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Vladimir Kramnik: Der Weg zur WM

Vladimir Kramnik: Der Weg zur WM

Gserper
| 49 | Schachspieler

In meinem letzten Artikel habe ich Euch erzählt, wie aus dem FIDE Meister Vladimir Kramnik einer der besten Spieler der Welt wurde.

Im Jahr 1993 wurde es dann aber offiziell: Kramnik wurde der Herausforderer um dem WM-Titel.

Wieder spielten wir gemeinsam bei vielen Turnieren. Zuerst beim traditionellen Super-Turnier in Dortmund, wo wir beide nur jeweils eine Partie gewinnen konnten. Trotzdem wurde Vladimir hinter Anatoly Karpov Zweiter und ich wurde nur Vorletzter.

Der kleine aber feine Untschied waren die Verlustpartien. Kramnik verlor keine einzige Partie, während ich 3 Niederlagen zu beklagen hatte.

Vladimir Kramnik. Photo: Maria Emelianova / Chess.com
Vladimir Kramnik. Foto: Maria Emelianova / Chess.com

Hier ist die einzige Partie, die Kramnik bei diesem Turnier gewinnen konnte:

Wieder einmal hatte ich Schwarz und wieder einmal hatte ich Probleme, aus der Eröffnung zu kommen. Gegen Kramniks kraftvolles Spiel war dies schon entscheidend.

Wie ich schon in diesem Artikel erklärt hatte, hätte ich auch schon früher aufgeben können. Lustigerweise gewann ich dann meine einzige Partie in diesem Turnier durch die Idee, die mir Kramnik vor einem Jahr erklärt hatte. Irgendwie hat Kramnik also eigentlich 2 Partien in diesem Turnier gewonnen.

Kramnik wurde in Dortmund von seiner wirklich schönen Freundin aus der Tschechoslowakei begleitet und als ich dieses Paar sah, dachte ich mir: "Er ist ein großer, gutaussehender Mann, der eine hübsche Freundin hat und tierisch gut Schach spielt. Kann man sich eigentlich noch mehr wünschen?"

Hier ist ein Bild von Kramnik, das bei diesem Turnier aufgenommen wurde:

Danach trafen wir uns bei der Mannschafts-WM wieder. Und welch einen Unterschied ein einziges Jahr machen kann!

1992 schaffte es Kramnik gerade so in die russische Mannschaft und jetzt spielte er bereits an Brett 1! Wir trafen in der 6. Runde aufeinander, aber bis es soweit kam war klar, dass Kramnik nicht in Bestform war. Besonders gegen Gata Kamsky sah er ziemlich hilflos aus:

Es war das erste Mal, dass ich gegen den "Großen Vlad" Weiß hatte und ich dachte, es wäre vielleicht die letzte Chance, ihn zu besiegen. Die Zeit arbeitete ja für Kramnik, denn er wurde praktisch jeden Tag stärker und ich konnte mir ausmalen, dass ich in einigen Jahren nur noch davon träumen konnte, gegen ihn zu gewinnen.

Während unserer Mannschaftssitzung erklärte ich diese Überlegung meinem Kapitän und den restlichen Mitgliedern meiner Mannschaft. Leider wurde mir aber gesagt, dass ich auf ein Remis spielen sollte. Ich erklärte erneut, dass ich ja Weiß hätte und Kramnik nicht in Bestform war, aber die Antwort kam in Form eines Zitats von Tal: "Form ist Form, aber Kramnik ist Kramnik" und ich bekam sogar einen Satz zu hören, den auch schon GM Alburt zu hören bekam: ""Sch...ß auf Weiß und spiel einfach auf Remis, OK?"

Also spielte ich am nächsten Tag ein paar solide Züge und hatte mein Remis.

Nachdem Garry Kasparov 1993 aus der FIDE ausgetreten war, wurde die Professional Chess Association (PCA) gegründet. Eines der Ziele dieses neuen Verbandes war es, einen neuen Weltmeisterschaftszyklus zu schaffen und im Dezember 1993 fand das Qualifikationsturnier dafür statt.

Die besten 8 Spieler sollten gegeneinander antreten und den Herausforderer von Kasparov küren.

Kramnik qualifizierte sich ohne große Mühe und diese Partie gefällt mir besonders:

In der letzten Runde traf Kramnik auf einen Spieler, der einige Jahre später ebenfalls für Furore sorgen sollte. Hier reichte aber beiden künftigen Superstars ein Remis für die Qualifikation:

Den Stammlesern dieser Kolumne sollte die Schlussstellung eigentlich bekannt vorkommen. 

Für mich lief das Turnier weniger erfolgreich. Ich glaube, es reicht, wenn ich sage, dass ich Kramniks Idee gleich zweimal in diesem Turnier misshandelt habe!

Zuerst übersah ich in Zeitnot einen einfachen Gewinn:

Und dann wurde ich auch noch vom Brett gefegt:

Als Kramnik ein Kandidat für den Weltmeistertitel wurde, begann ein neues Kapitel in seiner Karriere. Zuerst will ich aber noch die Gründe für Kramniks kometenhaften Aufstieg von einem FIDE-Meister zu einem WM-Herausforderer in nur anderthalb Jahren zusammenfassen.

Es war offensichtlich, dass Kramnik ein enormes Schachtalent hatte. Bei meinen Jugendturnieren haben mich drei Spieler wirklich beeindruckt und ich hatte keinen Zweifel daran, dass alle drei Weltmeister werden würden.

Bei Kramnik und Vishy Anand hatte ich Recht und nur bei Vassily Ivanchuk lag ich daneben.

Natürlich könnte man jetzt sagen, dass jeder Spieler, der so talentiert ist wie Kramnik, zwangsläufig zu einem der besten Spieler der Welt werden wird, aber das wäre falsch. Kramniks rasanter Aufstieg ist auch seinem Fleiß geschuldet. Dazu möchte ich das Vorwort von Mikhail Botvinnik in Kasparovs Buch The Test Of Time erwähnen:

"1950 sagte [GM] Levenfish, dass die Vorbereitung eines Spielers den Stellenwert der Improvisation und des allgemeinen schöpferischen Elementes des Schachspiels verringern würde. [...] die Wahrheit liegt aber auf dem Brett und es ist eine Tatsache, dass eine gute Vorbereitung zu einer Verbesserung der praktischen Wettbewerbsergebnisse führt. So arbeitet Garry Kasparov. Wir wünschen ihm viel Erfolg und hoffen, dass ihm noch viele junge Meister folgen werden!"

Meiner Meinung nach hat Kramnik diesen Ansatz übernommen und sogar weiterentwickelt. Genau wie Botvinnik und Kasparov vor ihm änderte Kramnik die Sichtweise der Schachspieler auf viele Eröffnungssysteme. In dieser Serie habe ich viele meiner Partien gezeigt, bei denen ich Kramniks Konzept in der Englischen Eröffnung, das er mir in etwa 10 Minuten erklärt hatte, verwendet habe.

Ich habe dieses Konzept während meiner gesamten Schachkarriere gemolken. In einem älteren Artikel habe ich einmal einen Trick erklärt, mit dem man Eröffnungen besser verstehen kann und auch diesen Trick habe ich von Kramnik gelernt. Da könnt Ihr Euch sicher vorstellen, wie viele Ideen er im Laufe seiner Karriere für sich selbst entwickelt hat!

Die modernen Spitzenspieler verbringen die meiste Zeit vor ihren Computern, sodass das menschliche Element des Spiels häufig verloren geht. Kramnik war einer der letzten Riesen aus dem Prä-Computer-Zeitalter, der es geschafft hat, den Ansatz der alten Schule mit modernen computerunterstützten Eröffnungsvarianten zu verbinden.

Deshalb ist Kramniks Rückzug vom klassischen Schach für mich auch das Ende einer Ära.

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