Wie man die Weltmeisterschaft wieder spannend machen könnte
Es ist kein großes Geheimnis, dass die letzte Weltmeisterschaft für die meisten Schachfans eine ziemliche Enttäuschung war.
Die 12 Remis in Serie zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana in den klassischen Partien waren aber auch wirklich ein Abtörner. Fast jeder hat sich Gedanken darüber gemacht, wie man die Spieler dazu zwingen könnte, Blut zu spucken. Eine relativ kreative Idee war, den Tiebreak schon vor der WM auszutragen. Der Verlierer des Tiebreaks wäre dann mit den Remis im Hauptteil der WM nicht zufrieden.
Auch wenn diese Idee auf den ersten Blick verrückt klingt (stellt Euch nur vor, es würde im Fussball am Tag vor dem WM-Finale bereits ein Elfmeterschießen geben), macht sie durchaus Sinn. Übrigens ist Garry Kasparov einer der großen Befürworter dieses unorthodoxen Ansatzes. In Kürze wird die FIDE die Regularien für die nächste WM bekannt geben. Wir werden also bald sehen, wie sie das Problem lösen wollen.
Wenn Ihr mich fragt, glaube ich nicht, dass die WM schlecht oder langweilig war. Es hängt einfach davon ab, wie man sie betrachtet.
Als ich vor einigen Jahren den Louvre besuchte, hoffte ich, dass zwei Tage ausreichen würden, um alle Exponate dort kurz anzusehen. OK, lach mich nicht aus. Ich bin ja kein Kunstexperte. Als ich mir all diese mittelalterlichen Gemälde dann ansah, sahen sie auf den ersten Blick alle sehr ähnlich aus. Dann kaufte ich mir einen Audioguide, der mir die Geschichte jedes Gemäldes erzählte, und mir wurde sehr schnell klar, dass es wohl eine Lebensaufgabe wäre, mir alle Ausstellungsstücke im Louvre anzusehen!
Die grundlegenden Informationen zu Gemälden erlaubten es mir, jedes von ihnen aus einem völlig anderen Blickwinkel zu betrachten. Jetzt sah ich nicht nur zufällige mittelalterliche Gestalten, sondern wusste auch, wer sie waren. Ich sah in ihre Augen und versuchte, ihre Gedanken oder Sorgen zu erraten.
Wenn wir also zu jeder WM-Partie eine Geschichte finden und versuchen herauszufinden, was die Spieler gedacht haben, dann werden die Partien nicht mehr so langweilig sein.
Nehmen wir zum Beispiel die sechste Partie. Die meisten werden sich daran erinnern, weil Caruana einen studienartigen Gewinnweg übersehen hatte.
Viel interessanter ist aber eigentlich, wie Magnus in eine so schwierige Stellung kommen konnte. Nach der Eröffnung, die von beiden Spielern zu Hause intensiv analysiert worden war, ging das Spiel in ein ungefähr ausgeglichenes Endspiel über. Und dann kam Carlsen plötzlich in Schwierigkeiten.
Was war passiert? Das Endspiel ist doch die Domäne von Carlsen! Um diese Art von Endspiel besser verstehen zu können, werfen wir einen Blick auf einen alten Klassiker von Rubinstein.
Aufgabe #1. Könnt Ihr in dieser Stellung die Züge von Schwarz erraten?
Wer Rubinsteins Zug gefunden hat, darf sich gerne auf die Schulter klopfen, denn er ist ein wirklich guter Endspielspieler. Durch diesen Zug gewinnt Schwarz Raum am Königsflügel und schützt seinen Springer auf f5 vor einem möglichen Angriff durch g2-g4. Dieser Zug wird in ähnlichen Stellungen sehr oft gespielt.
Aufgabe #2. Was würdet Ihr in dieser Stellung spielen?
Durch dieses tolle Manöver brachte Rubinstein seinen Springer auf das optimale Feld, von wo aus der viel Druck auf die weiße Stellung ausübt.
Aufgabe #3. Welchen Zug würdet Ihr hier spielen?
Dies ist ein sehr unorthodoxer Zug, da die meisten Schachspieler, besonders in Endspielen, Angst vor isolierten Bauern haben. Mit diesem Zug aktiviert Rubinstein jedoch seinen schwarzfeldrigen Läufer und erhöht seinen Vorteil deutlich. Die Partie endete dann so:
Nun wollen wir mal sehen, wie gut die beiden besten Spieler der Welt das klassische Schacherbe kennen:
Beide Spieler bekommen die Note 1, denn genau wie Rubinstein kämpfen sie um Raum am Königsflügel. (siehe Aufgabe #1).
Wieder machten beide Spieler die besten Züge. Schwarz manövriert seinen Springer näher and das Schlüsselfeld f5 (siehe Aufgabe #2) und Weiß antwortet sofort mit Se3, um das Feld unter seine Kontrolle zu bringen!
Genau wie Rubinstein nimmt Caruana einen isolierten Bauern in Kauf, um seinen schwarzfeldrigen Läufer zu aktivieren (siehe Aufgabe #3). Gut gemacht!
Wahrscheinlich war es hier, dass Carlsen begann, in eine schlechtere Stellung abzudriften. Rubinsteins Spuren zu folgen und seinen Springer näher an das Schlüsselfeld f4 zu bewegen, das symmetrisch zu dem schwarzen Feld f5 aus Aufgabe 2 ist, hätte Weiß viel Ärger erspart.
Jetzt seht Ihr, wie viele interessante Details in nur vier Zügen (18 bis 22) zu finden sind! Ich glaube, dass Partien, die auf diese Weise gezeigt werden, viel weniger langweilig sind und auch hervorragendes Lehrmaterial bieten.