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So spielt man Schach wie ein Computer

So spielt man Schach wie ein Computer

Gserper
| 93 | Taktiken

Ich weiß, dass viele von Euch beim Lesen des Titels dieses Artikels geschmunzelt haben. Ihr habt wahrscheinlich gedacht: "Will uns Serper jetzt wirklich beibringen, wie man wie ein Computer spielt? Kann er denn eigentlich selbst wie ein Computer spielen?“ Die Antwort ist ziemlich offensichtlich. Nein, ich kann natürlich nicht wie ein Computer spielen. Nicht einmal annähernd! Wenn ich das könnte, würde ich ja gegen Magnus Carlsen um die Weltmeisterschaft spielen und nicht diesen Artikel schreiben. Dennoch bin ich mir absolut sicher, dass die Lesen dieses Artikels dazu beitragen wird, Euer Schach zu verbessern, oder dass Ihr zumindest die wahre Tiefe und Schönheit des Schachs besser schätzen werden. Jetzt aber genug der Umschweife. Fangen wir an!

Das ist eine Stellung aus dem letzten Tata Steel Turnier. Wer kann den erzwungenen Gewinn finden?

Lasst Euch aber nicht entmutigen, wenn Ihr die Lösung nicht finden konnte. Auch die starke russische Internationale Meisterin (IM) Polina Shuvalova konnte ihn nicht finden. Sie hat diese Partie sogar verloren:

Und jetzt versucht mal, den Gewinn in dieser Stellung zu finden:

Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle Spieler mit einem Rating über 1600 keine großen Probleme mit dieser Aufgabe hatten. Aber jetzt denkt mal nach: Alles, was Ihr in der ersten Stellung opfern musstet, war ein Turm. Und dennoch war die Aufgabe unglaublich schwierig zu lösen. Die zweite Aufgabe hingegen war für die meisten von Euch ein Kinderspiel, obwohl Weiß hier viel mehr opfern musste (eine Dame und einen Turm).

Die Erklärung dafür ist sehr einfach: Wir alle sind darauf trainiert, etwas mit einem Schach zu opfern. Es gibt buchstäblich Tausende von Kombinationen, die dem allgemeinen Muster folgen: Wir opfern mit einem Schach, dann geben wir ein paar weiteren Schachs und dann ein Schachmatt. In der Tat ist es sehr intuitiv, denn wenn wir ein Schach geben, haben wir ein Gefühl der Kontrolle über die Partie und psychologisch gesehen rechtfertigt das ein Opfer.

Polina Shuvalova
Polina Shuvolova. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Die erste Aufgabe erforderte jedoch, dass wir einen Turm opfern und der Gegner dabei sogar noch ein Schach gibt! Für die meisten menschlichen Spieler ist das bereits ein Signal, nach einem anderen Zug zu suchen. Sobald wir sehen, dass ein Gegner die geopferte Figur schlagen UND ein Schach geben kann, hören wir normalerweise auf zu rechnen. Das ist der Hauptgrund, warum solche Kombinationen sehr schwer zu finden sind. Wenn wir es jedoch schaffen, über den Tellerrand hinauszublicken, sind die resultierenden Kombinationen normalerweise wunderschön. Wer wird den folgenden verrückten Königszug von GM Denis Khismatullin je vergessen?

Die meisten von uns hätten über den Zug 44.Kg1!! nicht ernsthaft nachgedacht. Selbst wenn wir die Idee gesehen hätten, hätten wir gedacht: "Nein, das kann nicht funktionieren." Und das ist der Hauptunterschied zwischen Menschen und Computern. Computer analysieren per Definition alle legalen Züge und können daher eine solche Idee einfach nicht übersehen. Wir hingegen haben unsere Vorurteile, die uns manchmal davon abhalten, einen Zug ernsthaft zu analysieren, selbst wenn er recht vielversprechend aussieht.

Hier ist ein weiteres Beispiel vom Tata Steel-Turnier. Könnt Ihr den besten Weg finden, um den Angriff von Weiß fortzusetzen?

Es übersteigt offensichtlich die menschlichen Fähigkeiten, die ganze Zugfolge, die zu einem Sieg führt, zu finden. Deshalb kann man Jorden van Foreest keinen Vorwurf machen, weil er sie verpasst hat. Er konnte die Partie aber dennoch mit einer schönen Kombination stilvoll beenden:

Jetzt möchte ich Euch auf eine sehr wichtige Tatsache hinweisen. Obwohl die Spieler in beiden Partien die Computer Fortsetzung nicht gefunden hatten, haben sie später genau dieselbe Idee ausgeführt! IM Shuvalova verpasste das Turmopfer im 20. Zug, aber sie spielte 24.g4 und bot vier Züge später genau das gleiche Opfer an. GM van Foreest spielte zwar nicht 15. Txf6, brachte aber einen Zug später genau das gleiche Opfer. Das beweist eindeutig, dass die Spieler die goldene Gelegenheit nicht einfach übersehen haben, sondern dass sie sie aufgrund psychologischer Faktoren einfach verworfen haben.

Shuvalova entschied sich erst für das Turmopfer, als ihre Stellung hoffnungslos wurde und sie im Grunde nichts mehr zu verlieren hatte. Leider musste ihr Gegner in dieser Situation das Opfer nicht akzeptieren (was allerdings die Partie für Schwarz verloren hätte). Stattdessen festigte er in aller Ruhe die Stellung und verwandelte seinen materiellen Vorteil. GM van Foreest verpasste das Opfer beim ersten Mal, weil es nach zu viel schien, den ganzen Turm aufzugeben. Tatsächlich sah seine Stellung sehr vielversprechend aus. Warum also ein zusätzliches Risiko eingehen? Gleich im nächsten Zug opferte er jedoch nur eine Qualität (nicht den ganzen Turm!) und gewann die Partie souverän.

Jorden van Foreest
Jorden Van Foreest. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ich hoffe, dass Euch diese Beispiele beweisen, dass wir zwar oft die besten Computerzüge sehen, sie aber aufgrund unserer Vorurteile und anderer psychologischer Faktoren verwerfen. Um wie ein Computer zu spielen, solltet Ihr aber Eure Emotionen und Vorurteile unterdrücken und einfach weiterrechnen, bis ihr zu einem klaren Ergebnis kommt. Um fair zu sein, ist aber selbst dieser Ansatz keine Garantie dafür, dass Ihr die Gewinnvariante finden werdet, denn manchmal sind einer zu viele "Computerzüge" erforderlich. In diesem Fall müsst Ihr den einzigen Vorteil nutzen, den wir gegenüber Computern (noch) haben: Unsere Intuition. Schließlich ist ja Mikhail Tal genau so Weltmeister geworden!

Wenn Ihr also ein Opfer entdeckt, das sehr verlockend und wirklich verführerisch aussieht, dann lehnt es nicht einfach nur ab, weil es zu riskant aussieht oder nicht in das typische Muster passt. Berechnet es so gut Ihr könnt und wenn Ihr keine Widerlegung findet, dann opfert einfach! Auch wenn es sich hinterher als Fehler herausstellen sollte, werdet Ihr so zumindest mehr Freude am Spiel haben. Ist das nicht genau der Grund, warum wir alle überhaupt Schach spielen?

Wollt Ihr diese Tipps gleich ausprobieren? Versucht sie doch in der Players League anzuwenden!

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