Artikel
Können abgesprochene Remis Euer Eröffnungsrepertoire gefährden?

Können abgesprochene Remis Euer Eröffnungsrepertoire gefährden?

Gserper
| 33 | Eröffnungstheorie

Die Schachkarriere von Anatoly Karpov war Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre auf ihrem Höhepunkt. In der Sowjetunion sagte man damals: "Er ist größer als das Leben!"

Seine Hochzeit mit Irina Kuimova (mir fällt gerade auf, dass ich mich 40 Jahre später immer noch an den Namen von Karpovs erster Frau erinnere!) fand auf dem Roten Platz neben dem Kreml statt und wurde von Medien wie eine königliche Hochzeit zelebriert.

red square

Zu dieser Zeit erklärte Großmeister Krogius, der Präsident des sowjetischen Schachverbandes, einem jungen Garry Kasparov: "Wir haben bereits einen Weltmeister und wir brauchen keinen anderen." In einem meiner älteren Artikel habe ich bereits erwähnt, wie sehr ein Buch über Karpovs Partien mein eigenes Schachspiel beeinflusst hat. Es war ein großartiges Buch und ich kann mich noch heute an den eigenartigen senfartigen Geruch erinnern.

Karpovs Partien waren wie aus einer anderen Welt. Wann immer ich eines seiner tiefen positionellen Konzepte verstanden habe, hatte ich das Gefühl, mit einem Schachgott zu sprechen. Nehmen wir zum Beispiel diese berühmte Partie:

Karpov spielte 24.Sb1!! und ich konnte fast die ersten Noten von Toccata und Fuge in d-Moll hören:

So ist es keine große Überraschung, dass eine seiner Partien in meinem Eröffnungsnotizbuch landete. In der Tat war diese scharfe Partie für die Theorie in der Russischen Verteidigung sehr wichtig:

Ich habe diese Variante lange analysiert, um eine Verbesserung zu finden und dann hoffentlich einen meiner zukünftigen Gegner überlisten zu können. Es stellt sich heraus, dass ich damit nicht alleine war.

Diese wunderschöne Partie von GM Gurgenidze hat dieses Kapitel der Russischen Verteidigung ziemlich abgeschlossen. Das Urteil über diese Variante könnt Ihr in zahlreichen Eröffnungsbüchern nachlesen.

"Wir stimmen mit Keres überein, dass 6.Sxf7 der beste Zug ist, aber Weiß keinen Vorteil gibt.[...]Gurgenidzes Zug 7. De2 kann man als Widerlegung ansehen," schrieben Haag und Forintos in deren 1983 erschienen Buch über die Russische Verteidigung.

"6.Sxf7 ist, obwohl es super-aggressiv aussieht, ein sehr schlechter Zug, denn Schwarz kann den Springer einfach schlagen und Weiß hat danach nicht mehr als ein Dauerschach," schrieb Janjgava 2001 in seinem Buch The Petrov.

Ich könnte jetzt noch mehr Eröffnungsbücher nennen, die sich mit dieser Partie beschäftigen, aber in keinen davon wird erwähnt, dass es sich um ein abgesprochenes Remis gehandelt hatte! Ich bin mir ziemlich sicher, dass der brillante Analytiker Igor Zaitsev bei einer seiner Analysen auf diese interessante Variante gestoßen ist, und nachdem er sich mit Karpov schon vor der Partie auf ein Remis geeinigt hatte, vorschlug, diese Variante zu spielen!

Er hat diese Variante übrigens nicht nur einmal gespielt:

Heutzutage fällt die Wahl zumeist auf diese Variante der Russischen Verteidigung, wenn beide Spieler ein schnelles Remis erreichen wollten:

Es gibt aber auch heute noch Spieler, die die "komplizierte Variante" bevorzugen:

Wie Ihr aber jetzt bereits wisst, ist diese Variante durch GM Gurgenidzes Zug 7.De2 widerlegt! Ich bin mir aber sicher, dass es genügend unschuldige Schachspieler geben wird, die bei ihrer Eröffnungsvorbereitung diese Variante in ihrer Datenbank finden werden und nicht wissen, dass praktisch alle Partien in dieser Variante abgesprochene Remis waren. Ihr könnt also immer noch auf potenzielle Opfer stoßen!

Die bekannteste Eröffnungskatastrophe in der Russischen Verteidigung ereignete sich aber zweifellos in dieser Partie:

Wie konnte einem Schachgenie wie Vishy Anand nur so ein Fehler unterlaufen? Auch das haben wir schon in einem meiner älteren Artikel diskutiert. Der junge Anand hatte die folgende Großmeisterpartie gesehen:

Was Anand aber nicht gewusst hatte, war, dass sich die beiden Spieler bei dieser Partie schon vorab auf ein Remis geeinigt hatten und so polierte Miles lediglich mit seinem Finger ein Staubkorn vom Feld e2, um Larry Christiansen damit auf den Gewinnzug hinzuweisen.

Wie Ihr schon im ersten Teil dieses Artikels lesen konntet, gibt es im Schach viele abgesprochene Remis mit interessanten Hintergrundgeschichten. Jetzt wisst Ihr, dass Euch solche abgesprochenen Remis auch schaden können.

Wenn Ihr also das nächste Mal eine interessante und scharfe Partie entdeckt, die in einem schnellen Dauerschach endete, dann sucht die Partie in einer Datenbank. Und wenn Ihr dann ein dutzend weiterer Partien findet, die genauso verlaufen sind, dann könnt Ihr den Braten schon riechen. 

Mehr von GM Gserper
Ein vergessenes Meisterwerk

Ein vergessenes Meisterwerk

Kennst du diesen mächtigen Trick, der dein Spiel verändern wird?

Kennst du diesen mächtigen Trick, der dein Spiel verändern wird?