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Die jüngsten Kandidaten

Die jüngsten Kandidaten

Gserper
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Das wichtigste Schachevent des Jahres, das Kandidatenturnier 2022, ist bereits im vollen Gang und jeder, der nicht zu faul dazu ist, hat bereits eine Prognose abgeben. Obwohl ich es hasse, als faul bezeichnet zu werden, kann ich Euch aus dem einfachen Grund, dass ich habe keine Ahnung habe, wer gewinnen wird, keine Prognose geben.

So könnt Ihr das Kandidatenturnier 2022 verfolgen

Wie übertragen das Kandidatenturnier 2022 täglich ab 15.00 Uhr. Die deutschsprachige Übertragung findet Ihr auf Chess.com/TV, unserem Twitch-Kanal und auf YouTube, die englischsprachige Übertragung auf YouTube.com/ChesscomLive.

Alle Partien des Kandidatenturniers findet Ihr hier auf unserer Live Events Plattform.

Dieses Kandidatenturnier ist insofern einzigartig, weil es mit einer gewissen Portion Glück wirklich jeder der Teilnehmer gewinnen kann. Ich denke, dass niemand bestreiten wird, dass Glück eine wesentliche Voraussetzung ist, um ein solches Turnier zu gewinnen. Anstelle einer Prognose werde ich also über ein sehr wichtiges Merkmal solcher Turniere sprechen. 

Wenn wir auf die Geschichte blicken, finden wir einen erlesenen Kreis von Spielern, die sich bereits in sehr jungen Jahren für ein Kandidatenturnier qualifiziert haben. Mit kommen da sofort die Namen Boris Spassky, Bobby Fischer und Magnus Carlsen in den Sinn. Die meisten Menschen sind bei diesen Namen zwar nur an den Rekorden interessiert, aber einige unserer jüngsten Spieler auf ChessKid werden sie vielleicht als Maßstab für ihren eigenen Fortschritt verwenden.

2022 Chess.com Chess Candidates Tournament Bobby Fischer
Fischer mit 17 Jahren. Ein Jahr, nachdem er der jüngste Kandidat der Geschichte wurde. Foto: German Federal Archives, CC.

In der Tat wurde Fischer, der seinen GM-Titel mit 15 Jahren durch die Qualifikation für das Kandidatenturnier erlangte, zu einem dauerhaften Maßstab. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich Berichte lese, dass ein anderes Kind mit 14, 13 oder sogar 12 Jahren Großmeister wurde und damit Fischers Rekord um ein, zwei oder drei Jahre geschlagen hat. Als ob man Fischer mit einem Spieler außerhalb der Top 200 der Welt vergleichen könnte.

Ich persönlich beobachte die jüngsten Kandidaten aus einer ganz anderen Perspektive und die könnte man vielleicht mit diesem kurzen Clip beschreiben:

"Du bist doch auf der Suche nach 'nem neuen Sound, oder? Hör Dir das mal an!" Habt Ihr es verstanden? Wenn Ihr nach dem Sound des Schachs der Zukunft sucht, solltet Ihr Euch besser die Partien der jüngsten Kandidaten ansehen!

Schauen wir uns zum Beispiel Fischers Leistung beim legendären Kandidatenturnier von 1959 an. Sein Endergebnis (ein geteilter fünfter Platz) kann zwar bestenfalls als OK bezeichnet werden, wenn wir uns jedoch seine Partien ansehen, fallen sofort zwei klare Merkmale auf:

  1. Seine Eröffnungsvorbereitung war erste Sahne. Obwohl er es mit den besten Spielern der Welt, die auch die besten Sekundanten, oder im Fall der sowjetischen Spieler sogar ein ganzes Team aus Sekundanten hatten, zu tun hatte, erreichte Fischer in vielen seiner Partien aus der Eröffnung heraus sehr vielversprechende Stellungen.
  2. Davon abgesehen war er aber seinen erfahrenen Gegnern nicht gewachsen und verspielte die meisten dieser aussichtsreichen Stellungen.

Die folgende, von Garry Kasparov in seinem Buch Meine großen Vorkämpfer erwähnte Episode zeigt deutlich den Unterschied in der Eröffnungsvorbereitung zwischen Fischer und Spielern der älteren Generation. (Ja, ich weiß, dass Fischer nur sieben Jahre jünger als Michail Tal war. Aufgrund ihrer Schacherziehung waren sie aber trotzdem Spieler unterschiedlicher Generationen.)

Wie man sehen kann, hat Fischer das theoretische Duell gegen das inoffizielle Team Tal, Tigran Petrosian, Yuri Avebakh und Alexander Koblents klar gewonnen. Sehen wir uns jetzt Fischers Partie aus der ersten Runde gegen Paul Keres, der ja als einer der besten Eröffnungstheoretiker der Geschichte gilt, an:

Keres überraschte Fischer mit seiner Eröffnungsvorbereitung, aber Bobby zeigte ein sehr gutes Stellungsverständnis gepaart mit exzellenten Rechenkünsten. Infolgedessen war Weiß die meiste Zeit der Partie am Leiden!

Hier ist eine weitere Partie von Fischer gegen der besten Eröffnungsexperten seiner Zeit:

Ich könnte jetzt noch viel mehr solcher Beispiele zeigen, aber ich glaube, Ihr habt bereits verstanden, worum es mir geht.

Fischers Eröffnungsvorbereitung war präziser, weil sich die Spieler der Vorgängergenerationen meist auf die allgemeinen Prinzipien verlassen haben. Bei Fischer aber ging es um konkrete Berechnungen. In diesem, 10 Jahre alten Artikel habe ich Fischers Spiel in der "vergifteten Bauernvariante" analysiert und geschrieben: "Hat Fischer die grundlegenden Eröffnungsprinzipien nicht gekannt oder dürfen Genies die Regeln brechen? Nein und nein! Die Erklärung dafür kommt vielleicht unerwartet, aber sie ist typisch für modernes Schach. Heutzutage ist es durchaus üblich, eine Regel zugunsten einer anderen aufzugeben." Wie Ihr sehen könnt, war Fischer 1959 mit seiner Eröffnungsstrategie seiner Zeit weit voraus.

Wie ich bereits oben erwähnt habe, hat Fischer dann viele der großartigen Stellungen verspielt, weil seine Gegner in anderen Schachkomponenten einfach noch stärker waren. Es gibt genug Material zu diesem Turnier, um ein Buch mit dem Titel Bobby Fischer lernt Schach zu schreiben, das das bereits existierende Buch Bobby Fischer lehrt Schach ergänzen würde.

Hier ist nur ein Beispiel. In seiner Partien gegen Petrosian lernte Bobby eines der Markenzeichen seines Gegners kennen: Eine Königswanderung. Das haben wir auch schon vor etwa 10 Jahren besprochen. Urteilt selbst:

Diese Partie hat Fischer zumindest nicht verloren, gab aber danach zu: "Ich hatte Angst, dass er das Remis nicht annehmen würde, denn in der Endstellung hat Schwarz sicher die Nase vorn."

In der folgenden Partie hatte Fischer nicht so viel Glück:

Fischers Spruch "Er windet sich wie ein Aal!" ist einer meiner absoluten Favoriten. Ich habe immer gehofft, dass ich eines Tages in der Lage sein würde, Petrosians berühmte Königswanderung nachzuahmen, aber ich schätze, man muss einfach ein "eiserner Tiger" sein, um das zu tun. Am nächsten bin ich dem "Aal-Ding" in der folgenden Partie gekommen, die ich bei meinem einzigen Kandidatenturnier gespielt habe:

Jetzt werdet Ihr vielleicht verstehen, warum ich mir bei diesem Kandidatenturnier die Partien von Alireza Firouzja besonders genau ansehen werde. Ich bin mir sicher, dass wir darin viele der neuen Sounds entdecken werden, nach denen wir alle suchen!

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