Schachpartien, die uns zum Weinen bringen
Ich glaube nicht, dass es einen Schachspieler gibt, der nach einer verlorenen Partie noch nie geweint hat. Irgendwann wurde sicher schon jeder von seinen Gefühlen überwältigt.
Warum aber weinen Schachspieler? Normalerweise ist es nicht die Partie selbst; es ist das Gefühl von Ungerechtigkeit und enttäuschten Erwartungen.
Ein gutes Beispiel dafür ist eine Geschichte, die ich vor etwa 20 Jahren von einem Trainer gehört habe, dessen Schüler kurz vor dem Gewinn der nationalen Schulmeisterschaft stand. In der letzten Runde hatte der Junge mit Weiß eine absolute Gewinnstellung und ein Sieg in dieser Partie hätte ihm den Titel gebracht. Sein Trainer bereitete sich schon auf die Siegesfeier vor, die angesichts der Stellung sicher bald starten würde. Dann machte der Junge seinen Zug...
Wer könnte diesem kleinen Jungen den Vorwurf machen, nach diesem schrecklichen Fehler geweint zu haben? Natürlich kann ich mich hier total irren, aber ich denke, dass es nicht einmal der verlorene Titel war, der das Kind zum Weinen brachte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er gedacht hat: Ich habe eine wunderschöne Partie gespielt, meinen Gegner völlig im Sack und dann ist wegen dieser dummen en passant Regel alles weg. Wie ungerecht!
In einem meiner ersten Turniere habe ich gelernt, wie es sich anfühlt, wenn seine Erwartungen wie eine Seifenblase zerplatzen. Die ersten Züge dieser Partie werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen:
Ich hatte es immerhin geschafft, während der Partie meine Tränen zurückzuhalten. Gleich nach der Partie fand ich dann aber eine stille Ecke, in der mich niemand sehen konnte und weinte, wie es achtjährige Kinder eben so tun.
Ich erinnere mich auch noch genau daran, warum ich geweint habe. Es war nicht die Niederlage an sich, die mich so aufgeregt hatte. Ich hatte ja schon früher dutzende von Partien verloren. Aber wie alle anderen Anfänger auch, dachte ich, dass ich ein vernünftiger Schachspieler wäre und als ich meine Dame im vierten Zug eingestellt hatte, wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und mir wurde klar, wie schlecht ich eigentlich war. Diese Erkenntnis hat mir die meisten Schmerzen bereitet!
Aber auch die größten Spieler der Geschichte haben nach Niederlagen schon geweint:
Hier ist, was Garry Kasparovs Trainer Alexander Nikitin über die Partie schrieb:
"Garik ertrug sein Schicksal und verließ nach der Unterzeichnung des Partieformulars schweigend das Brett. Aber seine Gelassenheit hielt nicht lange an - nur bis zum Ausgang der Turniersaal. Dort ging er zu seiner Mutter, schmiegte sich an sie und fing leise an zu schluchzen... "
In seiner einzigen Partie mit Weltmeister Mikhail Botvinnik gelang es Bobby Fischer, einen riesigen Vorteil zu erzielen. Als die Partie unterbrochen wurde, hatte Fischer keine Zweifel, dass er gewinnen würde.
Er übersah jedoch eine sehr knifflige Verteidigung, die Efim Geller gefunden hatte, und so wurde schon kurz nach der Wiederaufnahme der Partie ein Remis vereinbart. Berichten zufolge sahen einige Leute Fischer nach der Partie weinen.
Auch künftige Champions weinen. In dem folgenden Videoclip seht Ihr Misha Osipov, der damals erst drei Jahre und zehn Monate alt war. Er spielte im russischen Fernsehen eine Partie gegen den ehemaligen Weltmeister Anatoly Karpov.
Bei solchen Partien zwischen Schachprofis und Prominenten ist es durchaus üblich, sich nach etwa fünf Zügen auf ein Remis zu einigen. Karpov bot gleich nach der Eröffnung ein Remis an, aber der Junge kannte die ungeschriebenen diplomatischen Regeln nicht und lehnte das Angebot ab.
Als der Junge auf Zeit verlor und Karpov ihm sagte, er hätte besser das Remisgebot annehmen sollen, tat Osipov genau das gleiche, wie schon Kasparov und Millionen andere Kinder vor ihm.