Magnus Carlsen's größtes Geheimnis
Magnus Carlsen ist ein Genie.
Ich glaube nicht, dass viele Leute diese gut begründete Aussage bestreiten würden. Eine ganz andere Frage ist es jedoch, warum wir ihn ein Genie nennen. Ist es, weil er der Weltmeister ist? Ich denke nicht. Max Euwe war auch Weltmeister und ein außergewöhnlich starker Spieler, der den legendären Alexander Aljechin schlug und dennoch nicht oft als Genie bezeichnet wird. Auf der anderen Seite war Vassily Ivanchuk nie Weltmeister im klassischen Schach und dennoch wird er von vielen als ein Genie bezeichnet!
Ich glaube aber, bei allen Schachspielern die als Genie bezeichnet werden, eine Gemeinsamkeit gefunden zu haben: Capablanca, Tal, Fischer, Kasparov, Carlsen und Ivanchuk sind oder waren alles außergewöhnlich starke "Blitzer"! Sprechen wir deshalb über Carlsen Sieg bei der letzten Blitzschach-Weltmeisterschaft.
Wie wurde er Blitz-Weltmeister? War er den anderen Spielern eröffnungstechnisch überlegen und hat er seine Partien, wie Kasparov in seinen besten Jahren, bereits in den Eröffnungen gewonnen? Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall: Carlsen "überspringt" am liebsten die Eröffnung und überspielt seine Gegner üblicherweise im Mittel- oder Endspiel.
Ok, dann muss er wohl in der Variantenberechnung super stark sein? Tja, obwohl Carlsen ein wirklich starker Rechner ist, können doch einige Supergroßmeister auch in dieser Disziplin mit ihm mithalten.
Was ist also Magnus Carlsen's Geheimnis?
Magnus Carlsen. Foto: Maria Emelianova.
Wie ihr sicher wisst, ermutige ich euch immer, eure Meinung ins Kommentarfeld unter meinem Artikel zu schreiben. Zu meinem letzten Artikel hatte "zenghxa" eine sehr interessante Meinun:
"Wir wissen doch, dass Magnus sich bereits im Alter von 5 oder 6 Jahren viele Städte und deren Einwohnerzahl merken konnte. Es dreht sich also alles um das Erinnerungsvermögen. Er studiert einfach fortlaufend Partien und kann sich an all die Partien erinnern. Genau wie AlphaZero. Das Geheimnis von Magnus ist also somit gelüftet!! "
Auch wenn "zenghxa" vielleicht nur gescherzt hat, hat er aber eventuell den Nagel auf dem Kopf getroffen! Denkt mal darüber nach: Kasparov hatte ebenfalls ein phänomenales Gedächtnis und konnte sich im Alter von 6 Jahren alle Länder, deren Hauptstädte und die Einwohnerzahl merken! Fischer behauptete einmal, dass er jede Partie von Steinitz aus dem Gedächtnis nachspielen könnte und über das einzigartige Erinnerungsvermögen von Tal oder Ivanchuk möchte ich erst gar nicht reden.
Als ich Carlsen's Partien der Schnellschach- und Blitz-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien analysiert hatte fiel mir auf, dass Carlsen dutzende verschiedener Muster in seinen Partien angewandt hat und dabei spreche ich nur über Muster, die ich selbst kenne. Ich glaube, Magnus ist mit viel mehr Mustern vertraut als ich! Ist also das großartige Erinnerungsvermögen das Geheimnis seines Erfolges?
Ich zeige euch einige Auszüge aus seinen Partien, damit ihr versteht, was ich meine.
Zuerst ein ganz einfaches Beispiel:
Dies ist eines der grundlegenden Mattbilder, die ich schon in diesem Artikel erklärt habe. Keine große Sache, denn jeder geübte Schachspieler hat dieses Mattbild sicherlich verinnerlicht. Würdet ihr aber dieses Mattbild in der folgenden Stellung erkennen? Tja, Carlsen hat genau auf dieses Bild gespielt und seinen h-Bauern nach vorne gezogen, selbst wenn dabei einiges an Material verloren ging:
Vor 3 Jahren schrieb ich einen Artikel über eine eigentlich sehr einfache Falle, auf die selbst starke Großmeister in Endspielen immer wieder tappen. Ich schrieb damals: "Ich kann mir einfach nicht erklären wie selbst die stärksten Spieler der Welt immer wieder auf das gleiche Schema hereinfallen."
Carlsen lies dann auch in Riad einen seiner Gegner genau in diese Falle tappen. Versucht herauszufinden, wie er das geschafft hat.
Die folgende Stellung wird in fast jedem Taktikbuch gezeigt. Findet ihr die Lösung?
Jetzt sollte es euch leichtfallen, den Gewinn für Schwarz zu finden.
Ein schönes Ende, aber Carlsen hat gar nicht 54...Te1 gespielt! Da stelle sich natürlich die Frage, wie Carlsen eine solche Kombination übersehen konnte? Die Antwort ist einfach: Die Stellung in der Partie war etwas anders und ich habe sie nur abgeändert, damit ihr eure taktischen Fähigkeiten testen könnt. Hier ist jetzt die eigentliche Partie:
Die meisten Mattbilder sind ja jedem Großmeister und den meisten geübten Schachspielern geläufig, aber nur die besten Spieler erkennen solche Muster schon 20 Züge im Voraus! Seht euch die folgende Stellung an:
Die Stellung sieht ziemlich ausgeglichen aus, aber Carlsen sieht den schwarzen Doppelbauern und erkennt ein positionelles Muster aus der Nimzowitsch Verteidigung und ähnlichen Eröffnungen. Wir haben uns diese Idee schon in diesem Artikel angesehen und anhand einer sehr alten Partie von Staunton analysiert:
Schwarz hatte die ganze Partie über Probleme mit seinem weißfeldrigen Läufer. Carlsen wendet hier dieselbe Blockadestrategie an wie Staunton und am Ende war der weißfeldrige Läufer so gut wie Tod!
Ich weiß, dass meine Erklärung von Magnus Carlsens einzigartigem Schach-Talent vielleicht etwas weit hergeholt klingt. Es ist durchaus möglich, dass es nicht nur um Erinnerungsvermögen und Mustererkennung geht, sondern um etwas anderes.
Aber was wäre das? Endspieltechnik? Ich denke, dass Kramik und Caruana ihm im Endspiel ebenbürtig sind. Taktische Fähigkeiten? Aronian, Nakamura, Ding Liren und viele andere Top Großmeister können auch wahnsinnig gut rechnen!
Der legendäre Großmeister Korchnoi glaubte ja ernsthaft, dass Carlsen seine Gegner hypnotisiert. Diese Theorie haben wir aber schon in diesem Artikel diskutiert und ich will immer noch nicht an diese Theorie glauben. Ich hoffe, dass ihr Eure Meinung ins Kommentarfeld schreibt und wir zusammen das Geheimnis von Magnus endgültig lüften können!