Schlachten mit verbundenen Augen
In meinem letzten Artikel ging es darum, wie George Koltanowski langsam besser und besser wurde und wie sich seinen Spielstil im Laufe der 1920er Jahre von langsam und langweilig in dynamisch und aggressiv verwandelte. Obwohl er zu dieser Zeit ein starker Spieler war, waren seine Leistungen mit verbundenen Augen viel besser!
Ich hatte lange gedacht, dass François Philidor der erste war, der gleichzeitig zwei oder drei Partien mit verbundenen Augen gespielt hat. Blindschach wurde jedoch in Arabien, Persien, Griechenland, Italien und sogar in Spanien schon weit früher gespielt. Laut Muhammad bin Omar Kajina gab es im 16. Jahrhundert gleich mehrere Spieler, die gleichzeitig vier oder fünf Partien mit verbundenen Augen gespielt hatten.
Nach Philidor (er starb 1795) war Alexander McDonnell der beste englische Spieler und zugleich ein sehr starker Blindspieler (McDonnell starb 1835). Ein berühmtes Zitat von McDonnell ist der Witz, dass "die einzigen Dinge, die das Schachspiel verderben, das Brett und die Spieler sind."
George Koltanowski. Photo via Wikipedia.
Da es viele Möglichkeiten gibt, Blindschach zu spielen, wurden schließlich bestimmte Grundregeln eingeführt. Das sagte Koltanowski über Blindschach-Veranstaltungen:
Lassen Sie mich erklären, wie ein Blindschach-Simultan abläuft. Ich sitze mit dem Rücken zu den Spielern und sage meinem Assistenten, der von Brett zu Brett geht und die Züge für mich ausführt, meine Züge. Er sagt mir auch die Züge meiner Gegner. Ich antworte darauf so schnell wie möglich. Ich sehe kein Schachbrett und schreibe mir nichts auf. Das ist pure Vorstellungskraft. Ich bin der König der Erinnerung und mein Gedächtnis ist so weit entwickelt, dass ich jetzt jeden Tag 15 Partien gleichzeitig spielen kann, ohne eine Belastung zu spüren.
Schließlich überboten sich die Schachgötter unter Verwendung dieser Regeln mit Rekorden!
- Morphy (in New Orleans) = 8 Partien, 1858
- Zukertort (London) = 16 Partien, 1876
- Pillsbury (Moskau) = 22 Partien, 1901
- Reti (Haarlem) = 24 Partien, 1919
- Breyer (Kaschau) = 25 Partien, 1921
- Alekhine (New York) = 26 Partien, 1925
- Alekhine (Paris) = 28 Partien, 1925
- Alekhine (Chicago) = 32 Partien, 1934
- Reti (Sao Paulo) = 29 Partien, 1925
- Koltanowski (Antwerpen) = 30 Partien, 1931
- Koltanowski (Edinburgh) = 34 Partien, 1937
- Najdorf (Argentinien) = 40 Partien, 1939
- Najdorf (Sao Paulo) = 45 Partien, 1947
- Marc Lang (Deutschland) = 46 Partien, 2011
- Timur Gareyev (Las Vegas) = 48 Partien, 2016
Schließlich sollte ich noch Janos Flesch erwähnen, der 1960 in Budapest 52 Blindpartien gleichzeitig gespielt hat. Sein Rekord wurde aber nicht anerkannt, da er sich während der Partien die Partieformulare ansehen durfte.
In meinem ersten Artikel über Koltanowski habe ich nur über seine Turnierpartien und nicht über sein Blindschach geschrieben. Kolty spielte aber nicht nur Turnierschach. Es war auch ein ausgezeichneter Blindschachspieler. Zuerst hatte er es nur zum Spaß ausprobiert, aber ab 1921 wurden er und ein paar seine Freunde richtig süchtig.
Das sagt Koltanowski selbst dazu:
Wir spielten den ganzen Tag Blindschach, egal wo wir waren oder was wir taten. Beim Tanzen, Wandern, in Bussen und in Zügen. Wo immer zwei von uns waren, begannen wir eine Blindpartie. Und überall in Antwerpen schüttelten die Leute ihre Köpfe, wenn sie uns reden hörten.
Ein Jahr später spielte ich 16 Partien simultan, ohne dabei die Bretter zu sehen, was einen neuen belgischen Rekord darstellte. Als ich 1924 in der belgischen Armee war, spielte ich 20 Partien in Naur. Es war eine Art Ablenkung, weil ich den ganzen Tag nichts zu tun hatte, außer zwei Stunden Kartoffeln zu schälen.
Hier sind einige von Koltanowskis besten (oder unterhaltsamsten) Blindpartien. Übrigens: Immer wenn Ihr den Namen "Mynheer X" oder "Senor X" lest, bedeutet das, dass Kolty den Namen seines Gegners nicht kannte.
Partie 1:
Partie 2:
Partie 3:
Partie 4:
Hier spielte Schwarz sehr gut mit, aber ein Fehler gab Kolty die Chance, auf die er gewartet hatte.
Partie 5:
Kolty: “Diese Partie wurde bei einer Simultanveranstaltung, bei der ich gegen 8 Beratungsteams, die aus jeweils 2 Spielern bestanden, gespielt habe." Vergesst nicht, dass Kolty auch hier blind gespielt hat, während seine Gegner die Bretter sehen konnten.
Partie 6:
Partie 7:
Partie 8:
Partie 9:
Kolty genoss diese Partie und schrieb ausführliche Kommentare dazu. Sowohl die Partie als auch die Kommentare werden Euch gefallen!
Partie 10:
Partie 11:
Partie 12:
Partie 13:
Partie 14:
Partie 15:
Kolty: “Bei der 1937er Tour habe ich eine Art Weltrekord aufgestellt. Ich spielte in 26 Tagen 26 Simultanturniere in 26 verschiedenen Städten. Jede Nacht gegen 10 Spieler. Von den 260 Partien habe ich 94% gewonnen. Mit diesem Ergebnis kann ich mit den besten Spielern der Welt mithalten!”
Partie 16:
Partie 17:
Partie 18:
Koltanowski, der in ganz Europa und Südamerika Abenteuer erlebt hatte, zog 1947 für immer nach San Francisco, wo er im Jahr 2000 im Alter von 96 Jahren starb.