So baut man eine Eröffnungsfalle auf
Im Zeitalter von ChatGPTs und KI-basierten Empfehlungsalgorithmen, die alles (oder fast alles) wissen, empfahl mir ein YouTube-Algorithmus Videos von einem Arzt, der behauptet, die meisten Gesundheitsprobleme mit einem ganz einfachen Rezept heilen zu können.
"Sie müssen täglich vier Eier essen", behauptet dieser Arzt. "Sie erhalten alle notwendigen Nährstoffe und Vitamine." Ich bin zwar jetzt kein Experte in Medizin, aber wie die meisten Menschen, die regelmäßig "OK Boomer" zu hören bekommen, weiß ich etwas über Cholesterin. Daher hatte ich meine Zweifel an der Empfehlung, vier Eier pro Tag zu verzehren. Eine schnelle Google-Suche bestätigte meine Zweifel.
Der Typ, der sich Arzt nannte, war eigentlich kein Arzt, sondern ein Vollzeit-Youtuber, der mit seinen Gesundheitsvideos jede Menge Geld verdient hat. Echte Ärzte lachen wahrscheinlich über solche Videos, aber für Leute wie mich ist es sehr schwierig, gute Ratschläge von schlechten oder sogar schädlichen Ratschlägen zu unterscheiden.
Immer wenn ich ein Schachvideo auf YouTube sehe, erinnere ich mich immer an diesen Pseudo-Doktor mit den "vier Eiern". Woher soll ein Schachanfänger wissen, ob ein Video gut oder totaler Mist ist? Wir haben aber eine Sache im Schach, die Ärzte nicht haben: Titel und Elo-Zahlen! Deshalb sollte man eigentlich denken, dass Videos, die von Titelträgern mit einer starken Elo produziert wurden, die meisten Menschen anziehen würden.
Während dies bei YouTube-Stars wie Hikaru Nakamura oder Levy Rozman (a.k.a. Gothamchess) durchaus zutrifft, ist das aber nicht immer der Fall. Es gibt da zum Beispiel einen Typen auf YouTube, der Videos produziert, von denen er behauptet, dass sie einen schnellen Gewinn garantieren. Hier ist ein gutes Beispiel für eine seiner Empfehlungen:
Das ist keine Übertreibung. Alle seine Videos basieren darauf, dass der Gegner auf fast jeden einzelnen Zug auf die schlechteste Weise reagiert. Ihr solltet aber die Kommentare unter seinen Videos sehen! Die Leute sind absolut begeistert und schreiben, dass sie es kaum erwarten können, bis sie ihre Gegner mit diesen Fallen fangen können.
Diese Videos sind auch wahnsinnig beliebt: Dieser Typ hat über 180.000 Abonnenten und diese spezielle Falle hat über 30.000 Aufrufe und über 2.000 Likes. Ich erinnere mich an eine große Diskussion in einem Schachforum, wo sich starke Titelträger darüber aufregten, dass sie nicht einmal ein Zehntel der Abonnenten haben, die dieser Typ hat. Der mittlerweile verstorbene Großmeister Stanislav Bogdanovich erklärte ihnen scherzhaft, dass sie einfach Inhalte produzieren, die zu "hochwertig" seien und schlug ihnen diese Falle vor:
Ich liebe diese Ironie, weil sie zwei Hauptmerkmale solcher Videos unterstreicht: Versprechungen eines "schnellen und garantierten Gewinns" und furchtbare, absolut unrealistische Züge des Gegners.
Wenn man beispielsweise wie im ersten Beispiel eine Eröffnungsfalle mit einem erstickten Matt zeigen möchte, warum verwendet man dann nicht eine bekannte und realistische Eröffnungsfalle wie diese:
Das wichtigste Merkmal einer Eröffnungsfalle ist einfach, wie wahrscheinlich die Züge des Gegners sind. Ein gutes Beispiel dafür sind zwei der kürzesten Schachmatts: Das Schäfermatt und das Narrenmatt.
Das Schäfermatt bekommt man bei jedem Anfängerturnier zu sehen und ich bin mir sicher, dass Ihr irgendwann auch schon darauf hereingefallen seit (ich bin es auf jeden Fall!). Ein Narrenmatt hingegen habe ich in meinem ganzen Leben noch nie in einer echten Partie gesehen. Die Erklärung dafür ist ganz einfach: Während beim Schäfermatt die Züge von Schwarz sehr natürlich und daher sehr wahrscheinlich sind, spielt eben nur ein ganz besonderer Dummkopf die Züge 1.f3 gefolgt von 2.g4. Wenn Ihr also eine Eröffnungsfalle vorbereitet, müsst Ihr Euch fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Euer Gegner die Züge spielt, von denen Ihr hofft, dass er sie spielt. Ich habe diese einfache Logik im Alter von acht Jahren erlernt.
Als ich mit dem Schach angefangen habe, habe ich viel gegen meinen Vater gespielt und der mich immer wieder geschlagen. Ich weinte, aber versuchte es immer wieder. Dann fand ich in einem meiner ersten Schachbücher für Anfänger die folgende berühmte Partie:
Das hat mir so richtig gefallen und ich beschloss, meinen Vater in der nächsten Partie in diese Falle zu locken. Als mich mein Vater fragte, mit welcher Farbe ich spielen möchte, versuchte ich so beiläufig wie möglich zu klingen und sagte, dass ich ja meistens mit Weiß spielen würde und es deshalb nur fair wäre, wenn ich diesmal mit Schwarz spielen würde. Mein Vater spielte 1.d4 und mein Herz begann schneller zu schlagen, da ich das Gefühl hatte, schon so gut wie gewonnen zu haben! Nachdem ich 1...Sf6 gespielt hatte, antwortete mein Vater aber leider mit 2.Sf3. Ich wollte aber nicht so leicht aufgeben und sagte ihm, dass die wahren Meister hier 2.Sd2 spielen. Um Papa zu überzeugen, zeigte ich ihm sogar die ersten Züge der Partie aus dem Buch und deckte den Rest der Partie geschickt mit meiner kleinen Hand ab. Ich sagte: "Schau her. Das wurde bei der Pariser Meisterschaft gespielt. Das muss also ein guter Zug sein."
In Wirklichkeit ist diese Partie aber ein Scherz und wurde nie und schon gar nicht bei der Pariser Meisterschaft gespielt, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Ich wurde aufgewühlt und um mich zu beruhigen spielte mein Vater 2.Sd2. Ich spielte 2...e5 und als er den Bauern mit 3.dxe5 schlug, antwortete ich mit 3...Sg4. Ich war sehr aufgeregt, denn alles lief nach Plan. Dann spielte mein Vater aber statt des dämlichen Zuges 3.h3 den absolut logischen Zug 4.Sgf3. Ich habe dann noch versucht, meinen Vater davon zu überzeugen, dass er 4.h3 spielen sollte, weil diesen Zug ja auch ein Meister gespielt hat, aber er ließ sich nicht überzeugen und sagte: "Warum soll ich Deinen Springer dazu zwingen, meinen eben gewonnen Bauern zurückzuschlagen, wenn ich ihn doch auch einfach decken kann?" Auf diese einfache und sehr logische Frage hatte ich keine Antwort und deshalb habe ich wieder einmal verloren.
Hier habe ich einige Eröffnungsfallen für Euch, die im Sinne der Wahrscheinlichkeit auch wirklich oft auftreten können.
1) Der Fried Liver Angriff (bzw. der Fegatello-Angriff). Da alle Züge von Schwarz sehr natürlich sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie auch wirklich zuschnappt. Auch ich bin bei einem meiner ersten Turniere darauf hereingefallen:
Das Gute an dieser Falle ist die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie auch wirklich eintritt. Das Schlechte ist, dass, selbst wenn Euer Gegner darauf hereinfällt, die Partie noch nicht gewonnen ist.
2) Die Damiano Verteidigung. Nach den Partien meiner Schüler zu urteilen, ist diese Falle auf chess.com unglaublich beliebt. Wenn Euer Chess.com-Rating also unter 1000 liegt, ist die Frage nicht ob, sondern wann Ihr jemanden mit dieser Falle erwischt. Hier ist eine Partie von einem meiner Schüler:
3) Die Nachahmerfalle. Dies ist eine weitere sehr beliebte Falle und in einer meiner allerersten Partien bin ich selbst darauf hereingefallen. Die ganze Geschichte habe ich in diesem Artikel erzählt.
Schreibt doch Eure liebsten Eröffnungsfallen in die Kommentare. Lasst uns unsere kleine Sammlung von Eröffnungsfallen, die auch mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten, erstellen!