Sind schechte Eröffnungen gut für Dein Schach?
In früheren Artikeln haben wir uns angesehen, warum manche Spieler absichtlich schlechte Eröffnungen spielen und wie man mit solchen Eröffnungen umgehen sollte.
Sind solche Eröffnungen aber wirklich so schlecht, wie sie aussehen? Die Antwort auf diese Frage scheint auf der Hand zu liegen, aber in Wahrheit ist sie nicht ganz so einfach zu beantworten. Ich gebe Euch ein Beispiel:
Es wurden erst 5 Züge gespielt und Schwarz hat bereits eine Menge erreicht: Er ist schlecht entwickelt, hat den Kampf um das Zentrum verloren und eine Rochade auf den Königsflügel ist schon so gut wie unmöglich!
Sehen wir uns eine andere Stellung an, die aus der gleichen Eröffnung entstand:
Hier hat es Schwarz geschafft, bereits im 9. Zug sein Rochaderecht zu verlieren!
Wie viele Punkte würde Ihr wohl mit Schwarz holen, wenn Ihr diese Stellung gegen "vernünftige Gegner" spielen müsstet? Wahrscheinlich Null, oder?
Was wäre aber, wenn diese 3 Gegner die Super-Großmeister Alexander Grischuk, Sergey Karjakin und Alexander Morozevich wären und ich behaupte, dass Schwarz alle dieser 3 Partien gewonnen hat?
Und Schwarz war weder AlphaZero, noch ein anderes Schachprogramm oder Magnus Carlsen!
Hier sind die 3 Partien:
Kann es jetzt sein, dass wir hier eine Eröffnung entdeckt haben, die nur schlecht aussieht, aber in Wahrheit wirklich gut ist? Keinesfalls! Ihr könnt mir glauben, dass diese Variante sehr fragwürdig ist!
Bei meiner ersten Junioren-Weltmeisterschaft habe ich eine etwas konservativere Variante dieser Eröffnung ausprobiert (zumindest habe ich es geschafft zu rochieren) und musste lange leiden, bevor ich mich in ein Remis retten konnte:
Meiner Meinung nach lassen sich zwei der drei Ergebnisse der oben genannten Spiele durch den verwegenen Stil von Evgeniy Najer erklären. Und für alle, denen der Namen dieses starken Großmeisters kein Begriff ist: Er gewann zwei Jahre hintereinander die World Open (2008 und 2009) und die Europameisterschaft 2015.
Andere erinnern sich vielleicht an seinen Namen wegen seines vor kurzem gespielten Meisterwerks beim FIDE Chess.com Grand Swiss 2019.
Najer hat ein Genie wie Vishy Anand einfach überrechnet. Wie hat er das nur geschafft? Die Antwort findet sich in den Partien aus seiner Jugend, denn in den meisten dieser Partien spielte er ungewöhnliche Eröffnungen
Die meisten Spieler wollen ja mit Schwarz nur Ausgleich erzielen. Najer hatte da eine ganz andere Strategie. Er stellte sich ganz freiwillig an den Beckenrand, wo jeder falsche Zug eine Katastrophe bedeutet hätte, aber wenn ihm seine Gegner den Todesstoß versetzen wollten, verloren sie oft selbst die Balance und stürzten selbst in das kalte Wasser!
Da sich Najer ständig in solchen Situationen wiederfand, entwickelte er unglaubliche taktische und kreative Fähigkeiten. Irgendwie erinnert mich das an die alte sowjetische Weisheit: "Die Armee ist eine Schule fürs Leben." Im Gegensatz zu den meisten sowjetischen Weisheiten ist diese absolut Wahr und keine reine Propaganda. Wer die sowjetische Armee überlebt, wird überall überleben!
Falls Ihr Euch jetzt wundert, was Ihr mit Weiß gegen diese dubiose Eröffnung machen sollt, gibt Euch die nächste Partie vielleicht eine Idee. Alexander Morozevich versuchte nämlich ebenfalls sein Glück mit Najers Variante und zahlte ein hohes Lehrgeld dafür:
Ich will Euch jetzt nicht empfehlen, zweifelhafte Eröffnungsvarianten zu spielen, aber wie Ihr seht, haben diese auch einige Vorteile!