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Kann ein vollkommen legaler Zug unethisch sein?

Kann ein vollkommen legaler Zug unethisch sein?

Gserper
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In meinem letzten Artikel sprachen wir über das Verhalten von Schachspielern. Die große Frage war, ob es fair ist, seinen Gegner in einer absoluten Remis- oder einer verlorenen Stellung über die Zeit zu drücken.

Wenn man sich die Kommentare durchliest, stellt man fest, dass es durchaus kontroverse Meinungen zu diesem Thema gibt. Viele fragen sich, wie in aller Welt ein legaler Zug unfair sein kann?

Das ist eine gute Frage! Vor kurzem waren viele Schachfans der ganzen Welt von einem sehr ungewöhnlichen Ende einer Partie zwischen zwei Top-Großmeistern überrascht: 

Nein, ich habe mich nicht verschrieben! GM Anand zog wirklich 71. Df8?? und ermöglichte GM Grischuk ein Matt in 1, aber dieser willigte einem Remis ein!

Vishy Anand

Anand. Foto: Maria Emelianova / Chess.com.

Wie ist das nur möglich? Die Erklärung dafür ist ziemlich einfach: Als Anand 71. Df8?? anstatt des richtigen 71. Df7 zog, waren beide Spieler, da es ja eine Blitzpartie war, bereits in Zeitnot und hatten das Dauerschach bereits "gespeichert". Diese kuriose Partie erinnerte mich an eine Partie, die vor über 30 Jahren gespielt wurde. Beide Spieler waren Meister und es war eine Turnierpartie (also kein Blitz!). 

Hier ist die Stellung aus dieser Partie:

Weiß wird diese Partie natürlich gewinnen, aber es bedarf einer guten Technik. Zum Glück für Weiß wurde die Partie dann ziemlich bald unterbrochen und vertagt und somit erhielt der die Möglichkeit, das Endspiel mit Hilfe von Endspielbüchern zu studieren und damit war der Gewinn praktisch gesichert. Ich weiß, dass für einige junge Leser die "Vertagung einer Partie" so geheimnisvoll klingt wie eine "Diskette". Hier finden Ihr einige Informationen zu diesem Thema.

Als Schwarz dann 1...Ta5 zog, plante Weiß die folgenden Züge:

Die ersten Züge waren dann genau die, die der Meister erwartet hatte, aber dann fand die Partie ein schockierendes Ende. Seht Euch einfach an, was dann passiert ist:

Des Rätsels Lösung ist, dass Weiß bereits reflexartig seinen König berührt hatte und als Schwarz dann statt des erwarteten Zuges 3...Ta5 einfach 3...Ta6 gezogen hatte, war er gezwungen mit seinem König zu ziehen. Wäre der König näher an der Dame gestanden, hätte er diese immerhin noch decken und das Remis sichern können, aber so war die Partie einfach verloren!

Als mir der Spieler, der in dieser Partie mit Weiß gespielt hatte, diese Geschichte erzählte, versuchte ich ihn aufzubauen und sagte ihm, dass das Verhalten von Schwarz nicht in Ordnung gewesen sei. Schwarz war auf faire Art und Weise überspielt worden und der letzte billige Trick war einfach nur mies und kein Meisterspieler, der sich selbst und das Spiel respektiert, würde diesen Trick anwenden. Im Laufe der Jahre habe ich aber viele Partien, die und Tricks wie diesen entschieden wurden, gesehen. Hier ist eine klassische Partie von GM Boleslavsky:

Warum zog ein starker Großmeister wie GM Ludek Pachman nur 26...Da7? Nun, zum einen hatte er eh nichts zu verlieren, denn das Matt war nicht zu verhindern! Hatte er gehofft, dass GM Boleslavsky 27. Txa7 nicht sehen würde? Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Ich denke eher, dass er gehofft hatte, dass Weiß auf "einen Schönheitspreis spekulieren würde" und nach dem Turmopfer nach 27.Kf1??, dann 28...Dd1!! nicht sehen würde.

Wem dies zu weit hergeholt klingt, den erinnere ich an eine beliebige Partie, bei der ihr selbst euren Gegner in einer absolut gewonnenen Stellung durch eine Unterumwandlung eines Bauern in einen Läufer oder Springer gequält habt. 

Selbst Großmeister machen sich manchmal diesen Spaß:


Wie ich schon in meinem letzten Artikel geschrieben habe, habe ich angefangen, meine alten Überzeugungen in Frage zu stellen. Besonders nachdem ich die folgende Partie gesehen hatte:



Das ist derselbe Trick. Schwarz macht einen lächerlichen Zug und hofft auf einen Fehler seines Gegners. In dieser Partie gibt es allerdings ein interessantes Detail. Schwarz ist GM David Navara. Es gibt im Schach aber auch noch wahre Gentlemen wie den verstorbenen GM Paul Keres, für den Fair Play nicht nur eine leere Worthülse war. David Navara ist sicherlich einer von ihnen. Für mich ist alles, was David Navara tut, per definitionem fair, da ich denke, dass er einfach keine unmoralischen Dinge tun kann.

Und so zwingt mich diese einzelne Partie von David Navara, meine alten Überzeugungen zu überdenken. In der Tat, warum sollte Schwarz auch nicht seine letzte Chance wahrnehmen, wenn er am Verlieren ist?

Die Frage dieser Woche lautet also: Kann ein vollkommen legaler Schachzug unethisch sein?

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