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Wer kann dieses Mysterium erklären?

Wer kann dieses Mysterium erklären?

Silman
| 32 | Andere

Ein Chess.com Mitglied stellte mir diese Frage:

Nach 1.c4 Sf6 2.g3 d5 3.Lg2 dxc4 5.d4 sagt mir jede Schach-Engine, dass der stärkste Zug für Schwarz wäre, sofort en passant zu schlagen (deshalb habe ich auch noch nie mit Weiß in dieser Stellung d4 gespielt). Aber in den Datenbanken findet sich keine einzige Partie, in der Schwarz diesen Bauern geschlagen hat. Was ist hier los?

JS: Sehen wir uns die fragliche Stellung einfach mal an:

Die Stellung nach 3...dxc4 kann durch verschiedene Zugfolgen entstehen und ist auch schon bei vielen Partien, von Großmeistern und Amateuren, entstanden. Die beliebtesten (und logischten) Fortsetzungen sind jetzt 4.Da4+ und 4.Sa3. Schlechtere Spieler (mit einer ELO von weniger als 2300) ziehen auch manchmal 4.Sf3, aber in hochklassigen Partien sieht man diesen Zug nur extrem selten. Trotzdem: Nach 4.Sf3 spielt Weiß trotzdem Sa3.

In Blitzpartien ist natürlich alles möglich:

Und jetzt sehen wir uns den (schrecklichen) Zug 4.d4?? an:

Geben wir ihm einen Namen. Wie wäre es mit "Ich will unbedingt Verlieren Gambit"?

In den 8 Partien, die ich in den Datenbanken gefunden habe und in denen wirklich starke Spieler mit Schwarz gespielt haben (Schwarz gewann 7 davon) spielte aber niemand 4...cxd3 e.p.

chess pawns

Was ist hier also los?

Man könnte denken, dass ALLE Titelträger (Botvinnik verlor mit Weiß gegen Geller...Geller hat nicht en passant genommen) 4...cxd3 e.p. ziehen würden. Haben wir es hier mit einem GROSSEN Mysterium zu tun? Leben wir in einer anderen Welt? Das ganze ist natürlich ziemlich verwirrend, ABER ES GIBT DAFÜR EINEN GANZ LOGISCHEN GRUND!

Dies wird euch vielleicht helfen:

 en passant schlagen ist möglich

en passant schlagen ist NICHT möglich

Wir haben hier zwei identische Stellungen, abe in einer darf man den Bauern en passant schlagen und in der anderen nicht!

Wir scheinen am Ende der Welt angekommen zu sein und müssen und wohl in Sicherheit bringen!!!

the end is nearOkay, ich habe das mehr als genug genossen (und ich gebe zu meiner Schande zu, dass ich auch verwirrt war, als ich die erste Stellung sah). Hier ist die Lösung:

Die erste Stellung und die grundlegenden en passant Regeln:

 

Falls es jemand noch nicht verstanden hat, habe ich hier ein weiteres Beispiel:

Nach den ersten 5 Zügen von Weiß (1.c4 Sf6 2.g3 d5 3.Lg2 dxc4 5.d4), greifen alle en passant Regeln: Weiß spielte 5.d2-d4 (er zieht den Bauern zwei Felder nach vorne) und der schwarze Bauer kann ihn behandeln, als ob er auf d3 stehen würde. Der Zug 5...cxd3 en passant ist also legal und gut.

Hier kann man NICHT en passant schlagen

Dieselbe Stellung kam durch eine andere Zugreihenfolge zustande: 1.d4 Sf6 2.g3 d5 3.c4 dxc4 4.Lg2

Das Rätsel ist gelöst und in Zukunft werden wir uns nicht nur eine Stellung, sondern auch wie sie zustande kam, ansehen.

Chess.com Mitglied Anita2000 schrieb:

Ich würde Dir gerne eine Partie zeigen, die ich gerade gespielt habe. Es ist eine dieser seltenen Partien, die nicht durch einen Fehler entschieden wurden (was auf meinem Level ziemlich oft passiert). Ich habe die Partie verloren, weil ich meine Bedenkzeit überschritten hatte (was mir im Schnellschach immer wieder passiert, aber ich kann einfach nicht aufhören, nach dem besten Zug zu suchen). Aber abgesehen von meiner Zeitnot hatte ich am Ende einen Bauern weniger und dachte, dass ich verlieren würde. Bei der Analyse mit den Engines, war ich überrascht, dass mein Gegner und ich ziemlich gute Züge während der Partie gemacht haben. Tatsächlich hatten sowohl Schwarz als auch Weiß, abgesehen von drei Ungenauigkeiten von Schwarz und einem (kleinen) Fehler von Weiß, vor allem ausgezeichnete bewertete Züge! Ich komme also nicht wirklich dahinter, warum ich die Partie verloren habe ... Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht wirklich in der Lage war, echten Druck aufzubauen. Hätte es für Schwarz eine bessere Strategie gegeben?

JS: Tja, es gab da schon einige kleine Fehler die deinem Gegner erlaubten, verschiedene Drohungen aufzustellen. Die Partie ist aber sehr interessant und lehrreich. Und die Tatsache, dass Caro-Kann (vor langer Zeit) meine Lieblingsöffnung war, macht diese  Partie unwiderstehlich.

Ich möchte Anita2000 für diese aufregende Partie danken. Die längsten Phasen der Partie hat Anita2000 wirklich gut gespielt. Dann kam sie aber in Zeitnot und das war ihr Untergang.

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