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Déjà-vu bei der Schacholympiade

Déjà-vu bei der Schacholympiade

Gserper
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Historische Wiederholungen sind bekannte Phänomene, die seit Jahrhunderten diskutiert werden. Zu diesem Thema gibt es zwei bekannte Zitate: "Geschichte wiederholt sich: Zuerst als Tragödie, dann als Farce" von Karl Marx und "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft" von Mark Twain. Hier bin ich bei dem amerikanischen Schriftsteller. Wahrscheinlich weil ich die Abenteuer von Tom Sawyer viel mehr mag als "Das Kapital". Wenn ich mir jedoch die 44. FIDE-Schacholympiade ansehe, kommt mir aber ein weiteres berühmtes Zitat zu diesem Thema in den Sinn: "Das ist schon wieder ein Déjà-vu" (Yogi Berra).

Bei Schacholympiaden geht es nicht nur darum, die stärksten Mannschaften der Welt zu finden. Sie sind ein wahres Schachfestival. Hunderte von verschiedenen Sprachen, bunte Nationaltrachten... All das macht ein echtes Schachfestival aus.

44th Chess Olympiad
Zwei indische Künstler tanzen bei der Abschlussfeier der 44. Olympiade neben einem goldenen und einem silbernen Bauern. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Für mich ist es interessant, die Olympiaden, die ich vor etwa 30 Jahren gespielt habe, mit der diesjährigen Olympiade zu vergleichen. Vieles ist verschwunden und wird als typische Attribute einer vergangenen Zeit in Erinnerung bleiben. Wer wird schon ein im offiziellen Bulletin abgedrucktes Bild eines der Spieler vergessen, das dem berühmtesten Gemälde von Eugène Delacroix stark ähnelte? Oder den Streit zwischen zwei Super-GMs am Ende der beliebten Bermuda-Party? Obwohl das nicht unbedingt positiv war, fügten solche Ereignisse der Olympiade ein Element von Woodstock hinzu: Man wusste nie, was einen am nächsten Tag erwartet!

Wenn wir über das Schach selbst sprechen, ergeben sich Jahr für Jahr die gleichen "erwartbaren" Überraschungen. So waren ja zum Beispiel viele Leute erstaunt, dass Indien 2 besser abgeschnitten hat als Indien 1. Nun, ein Team junger Supertalente ist halt einfach super motiviert und will sich beweisen. Ist das wirklich etwas Neues? Bei der Olympiade 1994 in Moskau lag die zweite Mannschaft Russlands, die aus jungen Spielern Alexander Morozevich, Vadim Zviagintsev, Mikhail Ulibin, Sergei Rublevsky und Konstantin Sakaev bestand, lange vor der ersten Mannschaft um Garry Kasparov und Vladimir Kramnik und erst ganz am Ende gewann Russland 1 Gold und für die zweite Mannschaft reichte es "nur" für Bronze.

Alexander Morozevich
Morozevich spielte am ersten Brett der russischen Nachwuchsmannschaft, die 1984 beinahe Gold gewonnen hätte. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Oder nehmen wir zum Beispiel die zweitplatzierte Mannschaft aus Usbekistan bei der Olympiade 1992. Wir hatten nur einen Großmeister in unserem Team, aber bei Turnieren wie diesem zählt vor allem die Motivation. Nach dem Turnier wurde uns gesagt, dass Usbekistan dieses Ergebnis niemals wiederholen würde. Vor sieben Jahren schrieb ich dazu:

"Mit Nodirbek Abdusattorov, Shamsiddin Vokhidov, Javokhir Sindarov, Nodirbek Yakubboev und Jakhongir Vakhidov sehe ich eine neue Generation usbekischer Großmeister heranwachsen. Seit also nicht überrascht, wenn die usbekische Mannschaft die Schachwelt eines Tages erneut verblüffen sollte!"

Dieses Team wird von GM Ivan Sokolov trainiert, einem klassisch ausgebildeten Spieler mit hoher Schachkultur. Sie hatten vor der Olympiade ein gemeinsames Trainingslager in Taschkent abgehalten und jetzt bringen sie Goldmedaillen nach Hause. Wie Ihr sehen könnt, reimt sich die Geschichte tatsächlich!

Nodirbek Abdusattorov
Abdusattorov bei der 44. Schacholympiade. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Es versteht sich von selbst, dass der größte Schatz der Olympiaden die gespielten Schachpartien sind. Dort findet man alles, was ein Schachfan begehrt. Aber auch hier können wir trotz des enormen Fortschritts des modernen Schachs, der durch leistungsstarke Computer hervorgerufen wurde, viele "Reime" sehen. Hier ist ein Beispiel.

Zweifellos habt Ihr bereits die exquisiteste Kombination der Olympiade gesehen. Wenn nicht, dann versucht sie einfach zu finden!

In der Partie lehnte Schwarz das Opfer zwar ab - am Ausgang der Partie hat das aber nichts geändert:

So schön die Kombination auch ist - wirklich neu ist die Idee nicht. Hier ist zum Beispiel eine ganz ähnliche Idee von Alexander Aljechin:

Trotz der Ähnlichkeiten besteht aber kein Zweifel daran, dass die Version von Wesley So viel schöner ist.

Die folgende Partie löst ein weiteres Déjà-vu aus.

Spieler meiner Generation kennen diese Stellung in- und auswendig, da sie in den meisten Eröffnungsbüchern gezeigt wurde. Mikhail Chigorin schuf hier einen seiner schönsten Angriffe. Versucht doch, seine Züge zu erraten. Ich garantiere Euch, dass Ihr es genießen werdet!

Kann Weiß die Katastrophe abwenden, indem er die schwarze Dame nicht nimmt? Natürlich kann er das, aber dann gibt es da eine klassische Partie des ersten Weltmeisters.

Das alles sieht sehr überzeugend aus. Und doch hat Nordibek Abdusattorov diesen Angriff zugelassen und Pentala Harikrishna hat das Angebot nicht angenommen! Die beiden Großmeister haben aber keineswegs mangelnde Kenntnisse an klassischen Partien. Das Problem ist, dass die Computer behaupten, dass Weiß nach 9.h4 Lg4 und 10.c3 einen Vorteil hat. Ihr könnt das mit der eingebauten Engine von Chess.com gerne überprüfen. Ich denke, Serafino Dubois hat die ganze vom Computer empfohlene Variante vergessen und sich nur an die ersten beiden Züge erinnert... Auf jeden Fall führte Harikrishna den Angriff mit g5, h5 später in der Partie aus (habe ich schon erwähnt, dass sich die Geschichte reimt?) und gewann eine schöne Partie:

Dass das usbekische Team die Goldmedaillen der Olympiade mit nach Hause nahm, mag einige von Euch überrascht haben. Alles, was ich dazu sage, ist: "Déjà-vu".

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