Habt ihr dieses unglaubliche Schachbuch?
Wir schrieben das Jahr 1985 und ich spielte ein Turnier, bei dem ich eine Meisternorm erzielen konnte. Zu dieser Zeit gab es in der Sowjetunion nur sehr wenige Turniere, bei denen man Normen erzielen konnte. In meiner Heimatstadt Taschkent gab es sogar nur ein solches Turnier pro Jahr und deshalb war dieses Turnier für mich definitiv der Höhepunkt des Jahres.
Wie es sich aber dann zeigen sollte, war ich für dieses Turnier noch nicht stark genug und mein Ergebnis war ziemlich bescheiden. Die Erfahrungen, die ich bei diesem Turnier sammeln konnte, waren allerdings unbezahlbar.
An einem Ruhetag verkaufte ein Teilnehmer aus Baku ein neu erschienenes Buch von Garry Kasparov: The Test of Time.
Da es bei einem lokalen Verlag erschienen war, war es praktisch unmöglich, das Buch außerhalb von Aserbaidschan zu erwerben. Der offizielle Preis des Buches betrug 1,7 Rubel, aber der Typ verkaufte es für fünf Rubel.
Für unsere jüngeren Leser, die wahrscheinlich nicht wissen, was ein offizieller Preis ist, will ich dies kurz erklären. In der Sowjetunion hatte alles, was verkauft werden konnte, einen staatlich festgeschriebenen Preis und es war eine Straftat, irgendetwas zu einem höheren Preis zu verkaufen. Dadurch wurde das Verhältnis von Angebot und Nachfrage aber völlig verzerrt und alle stark nachgefragten Güter verschwanden sehr schnell aus den Regalen der Läden.
Der Typ, der uns das Kasparov Buch zum dreifachen Preis verkauft hat, hat uns also einen riesen Gefallen getan, denn ansonsten wären wir niemals an diesen Schatz gelangt. Außerdem war der Preis wirklich gerechtfertigt, wenn man ihn z. B. mit dem Preis von Bobby Fischers Buch My 60 Memorable Games vergleicht.
Alle 50,000 Exemplare des Buches wurden am ersten Tag, nachdem es in der Sowjetunion erschienen war, zum offiziellen Preis von einem Rubel verkauft. Auf dem Schwarzmarkt wurde das Buch dann für 25-50 Rubel gehandelt.
Dank des Spielers aus Baku wurde ich also für nur 5 Rubel zum stolzen Besitzer des Buches The Test of Time.
Kasparov in 1985 via Wikipedia.
Und welch ein tolles Buch das ist!
Schon die Einführung in das Buch von Mikhail Botvinnik ist sehr lehrreich. Dort schreibt er: "1950 sagte [GM] Levenfish, dass die Vorbereitung eines Spielers den Stellenwert der Improvisation und des allgemeinen schöpferischen Elementes des Schachspiels verringern würde. [...] die Wahrheit liegt aber auf dem Brett und es ist eine Tatsache, dass eine gute Vorbereitung zu einer Verbesserung der praktischen Wettbewerbsergebnisse führt. So arbeitet Garry Kasparov. Wir wünschen ihm viel Erfolg und hoffen, dass ihm noch viele junge Meister folgen werden!"
Mich würde wirklich interessieren, was der Patriarch von Schach960 halten würde.
Als ich mich durch Kasparovs Partien spielte, entwickelte ich die gleiche Euphorie, wie Marvin Berry in Zurück in die Zukunft. Ich erinnere mich ständig an den Satz: "Chuck! Chuck! Hier ist Marvin. Dein Cousin Marvin Berry. Du bist doch auf der Suche nach einem neuen Sound, was? Genau! Hör dir das mal an!"
Ja, Kasparovs Schach war ein komplett neuer Schach Sound. Ich möchte euch eine weniger bekannte Partie zeigen, die auch nicht in der Kasparov on Kasparov Buchserie erschienen ist. Versucht, Kasparovs brillante Entscheidungen in dieser Stellung zu finden:
Ja, heutzutage ist das eine Standardzug in diesem Stellungstyp, aber zu diesem Zeitpunkt war der Zug etwas völlig Neues für mich.
So erklärt Kasparov diesen Zug: "Dieser aktive Bauernvorstoß hat das Ziel, Raum zu erobern und die Beweglichkeit der schwarzen Figuren einzugrenzen."
Wie ihr seht, ist das noch kein Angriff, sondern ein rein positionelles Konzept! Selbst wenn Kasparov positionelles Schach spielt, wartet er nur auf einen guten Moment, um zuzuschlagen. Versucht jetzt einfach, die exquisite Kombination zu finden, die Schwarz in dieser Partie verhindern musste:
Und jetzt Kasparovs brillante positionelle Fortsetzung:
Hier ist Kasparovs Kommentar dazu: "Der Abtausch des guten Läufers gegen den Springer, der noch auf seinem Startfeld steht, erscheint zunächst absurd. Aber der Weiße f-Bauer wird mobil und er wird noch eine wichtige Rolle spielen."
Kasparovs finale Kombination ist nicht besonders schwer zu finden, aber nichtsdestotrotz wirklich schön:
Die Leser dieser Kolumne wissen natürlich, dass ich beim Thema Kasparov voreingenommen bin. Trotzdem bin ich aber fest davon überzeugt, dass jeder Spieler von 1800 aufwärts, von diesem exzellenten Buch profitieren kann!
Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber ein Jahr, nachdem ich mir das Buch The Test of Time gekauft hatte, wurde ich Internationaler Meister!