Artikel
Wer wird der nächste Schach-Superstar?

Wer wird der nächste Schach-Superstar?

Nemsko
| 151 | Akademisches

Wer wird der nächste Weltmeister? Seit GM Alireza Firouzja ein sehr enges Match gegen GM Magnus Carlsen gewinnen konnte, fragen wir uns, wer Carlsen den Weltmeistertitel streitig machen könnte.

Während der 16-jährige Firouzja, der seit diesem Monat eine Elo von 2728 hat und in der Weltrangliste bereits auf Platz 21 geklettert ist, sicher ein Kandidat dafür ist, will ich in diesem Artikel auch anderen jungen Spielern Aufmerksamkeit schenken.

Eine Elo von 2600 zu erreichen ist keine leichte Aufgabe und ein kurzer Blick auf die U16-Weltrangliste zeigt, dass nur 3 Spieler in diesem Alter dieses Ziel bereits erreicht haben. Das beantwortet aber natürlich nicht die Frage, wer es in 5 Jahren mit den Top-Spielern aufnehmen kann und wer nicht.

Die U16-Weltrangliste

# Name Land Elo Geburtsjahr
1 Abdusattorov, Nodirbek 2627 2004
2 Nihal Sarin 2620 2004
3 Praggnanandhaa R 2608 2005
4 Gukesh D 2563 2006
5 Keymer, Vincent 2558 2004
6 Sindarov, Javokhir 2557 2005
7 Bjerre, Jonas Buhl 2549 2004
8 Sadhwani, Raunak 2545 2005
9 Suleymanli, Aydin 2512 2005
10 Batsuren, Dambasuren 2481 2004

Die Top 3

Wir sehen, dass der erste der U16-Weltrangliste eine Elo von 2627 hat und der zehnte eine Elo von 2481. 2481 ist zwar immer noch eine sehr hohe und respektable Zahl, aber doch nicht ganz 2600. Jeder dieser Spieler ist äußerst vielversprechend, aber ich möchte mich auf die ersten drei konzentrieren.

Nodirbek Abdusattorov (Usbekistan), Nihal Sarin (Indien) und Rameshbabu Praggnanandhaa (Indien) haben alle eine Elo von über 2600 und alle haben wir schon bei Top-Turnieren gesehen. Weltmeister zu werden ist aber keine leichte Aufgabe und diese Spieler haben noch einen weiten Weg vor sich. Wenn ihr jedoch mit Freunden auf den nächsten Schachweltmeister wetten wollt, würde ich Euch empfehlen, Euer Geld auf einen dieser drei Namen zu setzen.

Wunderkinder und Spätstarter

Bevor ich jetzt diese 3 Spieler detaillierter analysiere, möchte ich auch darauf hinweisen, dass eine hohe Elo in jungen Jahren zwar möglicherweise darauf hinweist, dass ein Spieler in Zukunft Weltmeister werden könnte (Carlsen), es aber nicht garantiert, dass ein Spieler einmal die Schallmauer von 2800 durchbricht (GM Teimour Radjabov). GM Fabiano Caruana wurde erst im Alter von 19 oder 20 zu den Top-Spielern gezählt. Mit 14 war er noch weit von den 2600 entfernt. Er hatte damals eine Elo von 2444 und erreichte die 2600 erst, als er schon 16 Jahre alt war.

Sein Können zeigte er erst 2013, als er GM Sergey Karjakin besiegen konnte, der damals schon seit Jahren eine Elo von 2700 hatte. Ein Wunderkind zu sein bedeutet nicht, dass man mit 20 Jahren automatisch Weltmeister wird. Und mit 14 Jahren noch keine 2600 zu haben bedeutet genauso wenig, dass man nicht Weltmeister werden kann. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass man, auch wenn man mit 16 noch keine 2600 hat, seine schachlichen Ziele und Träume weiter verfolgen sollte.

In diesem Artikel berücksichtige ich übrigens nur die Elo im klassischen Schach.

Die indischen Wunderkinder

Praggnanandhaas und Nihals Fortschritte betrachte ich zusammen, weil diese beiden jungen Spieler viel Zeit miteinander verbringen. Wenn Ihr Euch die nachstehende Entwicklung anseht, fällt Euch sicher auf, dass beide Spieler, seit sie eine Elo von 2400 erreicht haben, weniger stark schwanken. Dies ist aber bei fast allen jungen Spielern die 2400 erreichen zu beobachten und ist auf den K-Faktor zurückzuführen. Jugendliche Schachspieler haben einen K40 Faktor, der deren Elo schneller an ihre wahre Spielstärke angleicht. Ab einer Elo von 2400 wird dieser jedoch gestrichen.

Praggnanandhaa erreichte die 2400 im Frühjahr 2016 und seitdem ist seine Elo kontinuierlich gestiegen:

Die Entwicklung von Praggnanandhaas Elo.

Die Entwicklung von Nihals Elo.

Nihals Entwicklung verläuft sehr ähnlich. Aber auch er hat seit Juni 2019 nur 14 Punkte zugelegt. Beide Spieler wurden zwar auch durch den Corona-Virus ausgebremst und konnten in den letzten 3 Monaten keine Partien mehr spielen, aber hauptsächlich ist der Stillstand dem geänderten K-Faktor zuzuschreiben. Außerdem treten beide Spieler immer öfters gegen superstarke Gegner an, denen Nihal und Praggnanandhaa noch nicht ganz gewachsen sind.

Man kann kaum glaube, dass dieses Kind eine Elo von 2600 hat. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nihal bei der Arbeit. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ihre neuen Gegner haben auch bessere Ressourcen wie Trainer und Sekundanten im Vergleich zu den Gegnern, mit denen die jungen Spieler zuvor konfrontiert waren und die beiden müssen jetzt winzigen Details, die bis vor kurzem noch nicht relevant waren, Aufmerksamkeit schenken. Obwohl ich keinen Zweifel daran habe, dass Nihal und Praggnanandhaa bereits erfahrene Spieler sind, haben ihnen die meisten Gegner doch einige Jahre an Erfahrung und Wissen voraus.

Der erste der U-16 Weltrangliste

Abdusattorov hat bereits eine Elo von 2627 und ist damit Nihal und Praggnanandhaa einen kleinen Schritt voraus. Seine Entwicklung verlief allerdings etwas anders. Ich habe etwa ein Jahr vor seinem Entwicklungssprung gegen ihn gespielt und darf deshalb behaupten, ein klein wenig zu seiner Elo beigetragen zu haben! Als wir gegeneinander gespielt hatten, war er aber bereits ein sehr starker Spieler, obwohl er erst 10 Jahre alt war.

Ich war damals übrigens 14 und hatte eine Elo von 2157, während mein Gegner eine Elo von 2186 hatte. Habe ich damals schon einen kometenhaften Aufstieg auf 2600 vorausgesehen? Ehrlich gesagt: Überhaupt nicht! Ich freue mich aber trotzdem für ihn.

Die Entwicklung von Abdusattorovs Elo.

Während die Entwicklung von Nihal und Praggnanandhaa nur eine Richtung kannte, hatte Abdusattorov im April 2015 mit der Hilfe des K40-Faktors zwar 201.6 Punkte hinzugewonnen, aber war zwischen Februar und Oktober 2016 wieder auf 2300 zurückgefallen. Seitdem steigt seine Elo aber wieder beständig.

Abdusattorov in voller Konzentration. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov haben alle schon die 2600-Marke geknackt und da stellt sich natürlich die Frage, ob und wann sie die 2700-Schallmauer durchbrechen werden. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit. Ich weiß, dass Praggnanandhaa und Nihal, die ich schon öfters in Europa in Trainingslagern getroffen habe, das Talent dazu haben. Zu Abdusattorov kann ich weniger sagen, da ich mit seinem Training nicht vertraut bin.

Weitere potenzielle Weltmeister

Abgesehen von den klaren Favoriten für den Weltmeistertitel in einigen Jahren glaube ich, dass sich bei den Juniorenweltmeisterschaften noch viele weitere potenzielle Weltmeister tummeln. Dommaraju Gukesh (Indien) ist der zweitjüngste Großmeister der Geschichte. Er hat eine Elo von 2563 und ist auf dem besten Weg, noch vor seinem 15. Geburtstag die 2600 zu erreichen und sogar 2700 anzuvisieren. Ebenso Großmeister ist Javokhir Sindarov (Usbekistan), der derzeit 15 Jahre alt ist und sich eine Elo von 2557 erspielt hat. Ein weiteres starkes indisches Talent, GM Raunak Sadhwani, ist erst 14 Jahre und hat eine Elo von 2545.

Die Entwicklung dieser 3 Spieler ähnelt der von Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov:

Die Entwicklung von Dommaraju Gukeshs Elo.

Auch hier sehen wir einen Knick, als der K40-Faktor gestrichen wurde.

Die Entwicklung von Javokhir Sindarovs Elo.

Sindarovs Entwicklung ähnelt der von Abdusattorov. Auch er musste einige Rückschläge verkraften.

Die Entwicklung von Raunak Sadhwanis Elo.

Sadhwanis Entwicklung gleicht der von Praggnanandhaa. Um vorherzusagen, dass die Elo von allen drei Spielern noch weiter steigen wird, braucht man aber keine Glaskugel.

Das Wunderkind, das jeder kennt

Sehen wir uns zum Vergleich die Entwicklung des Weltmeisters und seines letzten Herausforderers an:

Die Entwicklung von Magnus Carlsens Elo.

Carlsen feierte im November 2005 seinen 15. Geburtstag und war damit in etwa so alt, wie es Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov heute sind. Wenn man die Diagramme vergleicht, kann man viele Erkenntnisse gewinnen: Carlsen hat im Jänner 2006 als 15-jähriger 2600 erreicht und im Oktober desselben Jahres, im Alter von 16, lag er nur 2 Punkte unter der 2700-Schallmauer. Heute ist Carlsen der aktuelle Weltmeister und möglicherweise der stärkste Spieler aller Zeiten, aber ich würde sagen, dass die derzeitigen drei Jugendlichen auf dem richtigen Weg sind, um etwas Ähnliches zu erreichen.

Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel

Sowohl bei Carlsen als auch bei Fabiano waren die beiden Jahre nach dem Erreichen der 2600 entscheidend. Während aber Carlsen nur wenige Monate brauchte um 2700 zu erreichen, dauerte Fabianos langer aber stetiger Aufstieg fast 2 Jahre.

Die Entwicklung von Fabiano Caruanas Elo.

Wie ich bereits erwähnt habe, hat Fabianos Aufstieg zum Gipfel der Schachwelt sehr lange gedauert, aber er hat sich seit 2012 nur verbessert.

Anhand der fünf Hauptakteure, die wir bisher besprochen haben, Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov für die kommende Generation und Caruana und Carlsen als die aktuellen Top 2 der Welt, können wir vielleicht vorhersagen, wie sich die drei jungen Spieler entwickeln werden.

Elo und Alter.

In dieser Analyse habe ich eine logarithmische Linie mit der besten Anpassung angenommen und sie mit dem entsprechenden R2-Wert jeder Linie verglichen. Ich gehe davon aus, dass Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov sehr hohe Elos erreichen werden. Das ist aber bei weitem nicht alles, was man braucht, um Weltmeister zu werden. Man kann auch eine extrem hohe Elo haben und kein Weltmeister werden. Bei der Analyse werden auch potenzielle menschliche Faktoren nicht berücksichtigt. Zum Beispiel könnte ja einer der Spieler einfach die Lust am Schach verlieren und eine andere Karriere einschlagen wollen.

Wenn die Turniere wieder beginnen, wird es spannend sein, Praggnanandhaa, Nihal und Abdusattorov im Auge zu behalten. Ein paar Monate lang kein Schach spielen zu können, ist eine große Herausforderung für junge Spieler, die es gewohnt sind, jeden Monat Turniere zu spielen. Vielleicht ist es aber noch spannender zu beobachten, ob und wie sich ihr Spielstil in der Zeit des globalen Lockdowns verändert hat. Denn weder Carlsen noch Caruana hatten in ihrer Jugend eine so lange Trainingsphase, ohne ein Turnier zu spielen.