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Wer war Henry Ernest Atkins?

Wer war Henry Ernest Atkins?

Silman
| 22 | Andere

Wie jeder weiß, muss jeder Profisportler täglich trainieren, um in Form zu bleiben. Im Schach ist das genauso und eine Pause von nur wenigen Monaten kann einen völlig aus dem Tritt bringen.

Deshalb ist es für mich ein Rätsel, wie Henry Ernest Atkins (geboren 1872, gestorben 1955) auf dem höchsten Level Schach spielen konnte, obwohl er doch fast seine gesamte Energie in den Mathematikunterricht steckte (er hatte bis 1890 in Cambridge Mathematik studiert, von 1898 bis 1902 am Northampton College Mathematik unterrichtet und war dann von 1909 bis 1936 Schuldirektor am Huddersfield New College).

math on board

Aufgrund seines Berufes hat er Schach immer nur als reines Hobby angesehen (er hat sich sogar fast überhaupt nicht mit Schach befasst) und oft eine mehrjährige Pause eingelegt: Von 1895 bis 1914 hat er an einer handvoll Turnieren teilgenommen und danach 6 Jahre überhaupt nicht gespielt. Von 1920 bis 1922 spielte er hin und wieder um dann erneut bis 1927 in der Versenkung zu verschwinden. 1927 nahm er an der Schacholympiade in London teil und dann....... ihr werdet es schon wissen...... machte er erneut 7 Jahre Pause. 1935 nahm er dann im Alter von 63 Jahren an der Olympiade in Warschau teil!

Henry Ernest Atkins

Atkins via Wikipedia

Ihr werdet euch jetzt fragen “Wer in aller Welt war das eigentlich und war er überhaupt gut?”

Tja. Er hat 11 mal bei den Britischen Meisterschaften teilgenommen und dabei 9 mal gewonnen!

“Ok, aber wie hat er gegen die europäischen Top-Spieler ausgesehen? Hatte er gegen die eine Chance?”

Hier ist eine Liste von Gegnern, gegen die er gespielt hat:

Jacques Mieses, Harry Pillsbury, David Janowsky, Eugene Delmar, Heinrich Wolf, Amo Burn, Jackson Showalter, Adolf Georg Olland, Curt von Bardeleben, Isidor Gunsberg, Wilhelm Cohn, William Napier, Joseph Blackburne, Frederick Yates, Edward Guthlac Sergeant, Stuart Milner-Barry, Oldrich Duras, Efim Bogoljubov, Geza Maroczy, Alexander Alekhine, Akiba Rubinstein, Savielly Tartakower, Max Euwe, Jose Capablanca, Eugene Znosko Borovsky, Richard Reti, Laszlo Szabo, Walter Michel, Petar Trifunovic, Jens Enevoldsen, Erich Eliskases, Jiri Pelikan, William Winter, Lodewijk Prins, Frank Marshall, usw.

“Diese Liste sieht ja schon beeindruckend aus, aber er hat doch sicher die meisten Partien verloren, oder?"

Überhaupt nicht. Obwohl er gegen die "Schachgötter wie Aljechin, Capablanca, Pillsbury, Reti, Bogoljubov and Euwe große Probleme hatte, hat er gegen den Rest positive Bilanzen, inklusive 2 Siege (bei 1 Niederlage) gegen Frank Marshall, einen Sieg gegen Rubinstein (in der einzigen Partie gegen ihn), einen berühmten Sieg gegen Tartakower, einen gegen Duras (ein sehr starker Großmeister) und zwei Siege bei null Niederlagen gegen Blackburne.

Er war also ganz klar ein sehr starker Spieler, aber nachdem ich mir über 100 seiner Partien angesehen habe, war ich doch etwas verwirrt. In den Büchern steht nämlich, dass Atkins ein brillanter positioneller Spieler war (einige nannten ihn sogar den "kleinen Steinitz"). Obwohl ich dann durchaus einige positionellen Ideen in seinen Partien fand, haben mich seine taktischen Fähigkeiten fast vom Hocker gerissen. Atkins schien vor nichts und niemanden Angst gehabt zu haben und wer eine Kampfpartie haben wollte, der hat sie auch bekommen. Der "kleine Steinitz"? Das finde ich überhaupt nicht.

NICHT JEDE PARTIE KANN AUFREGEND SEIN

Natürlich haben alle guten Spieler positionelle Fähigkeiten. Hier ist eine positionelle Partie, in der Atkins seinen Gegner zermalmte und seine Knochen ausspie.

Ok, das war jetzt leicht. Aber Atkins hat auch den großen Chigorin überspielt, obwohl sich der Russe noch in ein Remis retten konnte.

Anhand dieser beiden Partien könnte man jetzt meinen, dass Atkins ein ziemlich langweiliger Spieler gewesen sein muss. Das stimmt aber überhaupt nicht. Wie ihr gleich sehen werdet, hatte Atkins stets einen unsichtbaren Hammer dabei, mit dem er sehr oft auf seine Gegner einschlug.

ERÖFFNUNGEN

Schwarz

Wenn man keine Zeit hat um Eröffnungen zu studieren, entwickelt man einfach sein eigenes Repertoire und perfektioniert es (Übung macht den Meister). Diesem Grundsatz folgend beantwortete Atkins 1.e4 fast immer mit 1...e5 und wich nur selten auf 1.e4 c5 aus. Wenn Weiß mit 1.d4 eröffnete, zog Atkins 1...d5, oder, wenn er besonders Angriffslustig war: Königsindisch (1.d4 Sf6 gefolgt von ...g6 und ...Lg7).

Weiß

Mit den weißen Figuren eröffnete er ganz klassisch mit 1.e4 was zu vielen Spanischen Partien führte. Manchmal entschied er sich auch für das 4 Springer Spiel und selten das Damengambit. Bei Simultanveranstaltungen entschied er sich auf oft für das Mittelgambit (1.e4 e5 2. d4 exd4 3.c3)

Die Erfindung eines neuen Systems

Wenn man bedenkt, dass Atkins ein sehr beschränktes Eröffnungsrepertoire hatte, ist es umso interessanter, dass er im abgelehnten Damengambit einen ganz eigenen Aufbau kreiert hatte:

Viele Jahre später benutzte Emanuel Lasker diese Idee, allerdings mit einer kleinen Verbesserung:

Anand gewann sogar einen WM-Kampf gegen Topalov mit der Lasker Verteidigung:

DER WAHRE ATKINS

Jetzt ist es aber an der Zeit, euch den WAHREN Atkins vorzustellen. Setzt euch also die Taktik-Brille auf!

PUZZLE 1

PUZZLE 2

PUZZLE 3

PUZZLE 4



PUZZLE 5

PUZZLE 6



PUZZLE 7

PUZZLE 8

PUZZLE 9



PUZZLE 10

PUZZLE 11

PUZZLE 12

PUZZLE 13

Frank Marshall war 1902 ein wirklich starker Spieler und zwei Jahre später gewann er den Cambridge Springs International Chess Congress vor Emanuel Lasker mit 13 von 15 möglichen Punkten.

In dieser Partie trieb Atkins Marshall über das gesamte Brett, aber jetzt sieht alles danach aus, als ob Marshall seine Stellung stabilisiert hätte.

Atkins konnte im selben Jahr noch einmal gegen Marshall gewinnen, aber 1903 verlor er gegen den Amerikaner.

PUZZLE 14

James Mason (ein Ire, der 1905 verstarb) war laut Chessmetrics 1876 die Nummer 2 der Welt.

PUZZLE 15

Dass Weiß besser steht ist offensichtlich. Die ungleichfarbigen Läufer werfen aber die Frage auf: Um wie viel steht Weiß besser?


PUZZLE 16

Hermann von Gottschall war ein sehr starker Spieler, der bei vielen Top-Turnieren von den 1880er Jahren bis 1929 teilgenommen hat. Er starb 1933 im Alter von 70 Jahren.

PUZZLE 17

Henry Ernest Atkins wurde 1950 von der FIDE aufgrund seiner außergewöhnlichen Karriere der Titel eines Internationalen Meisters verliehen. Ich freue mich, dass er noch am Leben war und den Titel persönlich akzeptieren konnte.

Und so beende ich diesen Artikel, indem ich seinen Sieg über Tartakower zeige:

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