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Kannst Du Magnus Carlsen schlagen?

Kannst Du Magnus Carlsen schlagen?

Gserper
| 161 | Spaß und Wissenswertes

Das Wall Street Journal liest man eigentlich nicht, wenn man nach einem guten Witz sucht, es sei denn, man findet Begriffe wie BIP, KGV oder Volatilitätsindex irgendwie lustig. Als ich aber dann aber einen Artikel über einen Anfänger fand, der nach einem Monat Schachtraining gegen den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen gewinnen wollte, musst ich doch lachen.

Solche Geschichten kann man sich ausdenken! 

Ich habe ehrlich gesagt mehr als einmal geschaut, ob das wirklich das Wall Street Journal und nicht die Titanic war! Überzeugt euch selbst: Der selbsternannte "zwanghafte Lerner" Max Deutsch hatte eine Reihe von monatlichen Projekten wie das Lösen eines Zauberwürfels in weniger als 20 Sekunden, einen Rückwärtssalto usw. hinter sich. Als er in allen erfolgreich war, beschloss er, die Schachwelt zu erobern Welt und Magnus Carlsen zu schlagen. Während ich die Logik dahinter nicht ganz verstehe und keine direkte Verbindung zwischen einem Rückwärtssalto und Schach sehe, kann ich den Traum dieses Menschen verstehen.

Der surrealistische Teil des Artikels kommt aber erst jetzt. Max erzählt von einem Schachalgorithmus, den er zu erstellen versuchte, um wie ein Computer zu denken, der aber leider nicht rechtzeitig fertig wurde. Laut dem Artikel hat Magnus aber am Anfang der Partie vor Angst gezittert.

Und das Journal setzt noch einen drauf:

"Max hatte die Eröffnung richtig gespielt. Hätte sein Algorithmus funktioniert, hätte er eine solide Stellung gehabt. Diese hatte er aber auch so. Obwohl seine Fähigkeiten limitiert waren, trat das Undenkbare ein: Max hatte eine Gewinnstellung!"

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Magnus Carlsen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Diesen Abschnitt habe ich gleich dreimal gelesen! Kann das wirklich stimmen? Ich habe gebetet, dass am Ende des Artikels eine Notation der Partie zu finden wäre und mein Gebet wurde erhört. Tja, das Journal hat ja nicht 40 Pulitzer Preise für nichts gewonnen. Hier ist also die Partie:

Die Stellung nach dem 8. Zug könnt ihr selbst beurteilen, aber es ist keine Frage, dass Weiß nach 14 Zügen absolut verloren war!

Was ist also falsch gelaufen? Und viel wichtiger: Kann irgendeine Person, die diesen Artikel liest, egal wie gut diese Person spielt, Magnus Carlsen schlagen?

Nun, die Frage, ob ein Anfänger, der sich selbst Schach beigebracht hat, einen Weltmeister schlagen kann, wurde schon oft gestellt. Lest einfach "Die Schachnovelle" von Stefan Zweig, wo der Protagonist hunderte Male nur ein Schachbuch gelesen und wieder gelesen hat, nur um seine geistige Gesundheit zu bewahren. Doch nach nur drei Monaten wird er dann so stark, dass er sogar den Schachweltmeister schlägt! Eine ähnliche Geschichte über einen kompletten Amateur, der den Weltmeister schlug, hat uns Michail Tal in diesem Artikel erzählt.

Leider sind aber beide Geschichten frei erfunden und so bleibt die Frage stehen: Kann ein Amateur einen Weltmeister schlagen? Gut. Sehen wir und die nächste Partie an:

Von einem John Dedinsky habe ich noch nie gehört und auch keine seiner Partien in einer Datenbank gefunden, also bin ich mir ziemlich sicher, dass er ein Amateur ist, wie er im Buche steht! Und trotzdem schlug er den großartigen Bobby Fischer in nur 17 Zügen! OK, OK, ihr habt mich hier erwischt. Ja, es war ein Simultanveranstaltung mit 57 Brettern und es gab Hunderte von Partien in der Schachgeschichte, bei denen völlig unbekannte Spieler Weltmeister in Simultanveranstaltungen besiegten.

Stellen wir die Frage also erneut: Kann ein titelloser Amateur einen Weltmeister in einer regulären Partie besiegen? Ich habe noch nie von so einem Vorfall gehört, aber immerhin kenne ich eine ungewöhnliche Geschichte, die sich vor etwa 35 Jahren zugetragen hat.

Die Stadt Charkiw (ehemalige Sowjetunion - heute Ukraine) hat schon viele großartige Schachspieler hervorgebracht. Momentan leben neben vielen anderen Großmeistern die ehemalige Damenweltmeisterin Anna Ushenina und der Super-GM Pavel Eljanov in dieser Stadt. Eines Tages in den achtziger Jahren betrat ein unbekannter Mann den Schachclub von Charkiw und begann mit den anwesenden Schachspielern um Geld zu blitzen. Obwohl er den heimischen Spielern sogar einen Zeitvorsprung gab, hörte der Fremde nicht auf zu gewinnen. Am seltsamsten war aber, dass dieser Mensch eine Tüte voller Gurken dabei hatte und diese ohne Pause aß!

Schließlich traten auch die lokalen Meister gegen den Fremden an, aber der mysteriöse Typ schlug einfach jeden! Die Situation sah mehr und mehr nach Fischers berühmtem Besuch im Zentralen Schachklub in Moskau aus. Das junge amerikanische Wunderkind demonstrierte seine erstaunlichen Blitzfähigkeiten und schlug dort berühmte sowjetische Meister! Die Ehre des sowjetischen Schachspiels wurde damals dann schließlich von Großmeister Tigran Petrosian erfolgreich verteidigt.

Aber zurück zu unserer Geschichte. Die anwesenden Spieler riefen dann, Mikhail Gurevich, den stärksten "Blitzer" der Stadt herbei. Der Fremde erkannte Gurevich und sagte: "Wenn Du ein normaler Großmeister wärst, dann würde ich mit 3 Minuten gegen 5 Spielen, aber gegen dich spiel ich lieber mit 5 gegen 5."

Der Mann hatte Recht: Einige Jahre später gewann Mikhail Gurevich die Sowjetischen Meisterschaften, erhielt den Großmeistertitel und in der ELO Liste vom Juni 1990 war er die Nummer 7 der Welt! Sie spielten dann mehrere Stunden lang und keiner der beiden konnte sich einen nennenswerten Vorsprung erspielen. Am Abend steckte der seltsame Fremde das gewonnene Geld und die restlichen Gurken ein und verließ den Schachclub ohne ein Wort der Verabschiedung.

Er wurde nie mehr gesehen. Viele dachten, dass es vielleicht ein Soldat war, der nach einer mehrjährigen Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen wäre, genau wie in der Schachnovelle. Mir persönlich gefällt diese Idee weniger, denn ich stimme mit Botvinniks Aussage überein, dass keine analytische Arbeit die Erfahrungen einer echten Partie ersetzen kann.

Wenn der mysteriöse Fremde also nie Schachturniere gespielt hat, dann hätte er gegen einen Spieler wie Mikhail Gurevich nicht eine Blitzpartie gewinnen können. Auf der anderen Seite war der Schachsport in der ehemaligen Sowjetunion eine Art geschlossene Gesellschaft und man konnte nicht einfach in ein anderes Land reisen, um Turniere zu spielen. Deshalb kannten sich alle starken Schachspieler und jeder mit einer ELO-Stärke von über 2100 war wohlbekannt und dieser Fremde war niemanden bekannt.

Es ist wirklich schade, dass der "Gurkentyp" nie mehr gesehen wurde.

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Kommen wir zurück zu Max Deutschs Herausforderung. Für mich war das offensichtlich ein Werbegag. Eine andere Erklärung habe ich nicht dafür.

Als halbwegs intelligenter Mensch hätte Max Deutsch definitiv denken müssen, dass es sinnvoll wäre, vor der Herausforderung eines 2800 Weltmeisters seine eigenen Schachfähigkeiten zuerst gegen fortgeschrittene Spieler zu testen und hätte deshalb ein Wochenendturnier in einem örtlichen Schachklub gespielt. Das erzielte Ergebnis wäre ein guter Anhaltspunkt gewesen. Da er dies nicht getan hat, ist es absolut klar, dass er wusste, was kommen würde und dennoch reiste er den ganzen Weg nach Hamburg, um gegen Magnus zu spielen.

Der Vollständigkeit halber möchte ich noch auf einen großen Fehler hinweisen, denn im 11. Zug verpasste er eine große Chance.

Ihr werdet euch jetzt vielleicht fragen, was der Sinn dieses verrückten Opfers ist? Nun, eigentlich stecken zwei Ideen dahinter. Vor allem gab es die geringe Chance, dass Magnus in Ohnmacht gefallen wäre, da er ja laut dem Bericht bereits zitterte. In diesem Fall hätte Max sein Ziel erreicht, denn er hätte die Partie wegen Zeitüberschreitung gewonnen. Im wahrscheinlichen Fall, dass Magnus die Dame geschlagen und von einem Ohr bis zum anderen gegrinst hätte, hätte Max Deutsch ein anderes Ziel erreicht. Er wäre für immer als ein Anfänger in Erinnerung geblieben, der es geschafft hat, dem Weltmeister ein Schach zu geben!

Und so komme ich schließlich zur Beantwortung der Frage in der Überschrift dieses Artikels. Wenn ihr noch nie ein offizielles Schachturnier gespielt habt und trotzdem davon träumt, Magnus Carlsen in den nächsten 3 Jahren in einer echten Partie besiegen zu können, dann wacht auf! Denn das wird nie passieren!

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