Das große Geheimnis der ungleichfarbigen Läufer
Der 10. Weltmeister Boris Spassky war dreimal verheiratet, aber leider endeten alle drei Ehen mit einer Scheidung. Spassky beschrieb seine erste Ehe mit den Worten: "Wir waren wie zwei ungleichfarbige Läufer."
Als ich diesen einprägsamen Satz zum ersten Mal las, dachte ich, er spreche über das offensichtlichste Merkmal von ungleichfarbigen Läufern: Sie treffen auf dem Schachbrett nie aufeinander.
Ich verstand den Satz also so, dass Spassky und seine erste Frau unterschiedliche Interessen hatten und deshalb in verschiedenen Welten lebten. Andererseits folgen die meisten Weltmeister und Elite-Spieler dem bekannten Sprichwort: "Ein Schachspieler in einer Familie ist schon zu viel" und deshalb spielten ihre Ehepartner meistens kein Schach.
Dennoch waren viele dieser Schachspieler ihr ganzes Leben lang glücklich verheiratet. Über dieses Thema habe ich auch schon in einem älteren Artikel geschrieben.
Eines Tages las ich dann ein provokantes Interview mit Boris Spassky, indem er über seine Ehen sprach:
Ich versuche, mich von meiner französischen Frau scheiden zu lassen und unversehrt aus der Ehe herauszukommen, aber ich verlor alle meine Besitztümer!
Ich habe schon einige Verluste in Kauf genommen. Materielle Verluste. Aber zumindest habe ich meinen Stolz behalten.
Ich hatte einen Mustang, aber nachdem ich mich von meiner ersten Frau Larisa scheiden ließ, nahm sie ihn mir ab und verkaufte ihn an irgendeinen Georgier. Sie war eine pragmatische Frau.
Ich glaube, Ihr erkennt hier ein Muster. Ich tat es zumindest. Und dann wurde mir endlich klar, warum Spassky seine Ehe mit einer Stellung mit ungleichfarbigen Läufern verglich. Das folgende, wenig bekannte Zitat von Cecil Purdy erklärt es recht gut:
Bei Endspielen mit ungleichfarbigen Läufern bedeutet Material nichts. Es geht nur um die Stellung!
Meine einzige Korrektur für dieses Zitat wäre das Austauschen des Wortes "Endspiele" gegen "Stellungen", da diese Regel auf die meisten Stellungen mit ungleichfarbigen Läufern und nicht nur auf Endspiele angewendet werden kann.
Es ist ja allgemein bekannt, dass in einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern manchmal ein Mehrbauer (oder zwei) nicht ausreicht, um zu gewinnen. Seht Euch zum Beispiel diese Stellung an:
Weiß hat zwei Mehrbauern und einer davon ist ein gedeckter Freibauer. In den meisten Endspielen ist das ein riesiger Vorteil, aber hier hat Weiß einfach keine Chance, die Partie zu gewinnen. Schwarz muss seinen Läufer nur auf der a7-g1 Diagonalen hin und herziehen, denn der weiße Läufer ist in dieser Stellung völlig nutzlos.
Werfen wir einen Blick auf eine Partie, die mich in meiner Kindheit schwer beeindruckt hat. Als ich mich mit der sizilianischen Drachenvariante beschäftigt hatte, stolperte ich über diese Partie:
Für einen Anfänger wie mich war es absolut nicht nachvollziehbar, warum Weiß in dieser Stellung aufgegeben hat. Weiß hatte doch einen Mehrbauern und Schwarz hatte überhaupt keine Drohungen, oder? Als ich die Stellung dann analysiert habe, habe ich verstanden, dass der weiße Läufer in dieser Stellung völlig nutzlos ist und der weiße König dem schwarzen Angriff auf den schwarzen Feldern hilflos ausgeliefert ist. Tja. Material bedeutet eben nichts. Es geht nur um die Stellung!
Nachdem ich dieses große Geheimnis der ungleichfarbigen Läufer herausgefunden hatte, fiel es mir leichter, den folgenden Kommentar des "Patriarchen" zu verstehen:
Weiß hätte mit 35.Lxb7 einen Bauern gewinnen können. Stattdessen spielt er seinen zentralisierten Läufer von d5 nach d3. Warum?
Hier ist Botvinniks Erklärung: "Das ist der einfachste Weg zum Sieg. Weiß muss nur Ld5-c4-d3, f2-f4, Tf1-h1 und e4-e5 spielen."
Wie Ihr seht, war Botvinnik an dem Bauern auf b7 so wenig interessiert, dass er ihn in seinen Kommentaren nicht mal erwähnt hatte!
Warum soll er sich auch um einen Bauern kümmern, wenn er mit einem direkten Angriff den König des Gegners gewinnen kann? Dies zu verstehen ist sehr wichtig! Wenn sich ungleichfarbige Läufer auf dem Brett befinden, entscheidet ein Angriff auf den gegnerischen König sehr oft die Partie. Die Erklärung ist ganz einfach: Wenn Ihr auf den Feldern einer Farbe angreift, ist der Läufer Eures Gegners für die Verteidigung völlig nutzlos und es ist fast so, als hätten Ihr eine zusätzliche Figur im Angriff!
Die nächste Partie stammt aus einem Turnier, das ich sicher nie vergessen werden, denn bei diesem Turnier habe ich meinen Großmeistertitel gewonnen. Was auf dem Brett neben mir geschah, konnte ich aber überhaupt nicht verstehen. Der sehr starke Großmeister Gata Kamsky ließ sich freiwillig auf eine Stellung ein, bei der das Ergebnis völlig klar war. Eigentlich war es genau dieselbe Stellung wie in der Partie zwischen Ostermeyer und Sosonko, die ich Euch vorhin gezeigt habe.
Ja. Der weiße Mehrbauer ist bedeutungslos und der weißfeldrige Läufer komplett nutzlos. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der schwarze Angriff die Partie entscheidet.
Letztes Jahr habe ich dann ein weiteres Beispiel für dasselbe tödliche Muster mit demselben traurigen Ausgang für Weiß gesehen:
Jetzt kennt Ihr das größte Geheimnis von Partien, in denen sich ungleichfarbige Läufer auf dem Brett befinden: Material bedeutet nichts! Es geht nur um die Stellung!