Wie du deine eigenen Partien analysierst
Vor fünfundachtzig Jahren gewann GM Mikhail Botvinnik das wichtigste Turnier des Jahres, die sowjetische Schachmeisterschaft, mit einem beeindruckenden Ergebnis von 12,5/17 (S:+8, N:-0, R:=9). Später, in seinem Buch über das Turnier, verriet Botvinnik seine Methoden der Schachvorbereitung. Für Botvinnik war eine der wichtigsten Methoden die Analyse seiner eigenen Partien, die er auch veröffentlichte, um ein kritisches Feedback zu erhalten.
Obwohl sich das Schachspiel heute deutlich von dem vor 85 Jahren unterscheidet, sind die wichtigsten Punkte von Botvinniks Empfehlungen heute noch genauso gültig wie damals. Natürlich musst du heutzutage deine Analyse nicht mehr veröffentlichen, um eine kritische Antwort von anderen Schachspieler:innen zu bekommen, da deine Schach-Engine dies sofort für dich erledigt. Trotzdem solltest du deine Partien zuerst selbst analysieren und sie erst dann mit einer Engine überprüfen. Auf diese Weise kannst du den maximalen Nutzen aus der Analyse deiner Partien ziehen.
Ich werde eine Partie eines meiner Schüler als Beispiel für eine solche Analyse verwenden. Wenn ich Partien meiner Schüler:innen für meine Artikel verwende, lasse ich in der Regel die Namen der Spieler:innen weg. Hier mache ich eine Ausnahme, denn durch den Sieg in dieser Partie wurde mein Schüler zum Meister, sodass sie nun als ernstzunehmende Profipartie betrachtet werden kann - und außerdem hat er mir seine Erlaubnis dazu gegeben. Ich habe bereits eine Partie von ihm für einen früheren Artikel verwendet, aber da war er noch ein kleines Kind mit der Wertungszahl USCF 1543, also habe ich seinen Namen entfernt. Sein Gegner, GM Dmitry Gurevich, ist ein guter Freund von mir und außerdem der netteste Mensch, den ich je getroffen habe. Er drückt jungen talentierten Spieler:innen immer die Daumen und war übrigens der erste Trainer der supertalentierten IM Alice Lee. Ein Verlust ist zwar immer schmerzhaft, aber ich bin mir sicher, dass Dmitry sich darüber freuen wird, dass er einem jungen Menschen geholfen hat, seinen Traum zu erfüllen.
Lass uns einen Blick auf das Spiel werfen.
Bis zu diesem Punkt braucht die Partie eigentlich keine Kommentare, da die Gegner eine bekannte theoretische Stellung erreicht haben. Es gab zwei Partien, die vor über 50 Jahren gespielt wurden und die Theorie dieser Eröffnungsvariante definierten:
GM Boris Spassky gegen GM Tigran Petrosian, 1969
GM Lev Polugaevsky gegen GM Mikhail Tal, 1969
In seinem hervorragenden Buch My Great Predecessors ("Meine großen Vorgänger") analysiert GM Garry Kasparov die beiden Partien und empfiehlt 14...h6, um das Opfer zu vermeiden, das Polugaevsky in seiner Partie gegen Tal ausführte.
Gurevich folgt Kasparovs Empfehlung. Selbst nach diesem Zug war die Standardfortsetzung 15.d5 noch gut für Weiß, aber Ryan geht seinen eigenen Weg und schon bald erreicht die Partie eine sehr interessante Stellung. Hier hatte Weiß eine sehr starke Idee, die ihm half, Drohungen für den schwarzen König zu erzeugen. Kannst du die nächsten vier Züge von Weiß erraten?
Das ist eine sehr kreative Idee, die ich noch nie gesehen habe. Sf6 ist eine ganz normale taktische Variante, wenn ein weißer Bauer auf e5 und der Springer auf e4 steht, aber Sf3-e5-g4-f6 ist mir völlig neu. Wenn ihr, liebe Leserinnen und Leser, diese Idee schon einmal gesehen habt, teilt mir bitte in den Kommentaren mit, in welchen Partien sie vorkam.
In unserer Partie wurde der schwarze König sehr verwundbar. Der Springer kann nicht genommen werden und deshalb musste Schwarz Kh8 spielen und den gefährlichen Springer so nahe an seinem König lassen.
Und jetzt haben wir einen kritischen Moment des Spiels. Was würdest du hier für Weiß spielen?
In der Partie zog Weiß stattdessen den Springer von seiner ausgezeichneten Stellung und verlor sofort seinen ganzen Vorteil:
Es mag zwar so aussehen, als ob Weiß durch Zugwiederholungen auf ein Remis vorbereitet ist, aber in Wirklichkeit ist dies ein sehr starker psychologischer Trick, den ich von keinem Geringeren als Garry Kasparov gelernt habe. Ich habe dieses Konzept vor mehr als 10 Jahren in diesem Artikel erklärt, und natürlich war Ryan mit der Finte vertraut, die wir zahlreiche Male besprochen haben. Natürlich lehnte Gurevich ein Remis ab, weil seine Stellung etwas besser war, und die Partie ging weiter:
Mir gefallen Ryans 32.h3 und 35.Kh2 sehr gut. Es ist eine nützliche Idee, deinen König auf ein sichereres Feld zu ziehen, bevor du den Rest deiner Figuren einsetzt, um den gegnerischen König anzugreifen. Wir haben dieses Thema vor ein paar Jahren in diesem Artikel besprochen, und ja, wie du dort sehen kannst, hat Kasparov diese Idee auch in seinen Partien verwendet!
Was haben wir also gelernt, als wir dieses Spiel eingehend analysiert haben? Eine ganze Menge! Fassen wir unsere Analyse von Weiß' Spiel zusammen:
- Ryans Eröffnungskenntnisse waren recht gut, was ihm eine vielversprechende Stellung einbrachte.
- Dann fand er eine sehr originelle und kreative Idee Sf3-e5-g4-f6!, die ihm einen bedeutenden Vorteil verschaffte.
- 22. Sp4? war ein sehr schlimmer Fehler, durch den er den ganzen Vorteil verlor. Dieser kontraintuitive Zug sieht einfach hässlich aus - man will einen Springer nicht aus einer so tollen Stellung ziehen! Der Fehler wurde durch den falschen Plan verursacht, den Springer nach d6 zu verlagern, wo er zwar gut aussieht, aber in Wirklichkeit nicht so gefährlich ist wie Sf6!
- Nachdem der Vorteil weg war, ließ sich Ryan durch die unerwartete Wendung nicht aus der Ruhe bringen. Er spielte ziemlich opportunistisch und bereitete seinem erfahrenen Gegner alle möglichen Probleme. Ryans Wissen über typische Mittelspielmuster war dabei sehr hilfreich.
- Nachdem es Weiß gelungen war, wieder die Initiative zu ergreifen, spielte er tadellos und ließ seinem Gegner keine zweite Chance.
Wenn du deine Partien auf diese Weise analysierst, siehst du schnell die starken und schwachen Seiten deines Schachs, was dir helfen wird, noch besser im Schach zu werden!