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Wie man Eröffnungen richtig lernt

Wie man Eröffnungen richtig lernt

Gserper
| 171 | Eröffnungstheorie

Die Eröffnung ist der Teil des Schachs, mit dem die meisten Spieler am meisten Zeit beim Schachtraining verbringen. Ich bezweifle, dass diese Aussage für Euch eine große Überraschung war, wenn man bedenkt, wie viele Bücher und Videos zu diesem Thema es gibt. Wenn ich meine Schüler frage, welche Art von Schachbüchern sie haben, antworten die meisten: "Eröffnungsbücher".

Leider wissen die meisten aber Schachspieler nicht, wie man Eröffnungen richtig lernt und deshalb versuchen sie einfach, sich den Inhalt der oben genannten Bücher und Videos mechanisch zu merken. Daher finde ich die Fragen, die ihr im Kommentarbereich meines letzten Artikels gepostet habt, sehr aufschlussreich.

Hier ist eine davon: "[...] Einen Teil empfand ich als irreführend. Der Zug 1. c4 bekam einmal ein Fragezeichen und das verstehe ich nicht. Die englische Eröffnung ist doch eine absolut respektable Eröffnung. Bedeutet das Fragezeichen vielleicht, dass die nachfolgende Variante zweifelhaft ist?"

Wer gibt der englischen Eröffnung ein Fragezeichen? Nun, es hängt davon ab, wer sie spielt und was seine Ziele in der Partie sind.

Obwohl ich ausdrücklich auf diesen Artikel verlinkt habe, wo ich eine sehr ausführliche Erklärung abgegeben habe, habe ich dennoch den wichtigsten Teil davon kopiert: "Vor allem anderen muss man die klassischen Prinzipien der Eröffnungen lernen (Zentrum, Entwicklung, Königssicherheit, usw.)!" Aber ich denke, ich muss den Grund wohl genauer erklären, warum ich dem Zug 1.c4 in diesem Zusammenhang ein Fragezeichen gegeben habe.

Zunächst einmal begannen in diesem Artikel mit nur einer Ausnahme alle Partien mit dem Zug 1.c4. Zwei davon waren wahre strategische Meisterwerke und in einer anderen besiegte Nodirbek Abdusattorov Weltmeister Magnus Carlsen, was ja eine großartige Bestätigung für die englische Eröffnung ist. Aber in der Partie, in der ich diesen Zug mit einem Fragezeichen versehen habe, war die Person, die Weiß spielte, ein neunjähriger Junge mit einer Elo von 154, und meiner Meinung nach ist die englische Eröffnung nicht der beste Weg, um in diesem Alter und auf diesem Niveau eine Schachpartie zu beginnen.

Abdusattorov gewann 2021 bei der Weltmeisterschaft im Schnellschach mit dem Zug 1.c4 gegen Carlsen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Um diesen Punkt zu demonstrieren, möchte ich Euch meine persönliche Reise mit der englischen Eröffnung erzählen. Sie begann mit 1.c4 und einem Fragezeichen dahinter und endete mit 1.c4 mit einem Ausrufezeichen.

Im Oktober 1980 fand in meiner Heimatstadt Taschkent eines der stärksten sowjetischen Turniere statt. Die erste Liga der nationalen Meisterschaft. Dieses Turnier gab dem Schachleben in Usbekistan einen enormen Schub. Lange vor dem Internet war die bloße Möglichkeit, einen echten Großmeister zu sehen, unbezahlbar. Was aber noch besser war: Diese Großmeister spielten viele Simultanpartien.

Eines Tages spielte dann Großmeister Vladimir Tukmakov, einer der besten sowjetischen Spieler der damaligen Zeit, gegen die besten Nachwuchsspieler Simultan. Ich war eines der wenigen glücklichen Kinder, die es geschafft haben, ein Remis zu erreichen. Ein paar Tage später gab Tukmakov ein zweites Simultan gegen dieselben Gegner. Davor kündigte er aber an, dass wir die Farben wechseln mussten (mit anderen Worten, diejenigen von uns, die Weiß gespielt haben, sollten jetzt Schwarz spielen). Und hier hatte ich ein Problem. Ich hatte nämlich in der ersten Partie mit Schwarz Remis gespielt und wollte wieder mit Schwarz spielen, da ich damals lieber mit den schwarzen Steinen gespielt hatte. Wundert Euch jetzt nicht! Es gibt sogar sehr starke Spieler, die lieber mit Schwarz spielen.

Großmeister Tukmakov 1974 (rechts). Foto: Hans Peters/Dutch National Archive, CC.

Ich werde mein Gespräch mit dem verstorbenen Evgeny Sveshnikov, dem Erfinder des Sveshnikov-Variante in der sizilianischen Verteidigung, nie vergessen. Er war auf vielen Ebenen eine wirklich einzigartige Person und sein Schacherbe hat ein mehrbändiges Buch verdient. Sveshnikov war einer jener Schachspieler, die auch lieber mit Schwarz spielten. Als wir dann gemeinsam in einem Turnier spielten, sagte er, dass er seinen nächsten Gegner, der ein ziemlich starker Spieler war, schlagen würde. Ich fragte ihn, warum er sich da so sicher sei. Ich werde mich immer an den Anfang seiner langen Antwort erinnern: "Nun, zuallererst spiele ich mit Schwarz ..."

Evgeny Sveshnikov 2016. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Aber zurück zu meiner Geschichte. Als GM Tukmakov ankündigte, dass wir die Farben wechseln sollten, versuchte ich so zu tun, als hätte ich das nicht gehört und stellte die schwarzen Figuren für mich auf. Als Tukmakov an mein Brett kam, erinnerte er sich offensichtlich noch gut an das kleine Kind, das ihm vor ein paar Tagen ein Remis abgerungen hatte. Er sagte nur, dass ich das letzte Mal, als wir gespielt haben, Schwarz hatte und jetzt mit Weiß spielen sollte. Und weil ich jetzt keine Wahl mehr hatte, drehte ich das Brett und spielte 1.c4?

Eigentlich hatte ich damals meine Partien immer mit 1.e4 begonnen, aber hier geriet ich aufgrund einer unerwarteten Planänderung (ich hatte mich ja auf eine Schwarzpartie vorbereitet!) in Panik und spielte Englisch. Ich habe die Partie dann ziemlich kläglich verloren: Mein viel stärkerer Gegner hat mich positionell einfach komplett überspielt und ich habe nicht einmal verstanden, was ich falsch gemacht habe. Nach der Partie erklärte mir mein Trainer, dass ich eine tolle Chance, gegen einen so großartigen Spieler zu spielen, einfach verschwendet habe.

Hätte ich meinen üblichen Zug 1.e4 gespielt, hätte ich zwar höchstwahrscheinlich auch verloren, aber ich hätte in einer scharfen Stellung viel mehr lernen können, als aus diesem langweiligen 1.c4 Partie. Übrigens war ich damals 11 Jahre alt und somit nicht viel älter als das Kind, dessen Partie ich für meinen Artikel verwendet habe.

Springen wir acht Jahre weiter. Ich war bereits ein internationaler Meister und da ich mein ganzes Leben lang die sizilianische Verteidigung gespielt hatte, kam mir die Idee, doch einfach mal die englische Eröffnung, die ja im Wesentlichen ein Versuch ist, Sizilianisch mit umgekehrten Farben zu spielen, zu versuchen. Nachdem ich von 1.e4 auf 1.c4 gewechselt hatte, haben sich meine Ergebnisse verbessert. Hier ist die Partie, die mir meinen Großmeistertitel eingebracht hat:

Das war also meine persönliche Reise von 1.c4? zu 1.c4!

Nun will ich eine weitere Frage aus dem Kommentarbereich beantworten:

"Ich habe in letzter Zeit relativ erfolgreich 1.c4 ausprobiert, aber ich habe das Gefühl, dass ich die Theorie/den Zweck dahinter nicht ganz verstehe. Können Sie mir vielleicht eine Empfehlung geben, mit der ich etwas anfangen kann? Danke."

Das ist eine sehr gute Frage! Das Problem bei den meisten Eröffnungsbüchern ist, dass sie Euch nur mit Varianten zupflastern, aber am Ende versteht man diese Züge nicht wirklich.

Ich zeige Euch ein relativ einfaches Beispiel, das ziemlich deutlich veranschaulicht, warum Ihr die Ideen Eurer Eröffnungen kennen müsst. In meiner Partie tauschte ich im neunten Zug meinen fianchettierten Läufer, um dem schwarzen Damenflügel Schaden zuzufügen. In vielen Fällen macht aber ein solcher Tausch den eigenen König angreifbar. Was hat mir also die Entscheidung, mich von meinem Läufer zu trennen, so einfach gemacht? Die Antwort ist einfach: Ich kannte die folgenden beiden Partien von Weltmeistern:

Wie Ihr sehen könnt, habe ich in meiner Partie einfach die Idee der beiden Weltmeister kopiert, da die Stellungen praktisch identisch waren. Aber es ist nicht immer so einfach. Was solltet Ihr tun, wenn Ihr völlig aus dem Buch seid? Auch hier kann Euch die Kenntnis klassischer Partien weiterhelfen.

Sehen wir uns meinem Zug 15.exf3 an. Warum habe ich nur absichtlich meine Bauernstruktur zerstört, wenn ich doch mit 15.Dxf3 einen absolut normalen Zug hatte? Ich hatte diese Idee sogar schon in einer früheren Partie verwendet und da sah der Zug sogar noch schockierender aus:

Hier sieht mein Zug 13.exf3! sieht sogar noch lächerlicher aus, da ich sowohl mit Dame als auch mit Läufer zurückschlagen hätte können, ohne dadurch meine Bauernstruktur zu zerstören. Gibt es einen Grund für diesen Wahnsinn? Na sicher! Weiß will die e-Linie öffnen. In einigen Varianten kann der f3-Bauer auch als Rammbock verwendet werden, um die Burgmauer vor dem schwarzen König zu beschädigen. Aber auch diese nette Idee musste ich nicht selbst finden, denn ich kannte die folgende Partie eines weiten Weltmeisters. Anatoly Karpov nutzte die offene e-Linie optimal aus, fand aber im entscheidenden Moment nicht die beste Fortsetzung seines Angriffs.

Ich muss aber zugeben, dass ich diese Idee aus einer Partie von Alexander Aljechin gelernt und Karpovs Partie erst viel später gesehen habe. Es ist aber gut möglich, dass Karpov selbst diese Idee auch von Aljechin übernommen hat.

Jetzt seht Ihr, wie schwierig es für GM Boris Alterman war, gegen mich zu spielen: Ich hatte vier Weltmeister hinter mir sitzen!

Kommen wir also auf die Frage zurück, wie man Eröffnungen richtig lernt. Als ersten Schritt würde ich empfehlen, Partien zu studieren, in denen Weltmeister und Elite-Großmeister die für Euch interessanten Eröffnung spielen. Das sollte Euch einen allgemeinen Überblick über typische Angriffs- und Verteidigungsoptionen, die besten Felder für die Figuren und Schlüsselelemente von Strategie und Taktik usw. geben.

Was aber wäre, wenn Ihr darüber nachdenkt, eine der zahlreichen Meme-Eröffnungen in einer Turnierpartie zu spielen und Euch fragt, wie wohl Jose Capablanca, Bobby Fischer, Garry Kasparov oder Viswanathan Anand darauf reagiert hätten? Wenn wir uns die Datenbanken ansehen, erhalten wir schnell eine Antwort:

Nun, ich schätze, das ist ein weiterer Grund, warum Ihr klassische Partien studieren solltet. Selbst diese ungewöhnliche Reaktion kann Euch etwas über Schach beibringen.

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