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Gefallen Euch kommentierte Partien?

Gefallen Euch kommentierte Partien?

Gserper
| 75 | Spaß und Wissenswertes

Die Frage im Titel dieses Artikels mag für viele Leser dumm aussehen. Wer möchte nicht eine Partie studieren, die von einem starken Spieler kommentiert wurde? Nun, ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Antwort auf diese Frage habe. Als ich ein Kind war, war eine kommentierte Partie eine Gelegenheit, einen Blick in die Gedanken eines Großmeisters zu werfen. Berühmte Spieler teilten die Gedanken, Ängste und Sorgen, die sie während ihrer Partien hatten. Man kann ein solches Buch auch ganz ohne Schachbrett, wie Sie einen Roman lesen. Sogar Mikhail Tal, der während seiner Partien zig Züge berechnet hat, hat seine Leser nicht mit Varianten überladen und deshalb ist sein Buch über das Weltmeisterschaftsspiel gegen Mikhail Botvinnik eines der besten Bücher, die jemals geschrieben wurden.

Tal gegen. Botvinnik, 1960

Die heutigen Elitespieler sind mit Computern aufgewachsen und versuchen, wie Computer zu spielen und sogar wie Computer zu denken. Manchmal hat man sogar das Gefühl hat, dass die Kommentare zu ihren Partien ebenfalls von Computern geschrieben wurden. Sie werfen einen Ozean von Varianten auf uns, in denen wir ertrinken.

In einem alten Buch schrieb ein Großmeister so etwas wie: "Ich hatte Angst, den b2-Bauern zu schlagen, da meine Dame dann zu weit vom Königsflügel entfernt wäre und mein Gegner dort einen Angriff starten könnte." Wenn auch die heutigen Spieler solche Kommentare schreiben würden, würden wir einige grundlegende Konzepte aus der Schachstrategie besser verstehen. Ein Kommentar einer heutigen Partie würde wahrscheinlich so aussehen: "22...Dxb2 war möglich, da nach [zwei Seiten mit Varianten] Schwarz die Stellung halten kann". Manchmal frage ich mich, ob solche Kommentatoren wissen, dass heutzutage jeder Schachspieler eine Engine hat und selbst überprüfen kann, wie ein Computer den Zug 22...Dxb2 bewertet. Für mich sind solche Anmerkungen, die mit Varianten überladen sind, einfach langweilig, weil das menschliche Element verschwindet. Natürlich spreche ich nicht über alle Schach-Annotatoren. Einige von ihnen sind ziemlich unterhaltsam, aber den allgemeinen Trend zu computergenerierten Annotationen finde ich ziemlich alarmierend.

Heute möchte ich Euch eine von Anatoly Karpov kommentierte Partie zeigen. Sie enthält Anmerkungen der alten Schule und der Weltmeister zeigt in einer Partie mit 41 Zügen nur fünf kurze Varianten! Obwohl ich einigen Aussagen von Karpov nicht zustimmen kann, genieße ich seine Anmerkungen. Lasst uns beginnen!

Hier erklärte Karpov, dass die Partie kurz vor den anstehenden Kandidatenmatch gespielt wurde und er deshalb nicht seine vorbereiteten Eröffnungen spielen wollte. Außerdem war es eine gute Idee, seinen Gegner zu überraschen. Dieser unschuldig aussehende Kommentar ließ mich stutzen. Von welcher Überraschung sprach Karpov? Er hatte diesen Zug doch bereits vor einem Jahr gespielt!

Meine einzige Erklärung dafür ist, dass es zu dieser Zeit ja noch keine Computerdatenbanken gab und einige Partien nie in Magazinen veröffentlicht wurden. Vielleicht hatte Karpov gehofft, dass Korchnoi seine Partie gegen Saidy nicht gesehen hatte. Lustig ist aber, dass Korchnoi viele Jahre später gegen Anand selbst diesen Zug spielte.

Kommen wir zurück zur Partie von Korchnoi gegen Karpov. Besonders, weil wir hier gleich zur ersten Variante kommen! Könnt ihr herausfinden, warum Weiß den b5-Bauern nicht gewinnen kann?

Karpov kritisiert den Zug 14.e5? heftig.  Nach diesem Zug hat Schwarz die volle Kontrolle über das zentrale Feld d5. Karpov glaubt, dass diesem Zug ein Rechenfehler vorausging. Könnt Ihr den kleinen Trick finden, den Korchnoi übersehen hat?

Sehen wir uns jetzt den sehr lehrreichen Kommentar nach dem Zug 29...Dc6 an.

Anatoly Karpov, 1979. Foto: Dutch National Archive.

Karpov sagt, dass er dieses Bauernopfer zugelassen hat, weil er dachte, dass er dank des miesen Läufers auf a1 immer noch um den Sieg spielen könnte. Außerdem wusste er, dass sich Korchnoi sehr gerne an Material klammerte, auch wenn dies äußerst gefährlich war. Hier haben wir gleich zwei Lektionen in einem Kommentar. 1. Vergesst niemals das menschliche Element im Schach! Das Spiel wird von Menschen gespielt und Ihr könnt ihre natürlichen Schwächen wie Gier oder Angst zu Eurem Vorteil nutzen.

Aber was ist mit dem schachlichen Aspekt des Kommentars? Wie realistisch waren die Gewinnchancen von Schwarz wirklich? Schaut Euch dafür dieses Endspiel an, das kürzlich von zwei jungen Großmeistern gespielt wurde. Beachtet, dass Weiß im Vergleich zu Karpovs Partie sogar einen zusätzlichen Bauern auf a3 hatte. Und trotzdem ruiniert derselbe miese schwarzfeldrige Läufer die weiße Stellung.

Hier ist ein lustiger Kommentar von Karpov.

Karpov sagte, als Korchnoi 35.Tc1 spielte, grinste er und seine Körpersprache sagte, dass er Karpov dafür bestrafen würde, dass er sein Remisgebot vor ein paar Zügen abgelehnt hatte. Meiner Meinung nach hat Karpov aber Korchnois Körpersprache nicht richtig gelesen. Denn selbst wenn Weiß Tc8 spielt, kann er immer noch nicht viel tun, da seine Figuren viel zu passiv sind. Hier ist ein Beispiel:

Werfen wir einen Blick auf Korchnois Partieformular.

Er war in so großer Zeitnot, dass er sogar aufhörte, die Züge seines Gegners sowie seinen eigenen 40. Zug aufzuschreiben! Wie konnte Korchnoi mit dieser Stellung und fast keiner Zeit auf seiner Uhr realistisch hoffen, seinen Gegner zu diesem Zeitpunkt bestrafen zu können? Zu welchem Zeitpunkt Korchnoi Karpov ein Remis geboten hat, weiß ich aber leider bis heute nicht und ich fürchte, wir werden es auch nie erfahren...

So endete die Partie:

Ich wünschte, Korchnoi hätte weitergespielt, damit Karpov aufstrebenenden Schachspielern wie Euch zeigen hätte können , wie man einen riesigen Positionsvorteil in einen Sieg umwandelt. Ich habe dazu meine eigene Theorie. Ich glaube, dass Korchnoi von seinem Läufer so angewidert war, dass er einfach nicht zur Wiederaufnahme der Partie erschien. Wie ich zu diesem Schluss komme? Seht Euch einfach das Partieformular an:

Das Ergebnis ist mit einer anderen Handschrift als die Züge geschrieben und außerdem hat nur Karpov unterschrieben. Korchnois Unterschrift fehlt. Alles deutet darauf hin, dass der Umschlag mit dem versiegelten Zug in Abwesenheit von Korchnoi geöffnet wurde!

Ich hoffe ihr habt jetzt verstanden, warum das Analysieren kommentierter Partie wie diese für mich wie das Lesen eines Romans ist. Wenn Euch dieser kleine "Roman" genauso gut gefallen hat wie mir, findet Ihr noch viele weitere davon in Karpovs Buch mit ausgewählten Partien.
Das Buch habe ich bereits in einem älteren Artikel erwähnt.

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