Wer anderen eine Grube gräbt...
Manchmal kommt es im Schach zu folgender Situation: Ein Spieler stellt seinem Gegner eine Falle und wartet gespannt darauf, ob dieser darauf hereinfällt. Leider ist dies aber nicht der Fall und der Gegner entdeckt nicht nur die Falle, sondern auch noch ein Loch darin und schon wird der Jäger wird zum Gejagten!
Hier ist ein gutes Beispiel dafür. In der folgenden Partie ließ Magnus Carlsens Gegner seinen Zentrumsbauern bereits im vierten Zug ungedeckt! Kann der Weltmeister das Geschenk annehmen?
Wenn der Gegner ein Großmeister mit einer Elo von weit über 2700 ist, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er einen derartigen Anfängerfehler macht. Außerdem ist diese Eröffnungsfalle wohlbekannt und Carlsen hat den Bauern natürlich nicht geschlagen und die Partie gewonnen:
Bereits vor 13 Jahren habe ich einen Artikel geschrieben, in dem ich erwähnte, dass Weiß, selbst wenn er in diese Falle tappt, immer noch eine eigene Falle aufstellen kann:
Ich schrieb aber auch, dass wenn Schwarz statt des gierigen Zuges 6...cxb5?? was ein Schachmatt im nächsten Zug erlaubt, 6...d5! spielt, er immer noch eine Figur gewinnt. Mein Punkt war also, dass Weiß, obwohl er in eine Falle getappt ist, eine eigene Falle aufstellen kann, die Schwarz mit 6...d5 vermeiden muss! Die stets aufmerksamen Chess.com-Leser wiesen mich damals natürlich sofort darauf hin, dass ich jetzt selbst in eine Falle getappt bin! Der Zug 6...d5 verdient nämlich ein Fragezeichen und kein Ausrufezeichen! Könnt Ihr sehen, warum?
Um eine Figur zu gewinnen, sollte Schwarz also 6...d6 spielen und nicht 6...d5 spielen!
Ich bin sicher, dass sich viele von Euch noch an die bekannte "Wettkampf des Geistes" Szene aus dem alten Klassiker Die Braut des Prinzen erinnern.
Vizzinis letzte Worte waren: "Lass Dich nie auf einen Kampf mit einem Sizilianer ein, wenn es um Leben und Tod geht!" Eine Schachversion seiner Aussage wäre wahrscheinlich: "Versuche niemals, Mikhail Tal mit einer Taktik auszutricksen!" Der Magier von Riga liebte es sogar, in eine Falle seines Gegners zu "tappen", nur um dann eine unerwartete Idee zu demonstrieren, die den Spieß komplett umdreht. Die nächste Partie ist ein gutes Beispiel dafür.
In der folgenden Stellung fragte sich Tal: "Wie konnte mein sehr starker Gegner die einfache Kombination beginnend mit 27...Sxe2 nicht sehen und eine Qualität einstellen? Natürlich hat er schnell die Falle entdeckt und dann eine Widerlegung gefunden. Vergleicht Euch mit Tal. Könnt Ihr die Idee von Weiß finden und auch, wie Tal es geschafft hat, sie zu widerlegen?
Ein ganz ähnlicher "Wettkampf des Geistes" ereignete sich letzte Woche beim FIDE Grand Prix in Belgrad. Super GM Alexander Grischuk ließ seinen Springer auf e6 ungedeckt. Was passiert, wenn Schwarz das Geschenk annimmt?
Das war leicht, oder? Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Grischuk wirklich gehofft hat, dass sein extrem starker Gegner darauf hereinfallen würde. Aber beim Schach weiß man nie. Ich erinnere mich, dass ich meinen Augen nicht traute, als GM Alexei "Feuer am Brett" Shirov auf einen ganz ähnlichen Trick hereinfiel:
Kommen wir zurück zur Partie von Grischuk. Natürlich hat GM Dmitry Andreikin kein Matt in zwei Zügen übersehen. Stattdessen entdeckte er ein verstecktes Loch in Grischuks Idee. Könnt Ihr es finden?
Schwarz verwandelte seinen Materialvorteil dann schnell in einen Sieg:
Wenn Ihr also das nächste Mal bemerkt, dass Euch Euer Gegner eine Falle stellt, dann denkt an diesen Artikel und versucht, ein Loch in der Idee Eures Gegners zu finden - genau wie Tal und Andreikin getan haben!