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Wie man Schachmuster lernt

Wie man Schachmuster lernt

Silman
| 77 | Andere

Chess.com Mitglied Kurniadigautama schrieb:

"Ich versuche gerade, mein Verständnis vom Stellungsspiel zu verbessern. Die Engine empfahl Schwarz, am Königsflügel zu rochieren, obwohl Weiß droht, auf c6 zu schlagen. Wenn Weiß jetzt nach der schwarzen Rochade schlägt, woher weiß man dann, dass Weiß in Schwierigkeiten ist? Natürlich habe ich mir einige der Linien, in denen Weiß in Schwierigkeiten geraten wird, angeschaut. Aber alle Linien sind zu lang, um sie zu berechnen. Gibt es einen einfacheren Weg, um eine Stellung zu bewerten und zu wissen, ob Weiß in Schwierigkeiten ist? Oder müssen wir lernen, wie man 10-15 Züge in jeder möglichen Linie berechnet?"

JS: Hier ist die angesprochene Stellung:

Ich werde mich erst später in diesem Artikel mit dieser Stellung beschäftigen, denn ich möchte mit etwas beginnen, was euch in den Bann ziehen könnte: In dieser Stellung und in vielen anderen muss man überhaupt nicht rechnen. Null. Nada.

brain thinking

Ich habe schon viel über Muster geschrieben und einige Leser sagen, dass das Unsinn ist (es ist erstaunlich, wie viele Leute nicht lernen wollen). Andere fühlen sich verwirrt (ich verstehe eure Verwirrung!) und wieder andere sind von der Idee begeistert, aber wissen nicht wirklich, wie sie vorgehen sollen (diese Leser verstehe ich ebenfalls!).

In diesem Artikel werde ich euch zeigen, wie ihr das Abenteuer auf der Straße der Muster bestehen könnt.

Die einzige Tatsache, die ihr dabei akzeptieren müsst, ist, dass jede echte Verbesserung im Schach von der Anzahl der Wiederholungen abhängt. VIELE Wiederholungen. Ein Muster einmal zu sehen, wird euch nicht helfen. Aber wenn ihr ein bestimmtes Beispiel Dutzende und Dutzende Male gesehen habt (besser sogar hunderte Male) werdet ihr es verinnerlicht haben. Und sobald ihr das Muster verinnerlicht habt, werdet ihr es auch anwenden. Ihr werdet ein Gefühl dafür entwickeln, auf welchen Feldern ihr eure Figuren platzieren sollt und ihr werdet verstehen, wie ihr reagieren sollt, wenn euer Gegner auf diese Muster spielt. Es kommt aber noch besser, denn ihr werdet all diese Dinge auf den ersten Blick erkennen können.

Ja, das stimmt, ihr werdet feststellen, dass das Verstehen der Stellung und das Wissen, was zu tun ist, oft sehr wenig oder sogar gar keine Berechnung erfordert.

All dies erfordert natürlich viel Arbeit und Leidenschaft. Wenn ihr keine Lust habt, richtiges Schach zu lernen, und ihr glücklich seid, wenn ihr ab und zu eine Blitzpartie gewinnt, dann müsst ihr natürlich keine Muster studieren! Wenn ihr aber wirklich gut werden wollt, dann ist das Beherrschen von Mustern unerlässlich.

Sehen wir uns also Kurniadigautama’s Stellung noch einmal an:

In diesem Muster geht es um die schwachen weißen Felder. Dieses Muster (schwache Felder) kommt sehr häufig vor und deshalb ist es wichtig, dass man es beherrscht. Eigentlich dreht sich der ganze Artikel um schwache Felder und nachdem ihr euch mit allen Stellungen in diesem Artikel befasst habt, solltet ihr euch selbst in Büchern oder Datenbanken Stellungen suchen, in denen sich alles um schwache Felder dreht.


Eine grundlegende Situation

Weiß bemerkt, dass der gesamte schwarze Königsflügel voller Löcher ist. Die weißen Figuren können also in diesen Löchern operieren:

Sehen wir uns also einige Puzzles an, die sich auf schwache Löcher beziehen.

Bitte lest die versteckte Prosa in den Rätseln. Nachdem ihr die Züge durchgespielt habt, klickt ihr einfach auf das "?" und die ganze Prosa, die hoffentlich oft voll Wunder ist, erscheint.

PUZZLE 1

Ihr sollt nicht auf schwache Felder HOFFEN! Ihr sollt sie SCHAFFEN!

PUZZLE 2

Noch mehr Löcher

Schwarz hat 7 Bauern und Weiß nur 5. Schwarz hat zudem noch eine Qualität mehr. Die Löcher vor dem schwarzen König und die Tatsache, dass Weiß all seine Figuren auf den schwarzen König "werfen" kann, wird die Partie allerdings entscheiden.



PUZZLE 3

Die schwachen schwarzen Felder besiegeln den Untergang von Schwarz

[Eine andere Lösung ist zwar um einen Zug schneller, aber Weiß entschied sich für den schöneren Weg]

PUZZLE 4

Durch positionelles Schach ein Loch erschaffen

PUZZLE 5

Ein weiterer positioneller Niederschlag

Damit habe ich meine Kindheit verbracht. Ich sass Tage und Wochen über einer Art von Muster, bis ich das Gefühl hatte, dass ich es wirklich verinnerlicht hatte. Dann ging ich zum nächsten Muster über und so weiter. Probiert es einfach aus und ihr werdet schon bald feststellen, dass ihr viel stärker seit, als je zuvor.

Kurniadigautama’s Stellung

Und so kommen wir schließlich zurück zu Kurniadigautama´s Stellung. Jemand, der sich mit schwachen Feldern beschäftigt hat, würde ohne zu zögern rochieren und darum betteln, dass Weiß auf c6 schlägt und die weißen Felder schwächt. Ohne Analyse. Ohne Berechnung. Einfach rochieren und die Party kann beginnen!

Außerdem ist Weiß nach Lxc6 in seiner Entwicklung zurück und so sind die Felder h1, g2, und f3 nicht die einzigen Probleme von Weiß. Auch das Feld d3 stellt ein großes Problem dar. Einfach gesagt: Jeder, der sich schon einmal mit schwachen Feldern beschäftigt hat, worde 2.Lxc6 als Selbstmord bezeichnen.

Hier ist eine mögliche Konsequenz:

Weiß schluckt den Köder
Weiß sieht die Gefahr
                                Fischers Todeskampf auf den schwachen Feldern

Habt ihr ein schwaches Feld? Was ist, wenn die Person mit dem schwachen Feld aber Bobby Fischer ist? Hier ist eine Partie von Fischer (in seinen besten Jahren!), die seine Liebe zum Material zeigt. Allerdings hat Bobby seine Giersehr zu schaffen gemacht, denn die Dominanz eines wichtigen Feldes ist öfter, als man denkt, wichtiger als Material.
Es sieht so aus, als ob Fischer bereits im Sarg liegen würde, aber er fand noch einen Ausweg.

Ein Meisterwerk

Das letzte Beispiel über schwache Felder stammt wieder aus einer Partie von Bobby Fischer. Viele werden jetzt sagen: "Ich hab diese Partie doch schon oft gesehen." Habt ihr aber auch gemerkt, dass der größte Schaden durch die schwachen weißen Felder am Königsflügel entstanden ist?

Hier ist, was Robert Byrne in seinem Buch "My 60 Memorable Games" über diese Partie schrieb:

"Und während ich darüber nachdachte, warum Fischer eine solche Linie gewählt hatte, obwohl sie doch offensichtlich für Schwarz verliert, kam plötzlich 18 ... Sxg2. Dieser Zug war wie ein Schock für mich ... Diese Kombination ist von solch einer Tiefe, dass selbst in dem Moment, an dem ich aufgab, die beiden Großmeister, die die Partie für die Zuschauer in einem separaten Raum kommentierten, glaubten, dass ich gewonnen hatte!"

Schwarz bleibt mit einem isolierten d-Bauern zurück. Warum würde er dies wollen? Weil die schwarzen Figuren durch die Öffnung der Linien und Diagonalen zu dynamischen Monstern werden. Seht euch dies an:

VOR …e5: Der schwarze schwarzfeldrige Läufer beißt auf d4 auf Granit. Der Turm auf e8 macht überhaupt nichts und der Springer auf c6 ist so beschäftigt wie ein Tourist beim Sonnenbaden am Strand.

NACH …e5: Der schwarze Läufer auf g7 dominiert die gesamte a1-h8 Diagonale. Der Turm auf e8 steht auf einer halboffenen Linie und der schwarze Springer wird, nachdem Weiß auf e5 geschlagen hat, auf e5 zurücknehmen und plötzlich auf die Felder f3, g4 und besonders auf d3 schielen.

Hier ist der Rest dieses Meisterwerks:

Lasst mich noch einmal erklären, wie man ein Muster lernt: Man sieht eine bestimmte Bauernstruktur, die man mag. Man sieht ein taktisches Muster, das einen begeistert. Man sieht, wie man schwache Felder ausnutzt. Man verliebt sich in die Idee, einen gegnerischen Freibauern mit einen Springer zu blockieren. All diese Dinge und viele mehr können gemeistert werden, indem man einfach Beispiele findet und diese Muster immer wieder studiert (sucht nach so vielen Beispielen wie möglich), und wenn man die Nuancen verstanden hat, könnt ihr zum nächsten Muster übergehen.

Ich möchte also Kurniadigautama für ihre interessante Frage danken. Ich hoffe, dass euch dieser Artikel geholfen hat und dass ihr jetzt wisst,  wie man bestimmte Muster versteht und studiert.
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