Abdusattorov erreicht vor seinem 20. Lebensjahr die Top 5 der Welt: "Ich wollte schon immer Rekorde brechen"

Nur wenige in der Geschichte des Schachs haben es vor ihrem 20. Geburtstag unter die Top Fünf der Welt geschafft. GM Nodirbek Abdusattorov gehört jetzt zu dieser prestigeträchtigen Liste und erzählt Chess.com von seinem Werdegang vom Wunderkind zum Schach-Superstar.

Die neuesten FIDE-Ratings für April, die am Sonntag veröffentlicht wurden, sehen GM Magnus Carlsen erneut an der Spitze. Der norwegische Maestro hat einen komfortablen Vorsprung von 27 Punkten vor GM Fabiano Caruana und weitere 14 Punkte vor GM Hikaru Nakamura auf dem dritten Platz.

Im Rampenlicht steht jedoch Abdusattorov, der nicht nur zum ersten Mal in die Top-10 vorstößt, sondern noch einen Schritt weiter geht und von Platz 11 auf Platz 4 in die Top-Fünf aufsteigt. Während der Abstand zu Nakamura 24 Punkte beträgt, liegt der junge Usbeke drei Punkte vor dem Weltmeister Ding Liren.

Abdusattorovs Einzug in den elitären Kreis folgt auf einen 17-Punkte-Gewinn durch seinen ausgezeichneten vierten Platz beim Tata Steel Chess 2024 im Januar. Weitere 15 Punkte sammelte er, als er im März das Prague Masters mit einer Runde Vorsprung gewann.

Die von Chess.com durchgeführten Nachforschungen zeigen, wie selten Abdusattorovs Leistung ist, die er in einem historisch gesehen sehr frühen Alter erreicht hat. Tatsächlich haben es nur fünf Spieler vor ihrem 20. Lebensjahr in die Top Fünf geschafft: Die GMs Garry Kasparov (1982), Alexei Shirov (1992) und Vladimir Kramnik (1994) erreichten diesen Meilenstein in den 80er und 90er Jahren, während Carlsen (2010) und GM Alireza Firouzja (2021) die exklusive Gruppe abrunden.

Erwähnenswert sind Caruana, der als 19-Jähriger Siebter wurde, GM Gata Kamsky, der mit 16 Jahren Achter wurde, GM Veselin Topalov, der mit 18 Jahren Achter wurde, und GM Vasyl Ivanchuk, der vor seinem 20. Sechster wurde.

In einem exklusiven Interview mit Chess.com antwortet Abdusattorov mit einem Lächeln, als er über diese Leistung informiert wird:

"Ich bin angenehm überrascht, das zu hören. Ich wusste es nicht. Es ist eine großartige Leistung, aber gleichzeitig ist es auch eine große Verantwortung für mich, da es eine völlig neue Ebene ist. Ich bin wirklich froh, dabei zu sein."

Abdusattorov nennt es einen wichtigen Schritt in seiner Karriere und meint, dass sein Sprung von 2720 in die Top-10 ein "großer Durchbruch" war. Dennoch ist er immer auf dem Boden geblieben und hat erkannt, dass er gerade erst anfängt. Nichts wird als selbstverständlich angesehen:

"Ich werde mein Bestes geben, um noch mehr zu erreichen, aber das wird einige Zeit dauern."

Abdusattorov möchte Rekorde brechen

Abdusattorov hat derartige Rekorde in seiner kurzen Karriere schon seit einiger Zeit abgegrast. Der Höhepunkt ist der Rekord als jüngster Weltmeister aller Zeiten, als er die Schnellschach-Weltmeisterschaft 2021 im Alter von 17 Jahren vor der gesamten Weltelite gewann.

Der Usbeke hält auch den Rekord als jüngster Spieler mit einer Wertungszahl von 2400, den er im Alter von nur zehneinhalb Jahren aufgestellt hat. Als 11-Jähriger stellte er einen Rekord auf, indem er als jüngster Spieler in die Top-100 der Junioren aufstieg.

Jüngster Spieler, der die 2400er Marke knackt

Auf die Frage, ob er auf solche Rekorde achtet, antwortet er mit einem Lächeln:

"Es war schon immer eine Art Wettbewerb. Ich wollte schon immer Rekorde brechen. Das motiviert mich, und es ist auch eine sehr harte Herausforderung. Aber wenn man sich ein Ziel setzt, muss man sich auch mit einer harten Herausforderung motivieren. Als ich ein Kind war, setzte ich mir das Ziel, der jüngste Großmeister der damaligen Zeit zu werden. Nachdem ich Großmeister geworden war, setzte ich mir das Ziel, 2700 zu erreichen. Dann setzt man sich jedes Mal neue Ziele, und das wird zur Motivation."

It's been some sort of competition. I have always wanted to break records. It gives me motivation and it's also a very tough challenge. 

—Nodirbek Abdusattorov

Abdusattorov über das Schlagen von Großmeister:innen als 9-Jähriger

Abdusattorovs rekordverdächtige Reise begann, als er 2012 U8-Jugendweltmeister wurde. Nur zwei Jahre später, im Alter von neun Jahren, erregte er die Aufmerksamkeit der gesamten Schachwelt, indem er zwei Großmeister:innen in einem einzigen Turnier besiegte. 

Sein Sieg gegen den mit 2600 Punkten bewerteten GM Andrey Zhigalko in Taschkent im Jahr 2014 macht ihn zum fünftjüngsten Spieler aller Zeiten, der einen Großmeister im klassischen Schach besiegt hat. Angesichts der Stärke seines Gegners ist seine Leistung jedoch vielleicht die beeindruckendste von allen.

"Es war ein ganz besonderes Gefühl, denn es war das erste Mal, dass ich gegen einen 2600er-Großmeister gespielt habe. Ich glaube, es war auch mein erstes offenes Turnier, also hatte ich noch nie die Chance, gegen einen starken Großmeister zu spielen. Und das erste Mal, dass ich gegen einen 2600er-Großmeister gespielt habe, habe ich es geschafft, ihn zu schlagen. Ich konnte es selbst nicht glauben! Damals verstand ich nicht, was ich getan hatte. Es war eine besondere Leistung."

I couldn't believe it myself. I didn't understand what I did at the time. It was a special achievement.

-Abdusattorov über seinen Sieg gegen einen GM mit 2600 Punkten als Neunjähriger

Abdusattorov On Meeting Carlsen: He Was My Idol

Er erzählt eine amüsante Geschichte darüber, wie er damals gerade herausgefunden hatte, wer die Nummer eins der Welt seit 2010 war, gegen die er später antrat und die er sogar besiegen sollte.

"Ich kannte Magnus überhaupt nicht. Ich hatte noch nie von ihm gehört. Das erste Mal hörte ich von ihm bei den Kandidatenturnieren 2013. Da war ich etwa acht Jahre alt. Damals erfuhr ich, dass er die Nummer eins der Welt ist. Ich kannte nur den Weltmeister Vishy, und Magnus kannte ich nur als berühmten Spieler. Als ich herausfand, dass Magnus viel stärker ist und eine höhere Wertung hat, war ich ziemlich überrascht."

"Nach dem Spiel gegen Vishy war Magnus eindeutig stärker und viel besser. Ich war einfach so beeindruckt von ihm. Er war zu der Zeit mein Idol."

I was just so impressed with him. He was my idol at the time.

—Abdusattorov über Carlsen in 2013

Nur zwei Jahre später, im Jahr 2015, gelang Abdusattorov der große Durchbruch. Er katapultierte sich innerhalb eines Monats von 2263 auf 2465. Im selben Jahr nahm er an den Qatar Masters teil und traf zum ersten Mal auf einige der größten Schachstars der Welt.

Acht Jahre später hat er ein Geständnis zu machen: "Ich sah alle Spieler:innen zum ersten Mal mit offenem Mund an. Es war so aufregend!"

From running behind Magnus Carlsen in a football field (in Qatar 2015) to now holding him to a draw, Nodirbek Abdusattorov has come a long way. Magnus Carlsen began the World Blitz 2019 with 5.0/5, this 15-year-old youngster finally stopped him!

Photo: Amruta Mokal pic.twitter.com/XHGhiOy55d

— ChessBase India (@ChessbaseIndia) December 29, 2019

Vom Hinterherlaufen hinter Magnus Carlsen auf einem Fußballplatz (in Katar 2015) bis hin zu einem Remis hat Nodirbek Abdusattorov einen langen Weg hinter sich. Magnus Carlsen begann den Weltblitz 2019 mit 5,0/5, dieser 15-jährige Jugendliche hielt ihn schließlich auf!  - ChessBase India

In Katar konnte er auch seine Fähigkeiten unter Beweis stellen, z. B. seine unglaubliche Schnelligkeit und Entschlossenheit auf dem Fußballplatz, wie dieser Reporter aus erster Hand erfuhr. "Ich erinnere mich, dass ich ein Tor geschossen habe", sagt er lächelnd und fügt hinzu, dass er immer noch ein begeisterter Spieler ist.

Am Ende machte er ein Foto mit Carlsen, dem Sieger des Turniers. "Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich war einfach nur froh, das Foto zu bekommen!"

Abdusattorov hat die Erinnerung noch frisch im Gedächtnis, als er dann selbst zum Star wurde und die Fans stattdessen einem Selfie mit ihm hinterherlaufen. Der Aufstieg des jungen Usbeken verlief kometenhaft. Er war kaum 13 Jahre alt, als er Großmeister wurde, der sechstjüngste in der Geschichte, und 15, als er die 2600er-Marke überschritt. Bei der Blitzweltmeisterschaft 2019 traf er zum ersten Mal auf Carlsen, wo er mit Schwarz ein Remis erreichte.

Bei der Schnellschach-Weltmeisterschaft 2021 gewann er eine Schlüsselpartie gegen Carlsen, die ihm sensationell den Titel sicherte. Nachdem er ihn bei ihrem ersten klassischen Aufeinandertreffen im Tata Steel Chess 2023 besiegt hat, bleibt Abdusattorov der einzige Spieler mit einer Pluspunktzahl gegen den Norweger im klassischen Schach.

"Nach diesem Ereignis war mir klar, dass ich sehr bald ganz nach oben kommen würde. Die Zeit meiner Kindheit war vorbei, und ich musste wachsen und die Sache von da an ernst nehmen. Jetzt ist es sehr, sehr ernst."

"Wenn ich zurückblicke, war es mein Traum, auch nur ein klassisches Spiel gegen ihn zu spielen. Nach einiger Zeit spielte ich fast bei jedem großen Turnier gegen ihn. Das ändert sich auf eine sehr unkomplizierte und unerwartete Weise. Es ist ein sehr angenehmes Gefühl, gegen ihn zu spielen. Ich genieße es, aber gleichzeitig ist es auch eine Art Wettbewerb."

Abdusattorov hat eine klare Warnung für die Weltnummer eins.

"Jetzt ist es offensichtlich, dass Magnus... obwohl er der beste Spieler der Welt ist, unsere Generation hinter ihm her ist. Es wird sehr schwer für Magnus werden."

Our generation is coming for him. It's going to be very tough for Magnus.

—Nodirbek Abdusattorov

Carlsen über Abdusattorov: "Nicht überzeugt"

Carlsen selbst sagte, dass er das Gefühl hat, dass die jungen Spieler, einschließlich Abdusattorov, noch einen weiten Weg vor sich haben, bis sie auf seinem Niveau sind.

"Im Moment glaube ich nicht, dass einer von ihnen auch nur annähernd auf meinem Niveau ist. Das heißt aber nicht, dass es immer einfach ist", sagte Carlsen kürzlich im Sjakksnakk-Podcast.

Der ehemalige Weltmeister lobte Abdusattorovs Konzentration und Disziplin sowie seine Fähigkeit, unterlegene Stellungen zu verteidigen, und nannte ihn "äußerst beeindruckend". Allerdings schätzt der ehemalige Weltmeister Firouzja höher ein.

"Es besteht kein Zweifel, dass Alireza ein größeres Talent ist. Ob er eine bessere Schachkarriere haben wird als Abdusattorov, weiß ich nicht. Aber ich bin immer noch nicht zu 100 Prozent von Abdusattorov überzeugt. Ich spreche davon, dass er eine klare Nummer eins ist, nicht davon, ob er ein dauerhafter Spitzenspieler sein wird. Aber es ist immer noch schwer zu sagen", sagte Carlsen.

Ob Abdusattorov es eines Tages an die Spitze schaffen wird, bleibt abzuwarten, aber er scheint auf jeden Fall in einer guten Position zu sein.