,4
2 49 GM Karthikeyan Murali 2570 8,0 23,6
3 8 GM Vitiugov Nikita 2720 7,5 6,4
3 19 GM Howell David W L 2685 7,5 4,0
3 27 GM Anton Guijarro David 2642 7,5 7,6
6 6 GM Navara David 2738 7,0 7,0
6 20 GM Grandelius Nils 2682 7,0 12,6
6 55 GM Lalith Babu M R 2547 7,0 29,8
6 9 GM Le Quang Liem 2714 7,0 4,6
6 17 GM Saric Ivan 2690 7,0 6,8
6 3 GM So Wesley 2765 7,0 -2,6
6 4 GM Yu Yangyi 2764 7,0 -3,0
6 1 GM Vachier-Lagrave Maxime 2780 7,0 -4,5
6 13 GM Adams Michael 2701 7,0 1,4
6 28 GM Alekseenko Kirill 2637 7,0 9,8
6 5 GM Nakamura Hikaru 2749 7,0 -3,4
6 26 GM Edouard Romain 2643 7,0 6,2
6 12 GM Mamedov Rauf 2703 7,0 -1,5
6 21 GM Eljanov Pavel 2680 7,0 0,0
6 23 GM Melkumyan Hrant 2660 7,0 0,7
6 14 GM Matlakov Maxim 2700 7,0 -4,1
6 74 GM Tan Zhongyi 2502 7,0 11,1
23 62 GM Muzychuk Mariya 2540 6,5 21,8
23 2 GM Aronian Levon 2767 6,5 -5,5
23 41 GM Vaibhav Suri 2590 6,5 13,5
23 36 GM Lagarde Maxime 2604 6,5 6,9
23 80 IM Gukesh D 2497 6,5 21,2
23 18 GM Adhiban B. 2689 6,5 -5,8
23 35 GM Jumabayev Rinat 2604 6,5 4,7
23 15 GM Cheparinov Ivan 2691 6,5 -6,5
23 83 GM Chandra Akshat 2492 6,5 20,0
23 16 GM Jones Gawain C B 2691 6,5 -7,1
23 42 GM Antipov Mikhail Al. 2589 6,5 4,8
23 65 GM Sadzikowski Daniel 2534 6,5 12,0
23 47 GM Yuffa Daniil 2578 6,5 3,5
23 113 GM Solozhenkin Evgeniy 2427 6,5 23,4
23 33 GM Moussard Jules 2605 6,5 -2,3
23 32 GM Tari Aryan 2625 6,5 -5,6
23 34 GM Donchenko Alexander 2604 6,5 -5,1
23 117 IM Bjerre Jonas Buhl 2422 6,5 14,7

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Mike Klein began playing chess at the age of four in Charlotte, NC. In 1986, he lost to Josh Waitzkin at the National Championship featured in the movie "Searching for Bobby Fischer." A year later, Mike became the youngest member of the very first All-America Chess Team, and was on the team a total of eight times. In 1988, he won the K-3 National Championship, and eventually became North Carolina's youngest-ever master. In 1996, he won clear first for under-2250 players in the top section of the World Open. Mike has taught chess full-time for a dozen years in New York City and Charlotte, with his students and teams winning many national championships. He now works at Chess.com as a Senior Journalist and at ChessKid.com as the Chief Chess Officer. In 2012, 2015, and 2018, he was awarded Chess Journalist of the Year by the Chess Journalists of America. He has also previously won other awards from the CJA such as Best Tournament Report, and also several writing awards for mainstream newspapers. His chess writing and personal travels have now brought him to more than 85 countries.

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