Der tödliche Würgegriff von Aljechin
Die meisten Schachspieler kennen Weltmeister Alexander Aljechin als Meister des Angriffs und der Kombination. Ihr könntet jetzt überrascht sein, wenn ich Euch sage, dass aber einige große Spieler Aljechins strategisches Talent als Hauptgrund für seinen Erfolg betrachteten. Ich habe das genaue Zitat nicht zur Hand, aber soweit ich mich erinnere, sagte GM Savielly Tartakower einmal: "Wenn ich einmal eine Stellung wie Aljechin bekommen würde, dann würde ich die Kombinationen wohl auch finden. Leider bekommen ich aber nie solche Stellungen!"
Ich will Euch ein sehr gutes Beispiel zeigen, wo ein typischer Aljechin-Angriff durch einen tiefgreifenden strategischen Plan vorbereitet wurde. Diese Partie nenne ich gerne "Aljechins Würgegriff".
Auf den ersten Blick sieht der Zug 19.c5 wie ein typischer strategischer Fehler eines unerfahrenen Spielers aus und Weiß hat ja wirklich gerade einen rückständigen d4-Bauern und ein riesiges Loch auf d5 geschaffen. Aber in Wirklichkeit löst dieser Zug einen Würgegriff aus, der Schwarz sehr bald paralysieren wird. Der Zug c4-c5 gewinnt nicht nur Raum, sondern sperrt auch den weißfeldrigen Läufer von Schwarz aus und dieser wird bis zum Ende der Partie in seinem Gefängnis sitzen bleiben. Weiß droht auch, seinen Springer nach b6 zu bringen und das kann Schwarz nur verhindern, indem er seinen b7-Bauern nach b5 zieht. Dann aber braucht der c6-Bauer ständigen Schutz.
Im Laufe meiner Karriere hatte ich viele Gelegenheiten, Zeuge der Kraft von "Aljechins Würgegriffen" zu werden.
Drei Jahre nach dieser Partie sah ich bei den sowjetischen Jugend-Meisterschaften eine wirklich einzigartige Partie. Es war eine Schlacht von Aljechins Würgegriff gegen Aljechins Kanone. Welche von Aljechins tödlichen strategischen Waffen würde sich durchsetzen?
Der Würgegriff hat gewonnen!
Auch ich selbst befand mich schon in Aljechins Würgegriff. Ich spielte die Eröffnung sehr ungenau, ließ c4-c5 zu und wurde langsam eingekesselt. In dieser verzweifelten Situation beschloss ich, mein eigenes Know-how, das ich einen Tag zuvor in meiner Partie gegen Hikaru Nakamura erworben hatte, einzusetzen. Ich fing an, nichts zu tun, indem ich zuerst meinen Springer zwischen den Feldern f6 und d5 und dann meinen König zwischen den Feldern g8 und h8 hin und her zog. Diese Technik habe ich schon in diesem alten Artikel beschrieben, aber macht mir das bitte um Gottes willen nicht nach!
Als ich mir letzte Woche den American Cup 2023 ansah, kamen mir diese alten Erinnerungen wieder in den Sinn. Urteilt selbst:
Wie Ihr sehen könnt, ist Aljechins Würgegriff heute noch genauso mächtig wie vor einem Jahrhundert, als ihn Alexander Aljechin zum ersten Mal gespielt hatte. Ich hoffe, Ihr verpasst keine Gelegenheit, um dies in Euren eigenen Partien einzusetzen!