Ist Schnellschach gut für Dich?
Ja.*
*Schnellschach ist gut für Dich (das heißt, Schnellschach kann das normale Schach durchaus verbessern), aber wenn Du es "falsch" machst, kann es sogar schlecht für dich sein.
Schweifen wir aber zuerst etwas ab...
Vor ein paar Jahren hielt WGM Jennifer Shahade einen Vortrag in meinem Schachclub.
Am Ende dieses Vortrags, beantwortete Jen Fragen von den Zuhörern und eine dieser Fragen war:
"Ich glaube, Du denkst, dass Blitzschach schlecht für Dich ist."
Jennifer's Antwort war "Nein! Ich denke, Blitzschach kann sogar sehr gut für Dich sein...." und dann machte Sie eine Pause.
"...aber wenn Du Dir nach der Partie nicht deine Eröffnungen ansiehst, dann war es sinnlos."
Ich gab Ihr stehenden Applaus.
Vor einigen Jahren schrieb ich eine Kolumne mit dem Titel "Die Kurve kriegen" in der ich Aktivitäten auflistete, die meine Schüler, aus verschiedenen Gründen nicht machten. Bei jeder Aktivität schrieb ich dazu, warum diese doch gut für diesen Schüler wäre und wie sie ihm bei seinen Problemen helfen würde.
Einige dieser Aktivitäten war Schnellschach. Ich empfahl damals allen Anfängern aus verschiedenen Gründen die Finger vom Schnellschach zu lassen, unter anderem weil:
- man sich schlechte Sachen angewöhnen kann,
- man sich an das Tempo gewöhnt und dann in langen Partien nicht genug nachdenkt, und
- man einfach die Schönheit des Schachspiels in kurzen Partien nicht erfährt.
Wie auch immer. Wenn jemand einmal eine Übersicht und ein taktisches Gespür hat, spricht nichts gegen schnelle Partien, und ich empfehle sie sogar. Man sollte so mit 1200 oder 1400 ELO damit beginnen.
Nachdem ich über 1000 Spielern Unterricht gegeben habe, habe ich einige Erfahrung mit Spielern, die keine Schnellpartien gespielt haben, gesammelt. Diese Spieler hatten einige oder mehrere dieser Probleme in langen Partien:
- Sie hatten Probleme Taktiken zu erkennen. Sie hatten oft große Probleme einfache Taktiken zu erkennen, selbst wenn sie diese bereits erlernt hatten. Sie erkannten keine Kandidatenzüge und hatten Probleme, schlechte Züge des Gegners zu erkennen und darauf zu reagieren.
- In Zeitnot hatten sie größte Schwierigkeiten. Sie waren einfach nicht daran gewöhnt Züge schnell auszuführen. Am schlimmsten war aber, dass sie einfach psychologisch in Panik gerieten, wenn sie schnell ziehen mussten.
- Die Eröffnungen saßen nicht so sicher wie bei Spielern, die viele schnelle Partien spielten, da diese einfach die Eröffnungen besser einstudieren (wie von Jennifer Shahade oben genannt). Wenn Spieler aber die Eröffnungen aus schnellen Partien danach mit einem Buch, einer Datensammlung oder einem Computerprogramm überprüfen, werden sie einfach sicherer und vermeiden frühe Fehler. Aus dieser Sichtweise ist Schnellschach genauso sinnvoll wie lange Partien, und eigentlich sogar noch lehrreicher, denn man spielt ja viel mehr Partien und somit viel mehr Eröffnungen.
Zum ersten Punkt mit den Taktiken fällt mir noch eine Anekdote ein: Ich erinnere mich, dass ich, als aufstrebender Spieler die Najdorf Variante der Sizilianischen Verteidigung auf dem Brett hatte, was damals wie heute eine der Lieblingseröffnungen aller Eröffnungstheoretiker ist. Wir spielten eine theoretische Linie und mir fiel auf einmal auf, dass ich diese Variante noch nie in einer langen Partie auf dem Brett hatte, aber trotzdem kannte ich alle Fortsetzungen und alle Ideen dieser Stellung, denn ich hatte sie schon eine Zillion mal bei Blitzpartien gespielt und anschließend in Büchern und Magazinen darüber gelesen. So war ich auf einmal ein erfahrener Spieler in dieser Eröffnung, obwohl ich sie, wie erwähnt, noch nie in einer langen Partie auf dem Brett hatte.
Die ist übrigends ein guter Zeitpunkt für einen nützlichen Tip: Du solltest Schnellpartien immer mit der selben Zeitzugabe spielen, die Du auch in wichtigen Partien hast. Wenn Du an einem Turnier teilnimmst, bei dem Du pro Zug 10 Sekunden Zeitbonus bekommst, dann solltest Du keine Blitzpartien mit 3 oder 5 Minuten spielen, sondern mit 2 Minuten plus 10 Sekunden, oder falls Dir das zu langsam ist: 0 Minuten plus 10 Sekunden. Auf jeden Fall sollte die Zugabe aber die selbe sein. Das trainiert dein Hirn in einem bestimmten Zeitrahmen Entscheidungen zu fällen und Du wirst in Zeitnot davon profitieren.
Zusätzlich möchte ich noch anfügen, dass sich Partien ohne Zusatzzeit extrem von Partien mit Zusatzzeit unterscheiden. Und da seit einigen Jahren eigentlich alle wichtigen Partien mit Extrazeit gespielt werden, sollte man seine Denkweise daran anpassen.
Dies wird durch eine Geschichte verdeutlicht:
Vor ein paar Jahren kontaktierte mich ein junger Spieler und erzählte mir, dass er extensiv im Internet spielen würde, und denken würde, er könnte bei Turnieren durchaus niedere Ratingpreise gewinnen. Ich sollte ihn deshalb für solche Opens trainieren. Ich nahm ihn als Schüler auf und in der ersten Unterrichtsstunde bemerkte ich, dass er im Internet nie mit der selben Zeitzugabe wie in Opens spielte. Also empfahl ich ihm, bis zum nächsten Open mit der selben Zeitzugabe wie bei diesem Open zu spielen, und er nahm meinen Rat, ohne zu zögern, an.
Wenn ich einem Schüler einen Vorschlag mache, ist es mir bewusst, dass mich meine Schüler angeheuert haben und ich deshalb für sie arbeite. Sie sind der Chef, und deshalb gibt es nur 3 Möglichkeiten:
- Sie finden meinen Vorschlag gut und befolgen ihn.
- Sie finden meinen Vorschlag schlecht und sagen mir ehrlich ihre Meinung und dass sie den Vorschlag nicht befolgen wollen. Das ist dann kein Problem für mich und ich erwarte von niemanden, dass er jedes Wort, das ich sage, super findet.
- Sie finden meinen Vorschlag schlecht, sagen es aber nicht, sondern ignorieren ihn einfach.
Mit #1 und #2 kann ich gut leben, denn beide Möglichkeiten bauen Vertrauen auf. Aber #3 zerstört das gegenseitige Vertrauen.
Am nächsten Tag sah ich mir die Internet-Partien meines Schülers an. Zu meiner Bestürzung hat er alle mit seiner üblichen Zeit gespielt und meinen Rat nicht befolgt. Ich trainierte ihn aber weiter und versuchte ihn so gut wie möglich auf das nächste Turnier vorzubereiten.
In den ersten vier Runden des Turniers machte sich mein Schüler sehr gut und war in seiner Sektion bei den Führenden dabei. Dann kam er aber gegen einen stärkeren Gegner, der in seinem Alter und auch scharf auf den Ratingpreis war. Die Partie war sehr intensiv und beide Spieler kamen in Zeitnot. Ihr könnt euch jetzt schon denken, was passiert ist. Mein Schüler verlor die Partie. Ob er die Partie gewonnen hätte, wenn er meinen Ratschlag befolgt hätte, kann natürlich niemand wissen. Schlimmer als die Niederlage war aber, dass er sich nach dieser Niederlage total hängen lies (bei einem Open verliert jeder mal eine Partie - es kommt darauf an, wie man mit dieser Niederlage umgeht) und die nächsten Partien mit viel weniger Ehrgeiz anging, und schließlich ohne irgendeinen Preis gewonnen zu haben, das Turnier beendete.
Nach dem Turnier lud ich ihn zu einem gemeinsamen Essen mit meinen anderen Schülern ein. Auf dem Weg nach draußen sagte er, er hätte etwas vergessen und würde ins Restaurant nachkommen.
Unglücklicherweise hab ich ihn aber nie mehr gesehen.
Ich behaupte jetzt nicht, dass es nur an der unterschiedlichen Extrazeit lag, die ihm das Preisgeld gekostet hat, denn ich bin ja kein Hellseher. Es ist aber trotzdem eine Tatsache, dass, wenn man für etwas trainiert, die Wettkampfbedingungen so gut wie möglich nachstellen sollte.
Kann zu viel Schnellschach schlecht für Dich sein?
Kann der Adrenalinrausch süchtig machen?
Zu viel Sauerstoff kann müde machen und zu viel Wasser zu trinken kann jemanden austrocknen lassen. Es können also alle Extreme schlecht für jemanden sein, aber das macht diese Dinge ja nicht grundsätzlich schlecht.
Ein weiterer interessanter Fakt über Schnellschach ist, dass es in den letzten 100 Jahren wohl nur einen Spitzenspieler gegeben hat, der Schnellpartien grundsätzlich abgelehnt hat: Mikhail Botvinnik. Der Weltmeister war immer stolz darauf, dass er behaupten konnte, in seinem ganzen Leben nur eine (!!!) Schnellschachpartie gespielt zu haben. Diese fand angeblich in einem Zug, auf der Anreise zu einem Turnier statt, und er wurde dazu von einem anderen Großmeister zu einer Schnellpartie überredet. Das war die einzige Schnellschachpartie seines Lebens und er sah Schnellschach offensichtlich als eine art Laster an. Alle anderen Topspieler spielten auf ihrem Weg zum Großmeister-Titel wahrscheindlich mehr Schnellschachpartien als die meisten normalen Spieler in ihrem ganzen Leben.
Ich bleibe also bei meiner (and Jen's) Aussage: Ja, wenn man es richtig macht, ist Schnellschach eine gute Sache.