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Wie man Goliath besiegt

Wie man Goliath besiegt

Silman
| 49 | Taktiken

Wenn ein sehr starker Spieler auf einen schwächeren Spieler trifft, ist das Ergebnis in der Regel leicht vorauszusagen. Hin und wieder dreht das „Opfer“ aber den Spieß um und verschlingt den Riesen. In diesem Artikel zeige ich Euch sechs Partien, in denen der kleine Fisch den großen frisst. Jeder kann für sich selbst prüfen, ob Ihr das auch geschafft hättet.

Einige der Aufgaben sind sehr schwierig, aber es geht nicht um Euer Ego. Gebt einfach Euer Bestes und wenn Ihr nicht weiterkommt, könnt Ihr jederzeit auf das Fragezeichen klicken, um eine Hilfe zu bekommen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass alle sechs Partien einen Schönheitspreis gewonnen haben und jetzt wünsche ich Euch viel Spaß damit.

1

Efim Bogoljubov: Geboren 1889 in der Ukraine, gestorben 1952 in Triberg (Deutschland). Er war zu seiner Glanzzeit sicherlich einer der besten Spieler der Welt und konnte dies in einigen Turnieren wie 1925 in Moskau, als er Emanuel Lasker und Jose Raoul Capablanca besiegen konnte, beweisen. In anderen Turnieren brach er dagegen völlig ein.

Sein bekanntestes Zitat lautet: “Wenn ich Weiß habe, gewinne ich, weil ich Weiß habe. Wenn ich Schwarz habe, gewinne ich, weil ich Bogoljubov bin.”

Efim Bogoljubov
Efim Bogoljubov. | Bild: Wikipedia.

Boguljobov war ein Powerspieler, der es mit den besten der Welt aufnehmen konnte. Er gewann 1928 und 1929 zwei Duelle gegen Max Euwe (beide mit 5.5 : 4.5 - Euwe gewann dann aber 1941 ein drittes Duell). Außerdem spielte er zweimal gegen Aljechin um die Weltmeisterschaft, war aber beide Male unterlegen.

Seine Familie ging ihm über alles. Als er zum Beispiel 1924 eine Schiffsreise nach New York plante, um dort an einem Turnier teilzunehmen, schloss er eine Lebensversicherung ab, damit seine Familie im Falle eines Schiffsunglücks finanziell abgesichert gewesen wäre.

Mario Monticelli: Geboren 1902 in Venedig, gestorben 1995 in Mailand. 1950 wurde ihm der Titel eines internationalen Meisters verliehen und 1985 (ehrenhalber) der Titel eines Großmeisters. Viele Schachfans haben den Namen Monticelli sicher noch nie gehört, aber wenn man sich die Liste seiner Gegner ansieht, merkt man schnell, dass man diesen Namen kennen sollte.

Er gewann gegen Steiner, Reti, Mieses, Muffang, Znosko Borovsky, Przepiorka, Yates und gleich mehrmals gegen Karl Gilg und erreichte gegen Gruenfeld, Tartakower, Wolf, Spielmann, Capablanca und Marshall Remis.

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Ja, Bogoljubov war um einiges stärker als Monticelli. Wenn man sich aber die Skalpe ansieht, die Monticelli gesammelt hat, versteht man, warum er den mächtigen Bogoljubov besiegen konnte. Wenn man immer wieder gegen denselben Spieler spielt, muss der bessere Spieler ja irgendwann einmal verlieren.

2

Akiba Rubinstein: Geboren 1880 in Polen, gestorben 1961 in Belgien. Er erlernte Schach erst im Alter von 16 Jahren und war von 1907 bis 1914 einer der besten Spieler der Welt. Viele denken sogar, dass er zu dieser Zeit der Beste überhaupt gewesen sei.

Als der Erste Weltkrieg begann, zeigte Rubinstein Symptome psychischer Erkrankungen (manche sagen, er hörte ständig eine Fliege in seinem Ohr surren), und nach 1914 war er nie mehr so gut wie zuvor.

Akiba Rubinstein
Akiba Rubinstein. | Bild: Wikipedia.

Sandor Takacs: Geboren 1893 in Ungarn, gestorben 1932. Takacs zeigte in vielen starken Turnieren eine hervorragende Leistung: 1924 gewann er in Budapest ein Turnier vor Lajos Steiner. In Hastings belegte er zusammen mit Frank Marshall und Edgard Colle den geteilten ersten Platz. Bei der Schacholympiade 1930 in Hamburg gewann er mit Ungarn die Silbermedaille.

Hier sind einige der Spieler, gegen die er gewonnen oder Remis gespielt hat: Rubinstein (diese Partie sehen wir und gleich an!), Gruenfeld (3 Siege und einige Remis), Kmoch (Remis), Tarrasch (Remis), Vukovic (Sieg), Reti (Remis), Spielmann (Sieg und Remis), Colle (Sieg), Yates (Sieg), Endre Steiner (Sieg), Eugene Znosko Borovsky (Sieg), Mario Monticelli (Sieg), Tartakower (Remis) und Frank Marshall (Remis).

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Wie konnte der große Rubinstein nur so verlieren? Weil Rubinstein nicht mehr Rubinstein war, denn seine Blütezeit lag zwischen 1907 und 1914.

Ja, von Zeit zu Zeit zeigte er noch seine wahre Stärke, aber er zeigte bereits Anzeichen von Schizophrenie (nach einem Zug versteckte er sich in einer Ecke und wartete darauf, dass sein Gegner einen Zug ausführte). Im Jahr 1932 war er dann völlig fertig und spielte nie wieder ein Turnier.

3

Edgard Colle: Geboren 1897 in Belgien, gestorben 1932. Er spielte einige sehr gute internationale Turniere und gewann in Amsterdam vor Tartakower und Max Euwe. Leider war sein Gesundheitszustand sehr schlecht. Er wurde dreimal wegen eines Magengeschwürs operiert und starb bei der vierten Operation. Er wurde nur 34 Jahre alt.

Obwohl er der Schachwelt das berühmte Colle-System hinterlassen hat, ist Colle heutzutage fast in Vergessenheit geraten. Ein Blick auf seine Opfer wird Eure Meinung aber ändern: Er gewann sechsmal gegen Euwe (!)und schlug Mieses, Gruenfeld, Spielmann, Reti und Steiner gleich mehrfach. Gegen Koltanowski gewann er zweimal und auch gegen Yates, Janowski, Nimzowitsch, Rubinstein und Tartakower konnte er gewinnen. Herr Colle war einfach ein klasse Spieler!

Edgar Colle
Edgard Colle. | Bild: Wikipedia.

Ernst Franz Grünfeld: Geboren 1893 in Österreich, gestorben 1962. Aufgrund eines Unfalls wurde ihm im Alter von nur 5 Jahren sein linkes Bein amputiert. Wie so viele andere Kinder in dieser Zeit wuchs er in bitterer Armut auf, aber als er das Schachspiel entdeckte, ergab sein Leben plötzlich Sinn. 1950 wurde ihm der Titel eines Großmeisters verliehen.

Laut “Karpova” schrieb Georg Marco einen kurzen Artikel über Grünfeld. Die beiden Highlights darin: 1) “Grünfeld begann erst 1910 Schach zu spielen.” 2) “Siegfried Reginald Wolf war sein Mentor. Sie spielten etwa 300 or 400 Partien gegeneinander und dadurch wurde Grünfeld zu einem wirklich starken Spieler."

Wenn man sich die zahllosen Endspiele in den Datenbanken zwischen Grünfeld und Siegfried Reginald Wolf anzieht, muss das wohl auch stimmen.

Grünfeld war ein Eröffnungsexperte und erfand die Grünfeld Verteidigung, die auch heute noch auf höchstem Niveau gespielt wird. In englischsprachigen Artikeln wird sein Name meistens Gruenfeld geschrieben, während die Eröffnung Grunfeld geschrieben wird.

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Colle war viel stärker, als es die meisten Leute damals dachten. Grünfelds Niederlage könnte an Selbstüberschätzung gelegen haben. Vielleicht hatte Colle aber auch nur einen ausgezeichneten Tag.

4

Theo Wildschütz: Geboren 1910, aber wann ist er gestorben? Wenn er noch lebt, kann ich nur vermuten, dass er unsterblich ist und ein Schwert trägt. Wenn jemand weitere Informationen über diesen Mann hat, kann er mir diese gerne auf Chess.com zukommen lassen.

Ludwig Rellstab: Geboren 1904 in Deutschland, gestorben 1983 in Deutschland. Er gewann 1942 die Deutsche Meisterschaft und spielte bei 3 Olympiaden (1950, 1952 und 1954) für Deutschland. 1952 gewann er sogar die Einzel-Goldmedaille an Brett 2. 1950 wurde er Internationaler Meister.

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Wildschütz war ein hervorragender Taktiker und bei solchen Spielern kann immer viel passieren. Außerdem war Rellstab eh nicht viel besser.

5

C.H. Alexander: Geboren 1909 in Irland, gestorben 1974 in England. Ein starker Schachspieler der die Britischen Meisterschaften zweimal gewonnen hat (1938 und 1956). Er spielte bei sechs Olympiaden für England und wurde 1950 Internationaler Meister. 1970 wurde er außerdem noch Internationaler Fernschach-Meister.

Die "Turniere seines Lebens" waren Hastings 1946/47, das er vor Tartakower gewinnen konnte und Hastings 1953/54, das er gemeinsam mit Bronstein gewann (Alexander beendete das Turnier ungeschlagen und konnte gegen Bronstein und Tolush gewinnen). Außerdem gewann er 1946 in einem Länderspiel zwischen England und der Sowjetunion gegen Mikhail Botvinnik.

Interessanterweise arbeitete er während des Zweiten Weltkriegs für den britischen MI5 als Codeknacker und entschlüsselte deutsche Geheimcodes. Ab 1944 wechselte er als Abteilungsleiter unter Alan Turing zu japanischen Geheimcodes.

Ludek Pachman: Geboren 1924 in der Tschechoslowakei, gestorben 2003 in Deutschland. Er war nicht nur Großmeister (seit 1954), sondern auch Schriftsteller und politischer Aktivist. 1972 wurde er verhaftet und monatelang gefoltert, bevor ihm die tschechischen Kommunisten aufgrund internationalen Drucks erlaubten, nach Deutschland auszureisen.

Er gewann viele starke Turniere, aber sein größter Erfolg war der geteilte zweite Platz in Havanna 1963 (zusammen mit Tal und Geller - Korchnoi gewann das Turnier). Außerdem gewann er siebenmal die Tschechoslowakische Meisterschaft und spielte von 1952 bis 1966 in 8 aufeinanderfolgenden Olympiaden für sein Land (üblicherweise an Brett 1).

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Wenn es kein Remis gibt, muss ja einer gewinnen. Obwohl Pachmann Großmeister war und Alexander "nur" IM, waren beide sehr starke Spieler. Ich glaube, dass Pachmann etwas stärker war, aber wirklich nicht viel. Ich habe in den Datenbanken bei direkten Verglichen einen Sieg für jeden der beiden Spieler und zahlreiche Remis gefunden. Ausgeglichener könnte eine Bilanz gar nicht sein!

6

Walter Niephaus: Geboren 1923 in Deutschland, gestorben 1992. Er war ein starker Spieler, der sich aber nie einen Titel erspielen konnte (meiner Meinung nach hätte er den IM Titel verdient gehabt). Wenn er in Form war, spielte er beeindruckendes Schach und konnte ein Duell gegen den Großmeister Alberic O’Kelly de Galway mit 3.5 : 1.5 gewinnen. Ein Duell gegen Bogoljubov, das 2 Jahre vor dessen Tod gespielt wurde, verlor Niephaus jedoch mit 5 : 1.

Paul Felix Schmidt: Geboren 1916 in Estland, gestorben 1984 in den USA. Ein starker Schachspieler, dem 1950 der Titel eines internationalen Meisters verliehen wurde und der irgendeine Verbindung zu Keres hatte. Sie spielten 17 Partien gegeneinander und jeder Spieler konnte sechs davon gewinnen. In den 40ern war er die Nummer 9 der Welt (und das ist wirklich Paul Schmidt, nicht Großmeister Lothar Schmid oder Großmeister Wlodzimierz Schmidt).

Dass er IM war habe ich schon erwähnt, aber er war viel stärker als dieser Titel vermuten lässt. Hier sind einige seiner Ergebnisse:

  • 1935 gewann er in Tallinn vor Keres.
  • Ein Duell gegen Keres endete Unentschieden (3 Siege, 1 Remis, 3 Niederlagen).
  • 1936 gewann er die Estnische Meisterschaft.
  • 1937 gewann er das erste internationale Turnier Estlands vor Salo Flohr, Keres und Gideon Stahlberg.

Der Mann war ein Monster! Aber warum kennt ihn kaum jemand? Weil er seine Schachkarriere ziemlich bald aufgab und Chemiker wurde. 1951 promovierte er an der Universität Heidelberg. Danach zog er nach Kanada und landete schließlich in den USA (Philadelphia). Den Rest seines Lebens verbrachte er als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Halbleiter.

WARUM HAT DER STÄRKERE SPIELER VERLOREN?

Nach all den Lobeshymnen für Schmidt werdet Ihr Euch fragen, wie er von einem Spieler, der viel schwächer war, vom Brett gefegt werden konnte. Die Gründe sind: Jeder IM kann an einem guten Tag einen Großmeister besiegen. Außerdem beschäftigte sich Schmidt 1950 schon nicht mehr mit Schach, sondern mit seiner neue Liebe, der Chemie.

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