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Kandidatenturnier 2020-2021: Wie gut sind die Spieler in Form?
Ian Nepomniachtchi gibt seine Partie gegen Maxime Vachier-Lagrave auf. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Kandidatenturnier 2020-2021: Wie gut sind die Spieler in Form?

PeterDoggers
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Am Montag, dem 19. April, wird das Kandidatenturnier endlich fortgesetzt. Aber was haben die 8 Teilnehmer in den letzten 13 Monaten gemacht? Und wie haben sie gespielt?

Die Geschichte ist wohlbekannt: Am 25. März 2020 wurde das Kandidatenturnier, nachdem die russische Regierung angekündigt hatte, dass der russische Flugverkehr aufgrund der Coronavirus-Pandemie eingestellt werden würde, unterbrochen. Nach dem gescheiterten Versuch, das Turnier in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 fortzusetzen, wird das Turnier jetzt 391 Tage nachdem in Jekaterinburg die letzten Züge gespielt wurde, endlich wieder aufgenommen.

Zur Erinnerung ist hier die aktuelle Tabelle:

Tabelle nach der 7. Runde

# Land Name Elo Lstg. 1 2 3 4 5 6 7 8 Punkte SB
1 Vachier-Lagrave, Maxime 2767 2876 1 ½ ½ ½ ½ 1 ½ 4.5 15.25
2 Nepomniachtchi, Ian 2774 2875 0 ½ 1 1 ½ 1 ½ 4.5 14.25
3 Caruana, Fabiano 2842 2764 ½ ½ ½ ½ ½ 0 1 3.5 12.25
4-5 Giri, Anish 2763 2775 ½ 0 ½ ½ ½ ½ 1 3.5 11.25
4-5 Wang, Hao 2762 2775 ½ 0 ½ ½ ½ 1 ½ 3.5 11.25
6 Grischuk, Alexander 2777 2773 ½ ½ ½ ½ ½ ½ ½ 3.5 12.25
7 Ding, Liren 2805 2667 0 0 1 ½ 0 ½ ½ 2.5 8.25
8 Alekseenko, Kirill 2698 2683 ½ ½ 0 0 ½ ½ ½ 2.5 9.25

(Feinwertung: 1. Direkter Vergleich, 2. Anzahl der Siege, 3. Sonneborn-Berger.)

Die achte Runde, die am 19. April gespielt werden wird, ist gleich extrem wichtig. Der in Führung liegende Maxime Vachier-Lagrave muss mit den schwarzen Steinen gegen den eigentlichen Turnierfavoriten und den Gewinner des letzten Kandidatenturniers, Fabiano Caruana, antreten. Und Ian Nepomniachtchi, der ebenfalls 4.5 Punkt auf seinem Konto hat, wird mit Weiß gegen Anish Giri, der genau wie Caruana auf eine Aufholjagd hofft, spielen.

Die Paarungen und alle Partien der ersten sieben Runden findet Ihr auf unserer neuen Event-Seite, auf der Ihr das Turnier auch live verfolgen könnt.

FIDE Candidates Tournament Results
Das FIDE Kandidatenturnier auf Chess.com/events.

Großmeister Alex Yermolinsky hat sich in seiner Vorschau ebenfalls schon Gedanken gemacht, wer das Turnier gewinnen könnte und hat sich dabei hauptsächlich auf Statistiken der vergangenen Kandidatenturniere fokussiert. In diesem Artikel sehen wir uns aber an, was die 8 Teilnehmer in den letzten 13 Monaten so gemacht und erreicht haben.

Als Quelle verwenden wir dafür eine Datenbank, die auf The Week in Chess basiert. Mark Crowther hat dort alle wichtigen Ergebnisse gesammelt, obwohl die meisten davon online und mit weniger Bedenkzeit gespielt wurden.

Maxime Vachier-Lagrave

Vachier-Lagrave war mit 546 offiziellen Partien einer der aktivsten Spieler seit dem Abbruch des Kandidatenturniers. Allerdings wurden nur 18 dieser Partien an einem Schachbrett mit einer klassischen Bedenkzeit gespielt.

MVL war einer der Spieler, die im September in der Bundesliga spielten. Er gewann dort seine Partien gegen GM Andreas Heimann, GM Niclas Huschenbeth und GM Aryan Tari und remisierte gegen die Großmeister Luke McShane und Vladimir Malakhov.

Ein signifikanterer Test war dann aber das Tata Steel Turnier im Jänner, das MVL mit enttäuschenden 5 von 13 möglichen Punkten beendete. Er verlor dort 4 Partien - 2 davon gegen seine Rivalen beim Kandidatenturnier, Caruana und Giri. Gewonnen hat er aber auch eine Partie:

Als MVL darauf hingewiesen wurde, dass sowohl Caruana im Jahr 2018 als auch Sergey Karjakin im Jahr 2016 schlechte Wijk aan Zee-Turniere spielten und danach das Kandidatenturnier gewannen, sagte er: "Ich habe das nicht absichtlich gemacht, wenn das die Frage ist! Aber es ist definitiv gut, dass es hier und nicht beim Kandidatenturnier passiert ist. Ich muss aber noch viel arbeiten, damit sich das beim Kandidatenturnier nicht wiederholt."

In seinem Blog schrieb MVL: "In Bezug auf die Gesamtanalyse meines Turniers werde ich nicht um den heißen Brei herumreden: Es war eindeutig ein Misserfolg. Offensichtlich gab es viele Dinge, die nicht funktionierten. Trotzdem ziehe ich es vor, dies als kostenlose Warnung zu betrachten und ehrlich gesagt erwarte ich nicht, dass ich beim Kandidatenturnier weiter auf diesem schrecklichen Niveau spielen werde. Zumindest werde ich alles tun, damit das nicht passiert 🙂 .

Online hat MVL gemischte Ergebnisse erzielt. Beim ersten Turnier der Turnierserie, die später dann Magnus Carlsen Chess Tour getauft wurde, belegte der Franzose den letzten Platz. Danach remisierte er acht Partien beim Online Nations Cup, konnte aber gegen Nepomniachtchi gewinnen. Beim Chessable Masters hielt er dann wieder die rote Laterne.

In letzter Zeit scheint MVL aber im Online-Schach stärker geworden zu sein. Ende 2020 eliminierte er niemand geringeren als Magnus Carlsen im Halbfinale der Speed Chess Championship und im Februar erreichte er beim Opera Euro Rapid Turnier das Halbfinale.

Ian Nepomniachtchi

Bei Nepomniachtchi haben wir 482 Partien gefunden. Der russische Großmeister musste seine Teilnahme beim Tata Steel Turnier leider absagen und so war die Russische Meisterschaft das einzige "echte" Turnier, an dem er teilgenommen hat. Diese hat er allerdings gewonnen. Der zweite nationale Titel kam genau 10 Jahre nach seinem ersten. Auch wenn dieser aber mittlerweile schon wieder 4 Monate zurückliegt, wird er bei Nepo sicher positive Gefühle wecken, wenn er nächste Woche wieder echte Schachfiguren anfassen wird.

Bei den großen Online-Turnieren erreichte Nepomniachtchi zwei Finale. Beim Legends of Chess musste er sich aber Carlsen geschlagen geben und ein paar Wochen später, beim Magnus Carlsen Invitational, musste er Giri zum Sieg gratulieren.

Fabiano Caruana

Caruana hat weniger gespielt als seine Konkurrenten. Von ihm haben wir "nur" 313 Partien gefunden. Andererseits spielte der Amerikaner die meisten "echten" Partien von allen Teilnehmern: Fünf in der Bundesliga, 15 beim Norway Chess (inklusive der Armageddons) und 13 in Wijk aan Zee. Insgesamt also 33 Partien.

Caruana travel Yekaterinburg
Caruana hatten von allen Teilnehmern den wahrscheinlich schwierigsten Heimweg zu meistern.

In Norwegen wurde er Vierter und wies nach dem Turnier darauf hin, dass er während des Turniers ständig im Kontakt mit der FIDE war und dann die Nachricht erhalten hatte, dass das Kandidatenturnier erneut verschoben worden war.

"Während des Turniers haben wir uns ständig mit dem Kandidatenturnier befasst und uns gefragt, ob es stattfinden würde oder nicht", sagte Caruana. "Das allgemeine Gefühl war, dass es nicht stattfinden würde und dann wurde klar, dass es am 1. November einfach nicht stattfinden konnte."

In Wijk aan Zee wurde Caruana, ohne dort eine Partie verloren zu haben, solider Dritter. Er konnte dort nicht nur gegen die Großmeister Radoslaw Wojtaszek und Alexander Donchenko gewinnen, sondern auch gegen MVL:

Online erreichte Caruana das Finale beim Clutch Chess Showdown, das er aber gegen Wesley So verlor. Beim Clutch Chess International erreichte er ebenfalls das Finale und musste sich dort Carlsen geschlagen geben. Bei der Chess.com Speed Chess Championship verlor er in der ersten Runde gegen Jan-Krzysztof Duda.

Wie sein jüngster Tweet andeutet, könnten wir Caruana in Jekaterinburg mit einem von Intel gesponserten Outfit zu sehen bekommen.

Anish Giri

Giri war der aktivste Spieler von allen (und das nicht nur auf Twitter!) und wir haben erstaunliche 722 Partien in der Datenbank gefunden. An einem Schachbrett saß er allerdings nur beim Tata Steel Turnier. Giri blieb dort ungeschlagen und erzielte 8.5 von 13 möglichen Punkten. Den Sieg musste er aber seinem Landsmann Jorden van Foreest überlassen.

Online konnte Giri einige Erfolge verbuchen. Er erreichte das Finale beim Chessable Masters, das er gegen Carlsen verlor und gewann das halb-ernste Mr Dodgy Invitational. Die Niederlage gegen Nepomniachtchi im Halbfinale der Legends of Chess war äußerst knapp und gab ihm genug selbstvertrauen, um Nepomniachtchi kurz darauf im Finale des Magnus Carlsen Invitationals zu besiegen.

Wang Hao

Wang Hao ist die große Unbekannte. In der Database fanden wir nur ganze 20 Partien des Chinesen. Sechs davon hat er im Mai beim FIDE Online Nations Cup und 14 weitere im Dezember beim Hainan Danzhou GM Turnier gespielt. Beides waren Online-Turniere.

Beim Online Nations Cup gewann Wang gegen Vidit Gujrathi, verlor aber zweimal gegen Caruana. Das Hainan Danzhou Turnier wurde ebenfalls im Schnellschach-Modus gespielt und auch dort konnte Wang nicht wirklich überzeugen. Er erzielte 5.5 von 14 möglichen Punkten und hielt am Ende des Turniers gemeinsam mit Veselin Topalov die rote Laterne.

Wang informierte Chess.com per E-Mail, dass er noch an zwei weiteren Schnellschach-Turnieren teilgenommen hat, deren Partien aber nicht in den Datenbanken auftauchen. Das eine war ein Doppelrundenturnier, bei dem unter anderen Ding Liren, Wei Yi und Yu Yangyi mitspielten. Wei hat das Turnier gewonnen und Wang erzielte 50 Prozent. Das andere war ein Mannschafts-Turnier, bei dem Wang ein Ergebnis von Plus 2 erzielte.

Wang Hao Candidates chess
Wang Hao während seiner Partie gegen Caruana. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Um alle an Wangs Stärke zu erinnern ist hier sein Sieg gegen Ding aus der ersten Runde des Kandidatenturniers, kommentiert von GM Yermolinsky.

Alexander Grischuk

Von Alexandser Grischuk haben wir 418 Partien gefunden. Da er bei der Russischen Meisterschaft jedoch nicht am Start war, sind es ausschließlich Online-Partien.

Gleich am Anfang der Pandemie gewann Grischuk das Play For Russia Wohltätigkeits-Blitzturnier, indem er Evgeny Tomashevsky im Finale besiegte. Ansonsten waren seine Ergebnisse allerdings nicht überragend.

Beim FIDE Online Steinitz Memorial wurde er letzter und beim Lindores Abbey Turnier verpasste er die KO-Runde. Beim Chessable Masters konnte er sich immerhin für diese qualifizieren, aber beim Airthings Masters war das Turnier für Grischuk schon wieder nach der Vorrunde beendet.

Alexander Grischuk candidates chess
Alexander Grischuk. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Seinen größten Sieg im Jahr 2020 konnte Grischuk im September beim Saint Louis Rapid Turnier gegen Carlsen feiern. Großmeister Dejan Bojkov hat sich die Partie für uns genauer angesehen:

Ding Liren

Ding Liren hat 221 Partien gespielt, die es in die Datenbanken geschafft haben, aber nicht eine einzige davon wurde an einem Brett gespielt. Normalerweise ist es eh schon schwierig, sinnvolle Aussagen über online gespielte Blitz- und Schnellschachpartien zu machen, aber bei Ding ist es besonders schwer, da er die meisten dieser Partien mitten in der Nacht gespielt hat.

Beim ersten Magnus Carlsen Invitational, dem ersten großen Online-Turnier nach dem Kandidatenturnier hat er sich gut geschlagen. In der Vorrunde wurde er Zweiter und besiegte dabei Carlsen mit 3:1. Im Halbfinale musste er sich dem Weltmeister aber dann mit 2.5 : 1.5 geschlagen geben.

Beim Lindores Abbey qualifizierte sich Ding für die KO-Phase, verlor aber dann das Halbfinale gegen Daniil Dubov. Beim Hainan Danzhou Schnellschach-Turnier wurde er Zweiter.

Ding Liren Candidates chess
Dass sich Ding Liren bis zur siebten Runde nur 2.5 Punkte erspielen konnte, war die negative Überraschung in Jekaterinburg. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Kirill Alekseenko

Von Kirill Alekseenko fanden wir 263 Partien, aber 182 davon stammen aus den Titled Tuesday Turnieren auf Chess.com. Zusammen mit Wang ist der 23-jährige Russe der große Unbekannte. Er wird zwar nicht um den Turniersieg spielen, aber wenn er mit einer guten Form nach Jekaterinburg kommt, kann er sicher für die eine oder andere Überraschung sorgen.

Kirill Alekseenko Candidates
Kirill Alekseenko. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nach einem so seltsamen Schachjahr, in dem der Großteil der Aktivitäten Online stattfinden musste, müssen sich die Spieler nun wieder auf "Offline-Schach", mit echten Figuren und einer langen Bedenkzeit umstellen. Eines ist klar: Sowohl die Spieler als auch die Fans werden sich sehr auf diesen Moment freuen. Nur noch 5 Tage, dann gehts los!



Zum weitersurfen:

PeterDoggers
Peter Doggers

Peter Doggers joined a chess club a month before turning 15 and still plays for it. He used to be an active tournament player and holds two IM norms.

Peter has a Master of Arts degree in Dutch Language & Literature. He briefly worked at New in Chess, then as a Dutch teacher and then in a project for improving safety and security in Amsterdam schools.

Between 2007 and 2013 Peter was running ChessVibes, a major source for chess news and videos acquired by Chess.com in October 2013.

As our Director News & Events, Peter writes many of our news reports. In the summer of 2022, The Guardian’s Leonard Barden described him as “widely regarded as the world’s best chess journalist.”

In October, Peter's first book The Chess Revolution will be published!


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