Wie mich Ding Liren im Stich gelassen hat
Wie alle Schachfans habe auch ich einen Lieblingsspieler.
Wenn Ihr darauf achtet, wie oft ich Mikhail Botvinnik, Mikhail Tal, Garry Kasparov und Magnus Carlsen in meinen Artikeln erwähne, bekommt Ihr eine Vorstellung von meinen Vorlieben im Schach.
Es gibt aber auch "Nicht-Weltmeister", die mir sehr gefallen. Ding Liren ist einer von ihnen. Ich habe ihn bereits in diesem und diesem Artikel erwähnt. Ich glaube, der chinesische Großmeister stellt die größte Bedrohung für Carlsens Dominanz im Schachsport dar. [Anmerkung der Redaktion: Und dieser Artikel wurde geschrieben, bevor Ding letztes Wochenende die prestigeträchtige Grand Chess Tour gewonnen hat.]
Da könnt Ihr Euch sicher meinen Schmerz vorstellen, als ich mir das folgende Endspiel angesehen habe:
Dieses Endspiel hat meine Welt ins Wanken gebracht. Ich weiß, dass viele von Euch sagen werden: "Entspann dich Greg, das war doch nur eine Schnellschach-Partie; nimm die doch nicht so Ernst." Lasst mich Euch erklären, warum ich so verärgert bin.
Es gibt ja verschiedene Arten von Fehlern, die ein Mensch machen kann. Wenn ich jemanden von Euch um 3 Uhr morgens aufwecke und frage, was 17 mal 32 ist, wundere ich mich nicht, wenn Ihr mir eine falsche Antwort gebt. Wenn ich Euch aber um 3 Uhr morgens nach Eurem Namen frage und Ihr mir eine falsche Antwort gebt, habt Ihr vermutlich ein Problem.
In der oben gezeigten Partie haben wir ein ähnliches Problem. Wenn Ding Liren einen Turm einstellt oder ein Schachmatt in 1 nicht gesehen hätte, wäre ich kein bisschen überrascht. Das ist die Natur des Schnellschachs. Dieses Endspiel ist jedoch ein elementarer Bestandteil des Schachs und er sollte es auswendig können. Das ist seit über 100 Jahren bekannt!
Ich zeige Euch kurz, wie Ihr dieses Endspiel gewinnt:
Zunächst dürft Ihr Euren Randbauern nicht zu weit vorziehen, um eine Stellung zu erreichen, in der sich beide Bauern auf der sechsten Reihe befinden. Dadurch muss der Turm Eures Gegners passiv bleiben und ein Grundlinienmatt verhindern. Ihr kommt dann fast automatisch in diese Stellung:
Die zweite Methode geht schneller, aber Ihr müsst genau wissen was Ihr macht und alle Patt-Tricks vermeiden. Ihr haltet Euren Turm auf der fünften Reihe, um Euren König vor Schachs zu schützen. Dann zieht Ihr einfach den Randbauern vor und setzt Euren Gegner Matt. Hier ist ein klassisches Beispiel dafür:
Wie Ihr seht, es ist ganz einfach, wenn man dieses Endspiel kennt. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Endspiel keine Probleme hatte, obwohl ich in einer Schnellschachpartie in arger Zeitnot war:
Erst vor kurzem hatte einer meiner Schülerinnen genau das gleiche Endspiel. Obwohl sie anfänglich Schwierigkeiten damit hatte, fand sie am Ende heraus, wie sie es gewinnen konnte:
"Jeder Meister würde dieses Endspiel leichter gewinnen, wenn er zumindest eine Minute auf der Uhr hat", sagte ich am Ende unserer Lektion und versuchte damit, meinen Punkt zu untermauern.
Das Internet ist ein gefährlicher Ort, an dem Kinder über unzweckmäßige Videos stolpern können. Was ich am meisten fürchte, ist, dass das unzweckmäßige Video, von dem ich spreche, das nächste ist:
Springt direkt auf etwa 3:58:20. Dann seht Ihr, wie Super-GM Ding Liren und alle the GM-Kommentatoren den gleichen grundlegenden Fehler machen!
Jetzt seht Ihr, warum ich so sauer bin - wirklich, wirklich sauer. Was werde ich meinen Schülern sagen, wenn sie mir Fragen zu diesem Video stellen? Es ist wieder wie mit dem Marihuana!
Vielleicht sollte ich das aber näher erklären. Als Vater von zwei Kindern habe ich ihnen immer erklärt, dass Drogen böse sind. Seit Jahren lernen sie, dass Drogen etwas sind, was man einfach nicht anfasst. Punkt!
Dann wurde eines Tages Marihuana in unserem Staat legalisiert. Wie könnte ich jetzt ihre Fragen beantworten? Sie waren zu jung, um die krumme Welt der Politik zu begreifen und deshalb versuchte ich, ihre Fragen in einer Sprache zu beantworten, die sie verstehen.
Ich sagte in etwa: "Schaut, Justin Biebers Lieder sind vollkommen legal, aber das heißt doch noch lange nicht, dass sie auch gut sind und dass ihr sie anhören solltet, oder?"
Meine Kinder stimmten mir zu. "Genau so ist es mit dem Marihuana", beendete ich triumphierend unser Gespräch.
Jetzt versteht Ihr sicher mein Problem: Wie soll ich meinen Schülern erklären, dass sie grundlegende Endspiele kennen müssen, auch selbst die weltbesten Spieler dies nicht tun? Und Justin Bieber spielt nicht einmal Schach!